grundgedanken

Montag, 4. August 2025

Kindertheologie

Der Name ist mehrdeutig, und das ist gut so. Ein Leser könnte eine Theologie über Kinder erwarten, über ihre gottgeschaffene Eigenheit, etwa eine Schöpfungstheologie der Altersstufen, ein nach und nach Zusichkommen des Menschlichen, das lässt gar an eine Theologie der Geschichte (Menschheitsgeschichte, Alersstufen der Menschheit) denken. Mancher mag sich eine Sammlung von biblischen Aussagen zu Kindern erwarten. Viele werden hoffen, hier würden Rezepte geboten, wie Kinder in der Glaubensverkündigung erreicht werden können, für die Eltern, für Kinderliturgie oder Religionsunterricht. So werden viele sich Impulse für praktische Arbeit erwarten, manche aber vielleicht theoretische Grundlagen. Das könnte alles stattfinden, wenn es auch nicht eigentlich intendiert ist.

Hält es jemand für möglich, dass Kinder selbst theologisch denken? Eigenständig Vorstellungen von Gott entwickeln, inspirierte Auslegungen biblischer Geschichten und Gestalten? Eigenes Glaubensinteresse, selbständige Gebetsformen mit ganz anderen Ansätzen, als viele Erwachsene ihnen vorlegen als scheinbar kindgemäß, doch kaum ausbaufähig, somit eher Sackgassen, bereits von Teenagern als Kinderkram abgetan? Können Erwachsene sich vorstellen, dass Kinder selbst spüren und wissen, wer Gott ist und wie man ihn erreicht? Dass sie dazu dienliche Hilfe annehmen und eigenständig anwenden, während sie Unbrauchbares liegenlassen?
Sind wir schon soweit, Kindern Selbstkompetenz zuzutrauen? Und sie als Empfänger der Offenbarung Gottes und seiner Gnade ernst zu nehmen? Denn wenn es so wäre, dann würden auch wir Erwachsene zuweilen Lernende sein, würden staunend und überrascht aus Kindermund Gottes Wort empfangen, manche Wegweisung und Erhellung, und von uns aus Kontakt zu ihnen suchen. Dann würden nicht Zurechtweisung und Belehrung, sondern Fragen und Suchen nach ihrer Erfahrung unseren Umgang mit Kindern prägen. Dann hätten wir nicht Vorträge oder Merktexte, sondern ergebnisoffene Gespräche. Dann würden wir nicht Kompetenzen antrainieren, sondern Erfahrungen vertiefen.
Und, nebenbei gesagt, könnte eine so entwickelte Gesprächsform auch den Umgang unter Erwachsenen verbessern. Im kirchlichen wie im schulischen Kontext herrscht ja oft die Erwartung vor, wir müssten Standards herstellen oder erhalten, einen bestimmten Betrieb, bestimmte Teilnehmerzahlen, gewisse Ergebnisse. Wenn der sogenannte Pfarrbetrieb das oberste Ziel ist, dann sind individuelle Begegnungen untergeordnet, wenn Kinder in den Religionsunterricht gelockt werden sollen, dann greift mancher Lehrer zu Videos oder Handy-Spielen. Religiöse Bedürfnisse und Erwartungen von Kindern und Erwachsenen werden oft verfehlt, und der Betrieb, in den viel Kaufmännisches und Organisatorisches investiert wird, läuft sich leer.

Es sollen darum auch hier keine Belehrungen folgen, wohl sollen aber Irritationen erzeugt und Hoffnungen geweckt werden. Ich werde Erfahrungen und Ereignisse wiedergeben, werde zeigen, wie etwas gelaufen ist, ohne sagen zu können, warum. Vielleicht gibt es im Nachhinein Erkenntnisse oder Reflexionen, aber das Beziehungsereignis steht im Mittelpunkt, sowohl in der Schule wie in der Pfarre und im Gottesdienst oder im Kindergarten.
Noch ein Wort dazu, wie ich dazu gekommen bin. Ja, ich bin ausgebildeter Pflichtschullehrer und habe verschiedene Fächer unterrichtet in mehreren Schulen. Erst dann bin ich Priester geworden. Aber was heute meinen Unterricht ausmacht, ist gerade nicht das, was ich gelernt habe: pausenloses forderndes Angehen der Kinder mit immer neuen Methoden und Abprüfen ihrer Fortschritte, permanente Beschäftigung, bestmögliche Kontrolle. Heute mach ich es umgekehrt. Ich frage meine Schüler, was sie von mir lernen wollen. Und sie sagen es mir. Das ist mein Programm!


1. Mit Fragen ins Gespräch kommen

Beispiel St. Filippen:

In jener Zeit suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus
und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und
Ortschaften,
in die er selbst gehen wollte.
(Lk 10,1; 14. SO, Lesejahr C)


Ich war zur Aushilfe in einer Dorfkirche, gut gefüllt, ein freundlicher, offenherziger Mesner, ein Lektor und Fürbittenleser, eine humorvolle Organistin, eine Ministrantin im Volksschulalter.
Die Predigt begann mit der Frage: Warum geht Jesus nicht selbst?
Erstauntes Schweigen.
Ich bitte die Ministrantin, die im Altarraum (hinter mir) saß, in der ersten Bank Platz zu nehmen.
Ich frage sie: Hat Jesus jetzt Urlaub gemacht?
Sie schüttelt den Kopf.
Ich frage sie, was Jesus gemacht hat, während die Jünger in die Dörfer gingen.
Sie sah mich mit großen Augen an.
Ich bot ihr an: Fernsehen? Zeitung lesen? Handy spielen?
Jedes Mal energisches Kopfschütteln.
Womit war er beschäftigt?
Mit seinen Jüngern, sagt sie.
Richtet er seinen Geist auf sie?
Sie bejaht.
Betet er für sie?
Sie stimmt heftig zu.

Später frage ich: Die Jünger sollten Frieden bringen und die Kranken heilen, die dort sind. Wie machen sie das?
Eine grauhaarige Frau ruft keck: Mit Schnaps!
Ich frage: Wogegen hilft Schnaps?
Nun zählen sie grinsend auf: Gegen Bauchweh, Kopfweh, Rückenweh...

Am Ende der Messe danke ich der Ministrantin für die Predigt. Da applaudiert die ganze Gemeinde freudig. In der Sakristei fragt sie mich: Wann kommst du wieder?

Als wir uns umgezogen haben, hat der Mesner spontan Kaffee organisiert an einem Tisch im Freien, und die Organistin und andere Leute stellen sich fröhlich vor und zeigen sich beeindruckt von dem, was die Ministrantin gesagt hat.

Nachbetrachtung:
Die Ministrantin weiß, wer Jesus ist. Sie kennt ihn und kann einschätzen, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten würde, auch wenn der Text das nicht sagt. Wir haben ja durch ein Fenster ins Textgebäude hineingeschaut, das offen war, Jesus, wenn er nicht öffentlich ist. Sie versteht sein Anliegen. Sie sieht auch einen Unterschied zu anderen Erwachsenen, die jemandem Aufgaben geben, um selbst davon entlastet zu werden. Der Apostelauftrag ist nicht Arbeitsteilung, sondern Identifikationsauftrag an die Jünger. Diesen hat die Ministrantin gerade selbst angenommen!




Beispiel St. Georgen:

In jener Zeit
stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen,
und fragte ihn:
Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?

(Lk 10, 25; 15. SO, Lesejahr C)


Kleine Dorfkirche, gut gefüllt mit Erwachsenen, eine Familie mit Kind in der ersten Reihe.
Die Predigt beginnt mit einem Lob der Frage. Der Gesetzeslehrer fragt nicht nach Glück und Wohlstand, auch nicht nach Gesundheit oder Beliebtheit. Sondern er fragt nach dem, was danach kommt und worum es im Leben überhaupt geht. Ich preise die Weisheit der Frage.
Der Bub in der ersten Reihe sagt: Das ist wie beim Pharao in Ägypten, der in den Götterhimmel kommen will.
Ich staune über seine blitzschnelle Übertragung der Frage in eine andere Situation.
Er kennt den Pharao und den ägyptischen Götterhimmel aus einem Buch.
Ich antworte: Der Pharao bekommt Hilfen, um in den Götterhimmel zu gelangen.
Er sagt: Die Zaubersprüche, die an die Grabeswand geschrieben sind.
Ich füge dazu: Und den Gott mit dem Hundekopf, der ihn an der Hand nimmt und den Göttern vorstellt.
Er erweitert: Und die Heldentaten, die an die Wand gezeichnet sind.
Ich fasse zusammen: Also wussten auch die alten Ägypter, dass es aufs Tun ankommt, um das ewige Leben zu erlangen. Und auch sie strengten sich an für das Jenseits, und nicht nur für Wohlstand und Glück auf Erden.

Nach der Messe fielen mir die Eltern beinahe um den Hals, so begeistert waren sie von der Messe und von ihrem Sohn, der noch nicht bei der Erstkommunion war. Sie stellten sich vor als Urlaubsgäste aus einem anderen Bundesland.


Nachbetrachtung:

Der Bub hat die Frage nach der Praxis, die das ewige Leben erbt, eigenständig angewendet auf das, was er aus seinem Buch kennt. Einerseits hat er schon die Bilder der pharaonischen Religion für sich erschlossen. Andererseits hat er die Frage des neutestamentlichen Gesetzeslehrers mit der Frage des Pharaos und seiner Priester identifiziert - eine religionsgeschichtliche Übertragung.
Über die von beiden erfragte Praxis nachzudenken war in diesem Moment nicht in seinem Blick. Wir hätten noch den Unterschied bedenken können zwischen den Heldentaten im Krieg, die der Pharao den Göttern vorweist, und den Taten der Nächstenliebe, die der Samariter darstellt. Aber das hätte das Gespräch überdehnt. Im Zentrum stand die Frage nach dem Himmel, und die gab er der Sonntagsgemeinde mit.



Beispiel: Begräbnis meines Vaters

Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:  ...
eine Zeit zum Schweigen / und eine Zeit zum Reden
(Koh 3, 1-7)

Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr. 
(Joh 14, 3-6)


Kirche im Dorf der Eltern, Kinder und Enkel des Verstorbenen, Freunde, Nachbarn, Dorfbewohner. In der Predigt weise ich darauf hin, dass wir nicht nur an den Vater denken, sondern dass wir ein Teil von ihm sind. Ich nenne als Beispiel die Reise- und Abenteuerlust, die ich vom Vater habe und die jeder in der Familie und in der Nachbarschaft kennt. Ich entzünde eine Kerze und stelle sie in der Schale auf. Dann lade ich die Teilnehmer ein, ebenso zu berichten. Nun kommen die Tochter, der Schwiegersohn, die Enkel und Nachbarn, und jeder hat etwas (ganz anderes) vom Vater übernommen und bezeugt es mit der Kerze vor der Trauergemeinde. Obwohl Vater schon seit Jahren dement war, entsteht so ein Bild von Lebendigkeit und Lebensfreude, die wir alle von ihm geerbt haben. Und jeder von uns spricht es zur Gemeinde hin, niemand zum Sarg, denn jeder hat den lebendigen Vater und seine lebendigen Kinder vor Augen.

Nachbetrachtung:

Die Predigt war hier die Brücke, nicht die Zusammenfassung. Die Familienmitglieder waren vorbereitet, die Freunde und Nachbarn setzten spontan fort.
Es waren keine Schulkinder anwesend, dennoch handelt es sich um Kindertheologie. Denn einerseits stammten viele der Zeugnisse aus der Schulzeit. Andererseits sind auch Erwachsene immer noch Kinder oder Enkelkinder des Vaters und der Mutter und bezeugen gerade dadurch die fortwährende Lebendigkeit des Vaters.
Es war, trotz Trauer, eine fröhliche Feier bis zum anschließenden lebendigen Totenmahl.


2. Entwickeln

Beispiele aus der Schule:

Am Ende des Semesters (des Schuljahres) frage ich die Schüler, welche Themen im Religionsunterricht die besten waren. Der Francesco, sagt die 2. Klasse einhellig. Das war immer spannend, wie die Geschichte weitergeht! Ich habe das Leben von Franz von Assisi erzählt, von der Kindheit bis zum Tod, an Thomas Celano orientiert, zuweilen ausgeschmückt mit Betonung seiner Schulzeit und Erfahrungen als Ritter, mit Topographie der Stadt Assisi und sozialem Status der Bürgerfamilie Bernardone sowie der adeligen Familie Bernadino, aus der Klara stammt. Ich erzähle (ohne irgendwelche Medien zu benützen), die Kinder zeichnen oder schreiben nach eigener Wahl. Sie entscheiden selbst, was in der Geschichte wichtig ist, wie sie es darstellen, ob es eine Szenenfolge wird oder ein Gesamtbild. Sie haben glatte Hefte in A4-Format. Es entstehen bunte großformatige Bilder, Bildergeschichten mit Sprechblasen wie Comics, zuweilen auch lange Textpassagen über ein oder zwei Seiten. Aber alle können die Geschichte wiedergeben in der nächsten Stunde! Ich lobe farbige Bilder und gute Darstellungsideen.
In der Sakramentenlehre (Hauptthema in der 2. Klasse) hat sie die Einleitungsgeschichte am meisten beeindruckt: Der Streit zweier griechischer Bauern über die Grundstücksgrenze, den der Bürgermeister schließlich mit einem schriftlichen Vertrag auf einer Tontafel beilegt, die gebrannt und dann zerbrochen wird, und jeder der beiden bekommt eine Hälfte mit der passenden Bruchlinie: . Das Symbol ist somit der sichtbare Teil, der mit dem unsichtbaren das Ganze bildet! Das Wasser, das Brot, der Wein, der Ring...

In der ersten Klasse war es "die Geschichte ohne Namen" von den Reisenden mit der Händlerkarawane in das fremde Land, mit Betonung auf die Fragen des Sohnes: Warum bekommen die Kamele zuerst Futter, und erst danach die Reisenden? Warum brechen wir so zeitig in der Früh auf? Warum gibt es in diesem Land dreieckige Häuser? Wer wohnt dort? Ich erzähle, die Kinder zeichnen. Als sich die (noch namenlose) Familie im fremden Land niedergelassen hat und der Bub die Schule besucht, kommt er eines Tages aufgeregt nach Hause: Wir haben die Götter gelernt! Die haben Tierköpfe! Und schließlich berichtet die Mutter: Wir können wieder in unsere Heimat zurück, der König ist gestorben! Und erst jetzt wird es den Schülern klar, dass es die Geschichte der Heiligen Familie war, die Flucht nach Ägypten, und die Heimkehr zeichnen sie nun selbst ins Heft.

Danach folgte die Geschichte des Saulus, angefangen mit seiner Kindheit in Tarsus, als wissbegieriger Schüler und neugieriger Hafenbesucher, der die Schiffrouten erfragt hat. Als er zum Studium nach Jerusalem kam, hat er sich hervorgetan bei der Verfolgung einer Sekte und dafür viel Anerkennung bekommen. Am Weg nach Damaskus wurde sein Weg unterbrochen von einem hellen Licht und einer Stimme. Und erst im Haus des Hananias wurde ihm klar, wer ihm da begegnet ist und wen er bisher verfolgt hat. Dann, selbst getauft und verfolgt, drei Jahre zurückgezogen zu neuerlichem Bibelstudium, lässt er sich, nachdem er Petrus kennengelernt hat, in Antiochien nieder und gründet selbst eine christliche Gemeinde. Und nun schreibt er nach langer Zeit einen Brief an seine Eltern. Den haben nun die Schüler in ihr Heft geschrieben!

Liebe Mama, lieber Papa!
Tut mir leid, dass ihr so lange nichts von mir gehört habt! Aber es geht mir gut. Ich heiße jetzt Paulus und lebe in Antiochien. Hier bin ich ein berühmter Mann geworden. Ich bin jetzt ein Christ, aber ihr müsst euch keine Sorgen machen. Das kam so...
Und Hananias ist jetzt mein Freund!

Das war der erste Brief des Apostel Paulus, der nicht im Neuen Testament, sondern in den Schülerheften steht. Kindertheologie von Zehnjährigen, in Worten und Bildern.

In der 3. Klasse wünschten sich Schüler, das Vater Unser verstehen zu lernen. Wir gingen den Text wortweise durch, ich schrieb jede Stunde nur einen kleinen Textteil an die Tafel:
Vater
Vater unser
Vater unser im Himmel

Wir verglichen den Text mit unserem alltäglichen Wortgebrauch und gingen der Frage nach, wer hier überhaupt spricht: Jesus, die Gläubigen, die Betenden.
Und zu wem gesprochen wird: Warum lässt sich Gott als Vater anreden?
Den ganzen Text durchzugehen brauchte gut ein Monat. Einige in der Klasse waren schon in der Firmvorbereitung, dort wurde das Vater Unser gebraucht. Am Ende des Jahres wurde das Thema von einigen als "Best Of" des Jahres genannt.
In der vierten Klasse allerdings, beim Jahresrückblick und Rückblick auf die ganze Unterstufe, wurde bemerkt, dass wir zwar das Gebet verstehen gelernt haben, aber doch nicht gebetet! Die Vierzehnjährigen haben das Gebet vermisst im Religionsunterricht.

Eine andere vierte Klasse hat von sich aus gewünscht zu meditieren. Die kecken Mädchen, die das wollten, setzten dann auch für die ganze Klasse durch, dass immer wieder fünf oder zehn Minuten Stille herrschte, manchmal auch länger. Es gab auch durchaus Rückmeldungen, was einzelne in dieser Zeit der Stille innerlich erlebten. Es war überhaupt eine Klasse, in der Erlebnisse wichtig waren, auch bei gruppendynamischen Bewegungsspielen. Noch heute kommen Schüler und Schülerinnen dieser Klasse, inzwischen Oberstufenschüler, am Gang auf mich zu und schwärmen von diesen Meditationen und bedauern, nicht mehr mich als Religionslehrer zu haben, und geben mir die Hand.

Meine letzte fünfte Klasse hat mich gefragt, wie denn die verschiedenen Religionen, die sie bisher bei meinen Lehrerkolleg:innen kennengelernt haben, untereinander zusammenhängen und worin die Eigenart unserer Religion besteht. Und in unserer Religion wollten sie die Apokalypse kennenlernen. Ich habe ihnen Bilder der Seckauer Apokalypse von Herbert Boeckl gezeigt und sie die Vorbilder dieser Gestalten selbständig im Text suchen lassen. Am meisten interessierte sie die Hure Babylon. Mit diesen Bildern gestalteten sie dann auf eigenen Wunsch die Adventmeditation für die ganze Schule, dafür zeichneten sie gruppenweise große apokalyptische Figuren und ließen sie im Festsaal auf unsichtbaren Angelschnüren von der Decke pendeln, zwischen denen dann bei Kerzenlicht Schüler am Morgen Platz nahmen. Den Lesetext wählten sie behutsam so, dass zwar die Hure im Zentrum stand, aber ohne genannt zu werden und ohne andere Schüler zu erschrecken.
Zur Belohnung gab es dann eine Klassenfahrt zum Stift Seckau und zum Österreichring in Spielberg in den letzten Tagen des ersten Semesters.

Eine sechste Klasse war theologisch sehr interessiert, fragte nach dem Glaubensbekenntnis und seiner Begründung. Wir begannen mit dem Johannesprolog, lasen dann (noch anonyme) Arius-Zitate, und Schüler:innen interpretierten sie frei und zustimmend. Sodann folgte die Aufklärung über die Wirkungsgeschichte der Theologie des Arius bis zu Nicäa und dem Symbolon. Ihr eigener Erkenntnisschwenk von Arius zu Nicäa beeindruckte sie, noch Jahre später nahmen sie darauf Bezug. In dieser Klasse waren mehrere Schüler:innen mit bosnisch-kroatischem bzw. slowenischem Familienhintergrund. So fuhr ich mit ihnen für eine knappe Woche (mit dem Nachtbus) nach Sarajewo, wo wir die knapp und friedlich nebeneinander wohnenden Religionen erlebten in der katholischen, orthodoxen Kirche, der Synagoge und der Moschee. Wir nahmen überall an Gottesdiensten teil und beobachteten die Architektur, Kleidung und Lebensart der Stadtbewohner. Zu Fuß durchstreiften wir die Innenstadt und die Hügel rundherum. Am letzten Tag besuchten wir das Tunnelmuseum, das vom Jugoslawienkrieg zeugt, und bemerkten erst jetzt die (inzwischen verputzten) Granatenlöcher in den Hausfassaden. Täglich feierten wir miteinander eine Laudes oder Vesper, und nach mitunter holprigem Zugang schätzen sie das Gebet schließlich doch sehr, als Zeichen religiöser Identität und Gemeinschaft (auch zwischen den Generationen).

Eine andere sechste Klasse fragte: Wollte Jesus eine neue Religion gründen? (Das ist inzwischen eine Maturafrage)
Diese Klasse wollte auch "Atheismus" kennenlernen. Sie definierten ihn als "Keingottglaube"!

Ein weiteres "Best Of" der 5. und 6. Klassen waren die Dilemma-Geschichten. Nach einigen (von mir standardisierten) Dilemmasituationen, für die Schüler in Gruppen Lösungswege suchen und begründen, folgt ein Aufriss von Lawrence Kohlbergs entwicklungspsychologisch formulierten Stufen der Gewissensbildung.

Du hast dein Studium abgeschlossen und fährst mit deinem Auto zu einer Abendveranstaltung, wo du einen Vortrag halten sollst. Du bist gut vorbereitet, dein Laptop liegt am Beifahrersitz. Du hoffst, dass dein Vortrag Beachtung findet und dass du an diesem Abend ein gutes Stellenangebot bekommst.
Du kennst die Straße nicht und musst dich konzentrieren, den richtigen Weg zu finden.
In einer Kurve siehst du Bremsspuren in die Wiese hinunter, und unten ein Auto stehen mit offenen Türen.
Kein Mensch zu sehen.
Was machst du?

In Gruppen werden Lösungen gesucht. Es zeigt sich, wie Jugendliche mit ihrer Entscheidung ihre Haltung bestimmen.
Nun ordnen die Schülergruppen ihre gewählten Lösungswege einer Entwicklungsstufe zu.
àPräkonventionelle àkonventionelle àpostkonventionelle Moral

In der Folge gibt es eine Serie neuer Dilemmageschichten, die sich am Schüleralltag orientieren: Mobbingsituationen in der Klasse, Liebesgeschichten mit weltanschaulichen Differenzen, Familiengeschichten mit auseinanderklaffenden Lebensweisen. Und Stunde für Stunde beraten sich Schülergruppen, um Lösungswege zu finden, und bestimmen und festigen dabei selbst ihre ethischen Prinzipien.

Nach dem Überfall der Hamas in Israel und dem darauffolgenden Gazakrieg werde ich in allen Oberstufenklassen nach den Hintergründen gefragt. Ich antworte mit der David-Goliat-Geschichte und den Philisterkriegen, bei größerem Interesse mit einer Israelgeschichte in Siebenmeilenschritten vom Exil in Babylon, der Tempelzerstörung durch die Römer, der folgenden Diaspora in Europa, Russland und den Mittelmeerländern bis Arabien, dem Osmanischen Reich bis zum Ersten Weltkrieg und schließlich dem Zionismus, der Gründung Israels nach der Shoah und der Gründung der PLO und dem Terror seit den Siebzigerjahren.

Im Herbst 2024 fragt mich die siebente Klasse nach der Nationalratswahl, an der die Jugendlichen erstmals teilnehmen. Ich antworte mit einer möglichst neutralen Geschichte der Parteien und unterscheide einige Wahlmotive: Klintelpolitik, Parteien als Förderer bestimmter sozialer und beruflicher Milieus; Wahl für erwarteten persönlichen Vorteil; Wahl für erwarteten Vorteil des ganzen Landes; Wahl bestimmter Persönlichkeiten, Wahl von bestimmtem Kommunikationsstil.

Regelmäßig zu den "Best Ofs" gehören die Reisegeschichten. Eine erste Klasse war vom Album mit den klassischen Fotoabzügen meiner Ägyptenreise beeindruckt (einige Schülerinnen hatten selbst eine Ägyptenreise erlebt), die achte Klasse vom Äthiopienalbum, denn eine Maturafrage thematisierte die Kirche Äthiopiens. Meine Erfahrungen mit dem Islam in Kaschmir, hinduistischem Tempelgottesdienst in Varanasi (Indien) und besonders mit dem Schamanen in Ecuador beschäftigten verschiedene Altersstufen.


Firmvorbereitung:
Vierzehnjährige zur Firmung zu begleiten zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Als ich noch Student und dann Deutsch- und Biologielehrer war, hatte ich Jugendgruppen im Jugendzentrum, dann in der Pfarre. Mit der Vorbereitung Jugendlicher auf die Firmung fand ich auch meine eigene Berufung zum Priester, denn diese außerschulische Arbeit war existenziell bedeutsamer als der Schulunterricht. Zu meinem zwanzigjährigen Weihejubiläum ging ich in meine Heimatpfarre zurück und rief die damaligen Jugendlichen zusammen, die nun Familien und Berufe hatten, um mit ihnen und meinen Weihekollegen eine Dankmesse zu feiern. Und wir legten den Prozess von Anfang an existenziell an.
Wir entwickelten ein Dreistufenmodell. Von der Reflexion auf sich selbst, die eigene Biographie, den eigenen Charakter und die Zukunftsvorstellungen (Ich-Erfahrung) gingen wir dazu über, uns miteinander zu beschäftigen, mit der Familie, den Freunden und deren Sicht auf mich (Du-Erfahrung). Und schließlich ging es um Gottesbegegnung: wir sammelten Momente des Staunens, der Dankbarkeit, Erfahrungen des Geführtwerdens. Eine große Rolle nahm das Spiel des Blindführens ein. Einer führte den anderen, der die Augen schloss, mit zwei Fingern an der Schulter behutsam durch den Park, über den Gehsteig, sogar ins Stiegenhaus und die Wendeltreppe des Pfarrhauses hinauf bis zur Pfarrerwohnung und wieder hinunter. Dann kam die Reflexion, ob man sich der Führung anvertrauen konnte, ob man noch wusste, wo man sich befindet, ob die Aufgaben zu schwierig waren. In diesem offenen Erfahrungsbezug lag bereits damals etwas, was ich später vertiefte und noch einmal ausführlicher besprechen möchte: der Zug zum Offenen.

Schon in der ersten Kaplanpfarre ging ich mit der Firmgruppe in den Stephansdom, um eine Bischofsweihe mitzufeiern (damals wurde Alois Schwarz geweiht). Und fuhr mit der Jugendgruppe für zwei Wochen in die Türkei, nach Istanbul und nach Assos, um Kirchen, Moscheen, den Basar, den Hafen zu sehen, an dem Apostel Paulus ein Schiff bestieg, und schließlich nach Troja. Wir wohnten in einer WG oder am Campingplatz. Die Jugendlichen machten ein Video mit einem Dokumentarfilm über Außerirdische, die all diese Bauwerke errichtet hätten, und interviewten einander als Forscher und Entdecker. Mit einer Oberstufenklasse war ich in der letzten Woche des Schuljahres, gemeinsam mit dem Latein- und der Geschichtelehrerin, in Rom: wieder eine Stadterkundung auf eigene Faust, der vorchristlichen, der frühchristlichen und der Stadt der Renaissance.

Später wurden meine Firmgruppen zu Aktionsgruppen, indem wir Gottesdienste anderer Religionen unserer Stadt besuchten: Moscheen, evangelische, koptische Kirche, eine Freikirche, eine buddhistische Pagode, ein Sikhs-Tempel, immer mit einer Begegnung mit Gläubigen, wenn möglich mit einem Gottesdienst. Natürlich wurde dann auch unser eigener Glaube thematisiert - in einem erweiterten Kontext. So standen die Firmkandidaten mit Aufnahmegeräten am Kirchentor und befragten die Gläubigen, warum sie die Sonntagsmesse besucht hätten und was sie mit nach Hause brächten. Und wir feierten eine Messe im Freien, auf der Wiese im Wäldchen, nur unter uns.
Andererseits fuhr ich mit der Jugendgruppe auf ein Zeltlager. Vierzehn Jugendliche mit vierzehn Jahren in Zelten auf einer Wiese beim Fluss, mit Lagerfeuer, gemeinsamem Kochen und kleinen Ausflügen. Buben und Mädchen nahmen Rücksicht aufeinander und waren auf einmal erstaunlich selbständig. Zur Selbst- und Gemeinschaftserfahrung kam nun die Naturbegegnung. Oder wir fuhren in eine große gotische Kirche und übernachteten drinnen am Steinboden. Zu Mitternacht schickte ich die Jugendlichen einzeln auf den Friedhof hinaus, um auf die Geister zu hören. Wenn sie zurückkamen, erzählten sie, was sie gehört und gesehen hatten.
Für all das brauchte ich natürlich gute Partner in der Pfarre, eine Mutter, die ihre Kinder mitnahm und sich auf diese Woche einließ. Auch für sie war es eine Erfahrung!

Zuletzt machte ich die Firmvorbereitung für drei Pfarren. Ich hatte 35 Jugendliche, die ich in zwei Gruppen am Sonntag Abend zusammenrief. Ich hatte sozusagen zwei Schulklassen im Pfarrsaal um den Tisch herum, und in der zweiten Reihe saßen noch einige Eltern, die ihre Kinder hergebracht hatten und selbst interessiert waren am Thema. Jeder der jungen Menschen hatte mir bei der Anmeldung einen Brief übergeben, wo er/sie mir schrieben, was sie von mir lernen wollten. Das machte ich dann in der Firmstunde.
Dort stand:
Was bedeutet die Firmung?
Ablauf der Firmung
Firmpate
Sonntagsmesse
Was ist Beten
Unterschied zwischen evangelisch und katholisch
ich glaube an Jesus, aber nicht an Gott
Unterschied zwischen Priester und Pfarrer
Tod
Kennenlernspiele, Ausflüge, Spaß

Und die Firmvorbereitung dieser Pfarren startete mit einer Silvesterwanderung auf den Ulrichsberg und einer Gipfelandacht. Der Abschluss war ein österlicher Emausweg mit 70 Firmkandidaten aus dem ganzen Dekanat von der Kirche über Waldwege zu einem nahen Bauern, wo es eine Erfrischung gab, und auf anderen Wegen zurück zu einer Andacht in der Kirche. Die Jugendlichen gingen mit einem für sie unbekannten Firmleiter, der von sich aus versuchte, über eines der Themen mit ihnen ins Gespräch zu kommen:
Jesus
Beten
Auferstehung
Bei der Andacht (die Jugendlichen stimmten ab, ob ich die Emausgeschichte vorlesen oder frei erzählen sollte) erzählten sie von ihren Wegerfahrungen und nannten, was sie nun von der Vorbereitung zur Firmung mitnehmen. Dazwischen spielte und sang ich Lieder von Kaplan Flury.

An dieser Stelle könnte ich darüber berichten, was all diese Ereignisse für die Erwachsenen bedeuteten, und das wird in verschiedener Weise noch ausführlich zur Sprache kommen. Zuvor möchte ich aber noch auf eine bestimmte Schule zu sprechen kommen, in der ich selbst Entscheidendes gelernt habe. In meiner Diakonatszeit und in den ersten Kaplansjahren unterrichtete ich in einer Waldorfschule Religion. (Das ist für diesen Schultyp nicht selbstverständlich, denn ansonsten hat man dort die Christengemeinschaft bzw. Ethikunterricht, und den hält oft der Klassenlehrer. Als konfessioneller Religionslehrer hat man also Konkurrenz und sollte zugleich anschlussfähig sein.)
Die Waldorfpädagogik ist sehr auf die Kindesentwicklung fokussiert, weit mehr als die Regelschule. Im Zentrum steht die Erfahrung des jungen Menschen bei der Erschließung der jeweiligen Stoffgebiete. Die Schüler:innen bekommen Zeit für ihre individuelle Auseinandersetzung, es gibt "Epochenunterricht", das sind zu mehreren Wochen geblockte Einheiten, in denen das jeweilige Semesterziel erreicht werden soll. Das gilt für all die Fächer, die vom Klassenlehrer unterrichtet werden, für Religion eigentlich nicht. Trotzdem übernahm ich diesen Rhythmus und nahm mir Zeit für einzelne Themen. Ein anderes Anliegen der Waldorfpädagogik ist die sprachliche, bildnerische und musische Weise der Erarbeitung des Lernstoffs, das eigenständige Gestalten. Da gibt es keine vorgegebenen Merktexte, Ausmalbilder oder Medienstrecken, sondern das Hauptmedium ist das Schulheft, glatt, A4-Format, möglichst viel Freiheit zum eigenen Gestalten ohne restriktive Vorgaben durch Linien oder Kästchen. Und das Hauptmedium ist die Schüler-Lehrer-Beziehung, das gegenseitige Vertrauen, die Kompetenz des Lehrers, sein Sprechen, seine Entscheidung über den zumutbaren und erwarteten Lernprozess. Hier lernte ich, Bibelgeschichten anschaulich zu erzählen, auch Bilder farbig an die Tafel zu malen, Sachverhalte mit der Tafelkreide grafisch zu strukturieren. Ich erinnere mich an eine Stunde in der Volksschule, als ich einen lebenden Laubfrosch mitbrachte. Ich hatte die Kinder auf dieses Tier vorbereitet. Nun zeigte ich es und öffnete das Glas. Atemlos bestaunten die Kinder das kleine Tier und dessen pulsierende Schallblase. Und plötzlich sprang der Frosch in hohem Bogen in die Klasse und landete genau auf der Stirn des neugierigsten und unruhigsten Buben der Klasse. Und wie besprochen, biss er die Zähne zusammen und rührte sich nicht, bis ich hinkam und den Frosch von seiner Stirn zurücknahm. Ein unvergessliches Abenteuer!
Genau diese Klasse begleitete mich später zur Priesterweihe im Stephansdom und saß auf Pölstern bei den Stufen des Presbyteriums, direkt neben mir, sodass wir Kontakt hatten während der ganzen Feier. Dieser Bub war ständig im Sicht- und Hörkontakt mit mir.
Die Waldorfpädagogik hat mich ganzheitliches Unterrichten gelehrt, spielerisch, künstlerisch, aber auch in großer Eigenständigkeit des Lehrers, der an kein Lehrbuch gebunden ist, keine vorgegebenen Unterrichtsmaterialien, sondern alles, was er braucht, selbst organisiert. Am besten gestaltet er es während des Unterrichts, zusammen mit den Schülern. Und sie hat mich gelehrt, dass der junge Mensch im Zentrum steht, seine Bedürfnisse, seine Entwicklungsfähigkeit, seine Grenzen, die anzuerkennen sind, um sie gegebenenfalls überwinden zu können. Ein Umgang mit Kindern in großer Freiheit und zugleich in großer Genauigkeit. Übrigens weiß ich von einer der Oberstufen-Schülerinnen, die damals nach Istanbul mitgefahren sind und Straßenszenen in der Altstadt gezeichnet und später bei einer Ausstellung in der Stadt ausgestellt hat, dass sie heute eine renommierte Schriftstellerin ist.

Erstkommunion-Vorbereitung:
Jedes Jahr sage ich den jedesmal erstaunten Eltern beim ersten Elternabend, dass das Sakrament, auf das wir jetzt zugehen, Eucharistie heißt und der sonntägliche Mittelpunkt der christlichen Gemeinde ist. Daher ist die Hauptstraße der Erstkommunionvorbereitung der Besuch der Sonntagsmesse. Ich verspreche sogleich, dass die Kinder immer angesprochen werden, wenn sie da sind. Manche Eltern macht das skeptisch, denn sie hätten lieber ein begrenztes Programm, das sie mit wenig Aufwand absolvieren können, besonders solche Eltern, die lieber den Schwerpunkt auf Bastelrunden oder sonstige Aktivitäten gelegt hätten. Es gibt einen starken Trend hin zu Beiläufigkeit und weg von der Gottesbegegnung, auch bei Mitarbeiter:innen. Man kann da mitschwimmen oder ein anderes Angebot dagegenstellen.
Seit einigen Jahren wende ich meine Methode des Bibelerzählens auch in der Erstkommunionvorbereitung an. Ich biete vier Jesus-Stunden an.
1. Geschichte ohne Namen
2. Die ersten Jünger
3. Das Monster in der Wüste
4. Die Auferstehung
Ich stelle Buntstifte und Zeichenpapier zur Verfügung und einen großen Tisch. Ich beginne mit der Geschichte von der Flucht der heiligen Familie nach Ägypten, ohne irgendeinen Namen zu nennen, weder von Personen noch von Orten, und achte darauf, ob irgendjemand eine Ahnung bekommt, von wem hier die Rede ist. In den letzten Jahren haben auch die Eltern selbst an diesen Stunden teilgenommen, auch sie erkennen die heilige Familie höchstens dann, wenn die Rede auf den verstorbenen König kommt. Eher ist darauf zu achten, dass Mütter nicht zu telefonieren beginnen oder eine eigene Unterhaltung anfangen. Aber es gibt auch Eltern, die selbst mitzeichnen und ihre Bilder auch in der Kirche aufhängen lassen.
Am folgenden Sonntag kann ich mithilfe der Bilder in der Kirche nochmals auf Jesus eingehen. Das gezeichnete Monster, das den Versucher in der Wüste darstellt, konnte ich bei mehreren Messen hervorholen und verschiedene Verführungen thematisieren, die bei der Beichtvorbereitung eine Rolle spielten. Kinder merken schnell, dass es viele Gründe gibt, Hausübungen, Zimmer aufräumen oder das Einhalten von Zusagen aufzuschieben oder auch am Sonntag länger zu schlafen, und die Eltern merken es mit ihnen. Bei der Erstbeichte können auch Kinder zusammen mit einem Elternteil kommen, wenn sie das wollen.
Nach dieser gemeinsamen Wegstrecke von Weihnachten bis zur Erstkommunionfeier ist wirklich eine Beziehung der Kinder zu Jesus entstanden. Zu Christi Himmelfahrt wurde ich besorgt von einem Mädchen gefragt: Muss das sein, dass Jesus uns verlässt? Darauf konnte ich von Herzen in der Predigt antworten.



3. Kreativität

Das Schülerradio

Ein großer Schritt zur Kindertheologie war das Schülerradio. Ermutigt durch die Neugier und Gestaltungslust der Firmkandidaten und Schüler:innen ging ich auf die Suche nach handlichen digitalen Aufnahmegeräten, bemühte mich um ihre Finanzierung durch die Kirchenleitung und suchte interessierte Religionslehrer:innen. Wir bildeten ein Team von zehn Lehrer:innen und bekamen ein Einschulungswochenende von der Religionsabteilung von Ö1. Roberto Talotta kam nach Villach und unterwies uns in der Handhabung der Geräte und warnte uns vor den technischen Fallen. Wir lernten geduldig, eine Sendung zu strukturieren, lernten, Interviews zu führen, Klassengespräche zu moderieren, lernten auch, ein Thema so zu entwickeln, dass ein unbedarfter Hörer an das Thema herangeführt wird und die Sendung versteht, auch wenn er nicht alles gehört hat. Wir wurden auf eine Sendungsdauer von 30 Minuten und auf 60 Minuten geschult, lernten, die Beiträge zu schneiden und mit Musik abzuwechseln. Mit Radio Agora, einem nichtkommerziellen freien Radio, wurden wir einig und bekamen einen wöchentlichen Sendungsplatz.
Und nun ging es los!
Es entstanden Sendungen wie:
▪ Krieg von einer 2. Klasse, im Gespräch mit Brigadier Polainer
▪ Gefängnis: Lehrausgang ins Polizeianhaltezentrum
▪ Tod: Interview mit Bestattungsangestellten und mit jemand, der eine Nahtoderfahrung hatte
▪ Krebs in der Schule: Erfahrungen mit einer betroffenen Schülerin
▪ seltene Sportarten: Klettern, Fechten, Bogenschießen
▪ Kriegskinder: Interviews mit Großeltern, die im Krieg aufgewachsen sind
▪ Die Bahai-Religion
▪ Weihnachten für Kinder
▪ Aids
▪ Verliebtsein
▪ Obdachlosenheim
▪ Internet-Beziehungen
▪ Rauchen macht frei
▪ Eine Absolventin unserer Schule ist Politikerin
▪ Sprache - verstehen wir uns?
▪ Messbesucher und Glaube
▪ Facebook
▪ Judentum
▪ Nonnen: Gespräche mit Kleinen Schwestern
▪ Palliativstation
▪ Bombenalarm in der Schule

Man sieht die Freiheit der Themen, die manchmal Schulthemen sind, manchmal Themen des Religionsunterrichts, manchmal auch private Schülerthemen. Immer sind es aber die Schüler, die sich mit ihren Fragen in das Thema hineinarbeiten. Meistens sind es Outdoor-Aktionen, Schauplätze wurden besucht, Gesprächspartner gesucht, zuweilen wird jemand in die Schule eingeladen, oder Lehrerkolleg:innen oder andere Schüler:innen sind Gesprächspartner. Doch immer ist es ein Projekt der Schüler:innen. Sie diskutieren über das Thema, überlegen sich Herangehensweisen, erarbeiten sich die schrittweise Umsetzung. Der Lehrer ermöglicht und unterstützt. Er schafft den Rahmen mit der Schulleitung und vermittelt zuweilen Gesprächspartner.

Die Spiele:

Did you touch me? habe ich selbst von den Schülern der vorigen Schule gelernt. Drei oder vier Schüler kommen heraus und geben das Kommando: Fall asleep. Alle schauen ein auf ihren Plätzen, den Kopf in der Armbeuge. Die Drei oder Vier schleichen nun durch die Klasse und berühren jemand heimlich. Wenn alle fertig sind und wieder vorn beisammenstehen, rufen sie: wake up! Und nun erheben sich die drei oder vier Berührten und müssen erraten, wer sie berührt hat: Maxi, did you tough me? Wenn ers war, tauschen sie Platz, und der Berührte ist jetzt draußen.
Was den Kindern gefällt: Es funktioniert ganz autonom, braucht keine Erwachsenen. Es ist ein Abenteuer, heimlich jemanden zu berühren, einen alten Freund, eine bisher noch nicht deklarierte Freundschaft. Eine scheue Berührung zwischen Bub und Mädchen. Ein wilder Ritterschlag zwischen Männern. Und es ist ein besonderes Ereignis, erwählt zu werden.

Ein Spiel für ungeduldige letzte Schultage: Simon says. "Simon says: stand on one leg." Alle stehen auf einem Bein. "Simon says, sit down." Alle setzen sich. "Get up!" Wer jetzt aufsteht, scheidet aus. Nur mit "Simon says" ist es ein gültiger Auftrag. Bei übermütigen Lehrern gibt es Aufträge wie "visit the neighbour class" oder "bring a massage to the other class". Beim zweiten oder dritten Spiel bekommt ein Schüler das Kommando.

Von Schülern oft gewünscht: Stadt-Land. Bei mir geht das ohne Zettel. Zwei Teams sitzen um Tische herum. Ich wähle zwei Schüler der ersten Mannschaft, einer sagt "los!", der andere nach einer Weile "halt". Dazwischen sage ich in Gedanken das Alphabet auf, "halt" markiert den Buchstaben, bis zu dem ich gekommen bin. Diesen schreibe ich an die Tafel. Die andere Gruppe beginnt und nennt eine Stadt mit diesem Buchstaben, die Gruppen nennen abwechselnd. Wenn eine Gruppe zu lange nachdenkt, beginne ich, den Countdown mit den Fingern herunterzuzählen. Die Siegergruppe bekommt einen Stern an der Tafel.
Man muss vorher besprechen, dass Städte nicht Hauptstädte sein müssen, aber auch keine Dörfer. Bei Ländern muss geklärt werden, ob das Staaten sein müssen; Landstriche, Inselgruppen sind uneindeutig.
Meistens gewinnen dieselben Schüler, die erforderlichen Begabungen sind eng begrenzt.

Mein besonderes Spiel, über Jahre hinweg entwickelt: Raumschiff.
Schüler setzten sich in Gruppen (mindestens vier) um einen Tisch, der das Raumschiff ist, und suchen einen Namen für das Raumschiff. Sodann bekommt jeder im Team eine bestimmte Aufgabe: Commander, Pilot, Techniker, Wissenschaftler, Koch...
Ich schreibe die Namen der Raumschiffe an die Tafel.
Nun kommt die erste Aufgabe. Dafür müssen sich alle einloggen, indem sie beide Handflächen auf den Tisch legen. Ich bin der intergalaktische Zentralcomputer und verkünde die erste Aufgabe: Im Sternbild der Stiere sind die Stiere ausgebrochen. Sie trampeln über das ganze Firmament und beschädigen andere Sternbilder. Viele Sterne sind schon heruntergefallen. Sucht schnell eine Lösung!
Nun wird in den Gruppen beraten, wie der Fall gelöst werden kann. Wenn die Mannschaft eine Geschichte hat, stehen sie auf. Ich registriere die Reihenfolge. Wenn alle stehen, beginnt die erste und schnellste Mannschaft und erzählt ihre Lösungsgeschichte. Wenn ich alle Lösungen gehört habe, loggen sich wieder alle ein zur Datenübertragung, und der Zentralcomputer wählt die beste Lösung aus. Dazu summe ich so wie ein alter Commodore-Computer. Die Kriterien sind: Lösung des Problems, alle im Team beteiligt, phantasievoll, spannend, gut erzählt. Ein Beispiel: Der Techniker baut ein Weltraumlasso, damit fängt der Pilot die Stiere ein und bringt sie zurück. Der Koch macht ihnen eine beruhigende Suppe, währenddessen baut der Wissenschaftler einen Elektrozaun um die Himmelsweide. Dann streift die ganze Mannschaft über das Firmament und klaubt die herabgefallenen Sterne auf und hängt sie wieder an ihren Platz.
Wenn die Mannschaft mit dieser Geschichte die Runde gewonnen hat, setzt die nächste Runde bei dieser Lösung fort.
Zum Beispiel: Als alle auf der Erde zurück sind, sehen sie, dass sie das teure Lasso auf der Weide vergessen haben. Sie fahren zurück, um es zu holen. Aber der Minotaurus hat es im Labyrinth versteckt und bewacht es, um Menschen anzulocken.

Das Spiel ist beliebt von der ersten bis zur achten Klasse.
Ich hatte schon Teams mit einem Weltraumseelsorger, einer Sprachenexpertin, die alle Sprachen spricht, einer Tänzerin, die alle überzeugen kann, oder einem Schamanen, der mit den Geistern spricht.
Ich hatte Lösungen, die in der Bekehrung des Bösewichts bestanden, in der Hochzeit mit der Sternenprinzessin oder im Friedensvertrag mit den Klingonen.
Es ist vorteilhaft, wenn der Lehrer zumindest einige Folgen von Raumschiff Enterprise gesehen hat und wenigstens für den Start schon eine Idee hat für die erste Aufgabe. Es können beliebig religiöse Elemente einbezogen werden, z.B. beobachtet der Zentralcomputer zu Christi Himmelfahrt ein humanoides Objekt, das sich von der Erde aus quer durchs All bewegt und die Grenze des Alls durchstößt und dort ein Loch reißt, woraufhin die umliegenden Sterne ins Vakuum hinausgezogen werden.
Beim ersten Mal muss zuerst der Weltraumführerschein gemacht werden, wozu drei Aufgaben gut gelöst werden müssen. Dieser ist dann jedes Mal mitzuführen, damit der Lehrer abgesichert ist, falls es zu Unfällen oder Pannen im All kommt.
Ganz deutlich ist die Phantasie der Gewinn beim Spiel. Kinder bauen blitzschnell Abenteuergeschichten und finden zu eifriger Teamarbeit, indem die Begabungen der anderen Mitspieler geschätzt und einbezogen werden. Der Gedankenflug durchs Weltall und die Abenteuer mit Monstern und absurden Situationen werden sehr lustvoll erlebt.

Ein weiteres Spiel, das ich zuletzt mit einer vierten Klasse bis zum Exzess gespielt habe, ist Labyrinth.
Zwei Schüler verlassen die Klasse. Am Gang besprechen sie, wer von beiden blind ist und wer ihn/sie führt, und sie besprechen und testen die stummen Zeichen mit dem Finger auf der Schulter. Inzwischen verschieben die anderen in der Klasse die Tische und Stühle und bauen ein Labyrinth, durch das der Blinde hindurchgelotst werden muss. Es gilt: keine Hindernisse unterhalb der Tischplatte (keine Stühle oder Taschen im Weg). Am Ziel steht ein:e Schüler:in und hält die Hände vor zum Abklatschen. Die Schüler der Klasse sitzen auf den Tischen und beobachten lautlos. Wenn alles bereit ist, hole ich das Schülerpaar vom Gang herein. Gewitzte Klassen verdunkeln die Fenster, damit der Blinde sich nicht an der Fensterseite orientieren kann. Wenn das Ziel erreicht wurde, gibt es eine kurze Befragung von blinden, führenden und beobachtenden Schülern nach Schwierigkeitsgrad, Angstgefühlen und Kommunikation innerhalb des Zweierteams.
Die Schüler nennen deutlich die vertrauensvolle Kommunikation zwischen den beiden als Ziel des Spiels. Und sie erweitern ihre Raumorientierung und schärfen alle ihre Sinne, denn bei geschlossenen Augen hört und spürt man gut!



4. Kindertheologie für Erwachsene


Der Querblick:
Ich sitze auf der Terrasse des Restaurants, im Gespräch am Tisch, und sehe hinten die Glastür aufgehen, und eine Mutter kommt heraus mit einem Kleinkind an der Hand. Das Kind erblickt mich und winkt mir.
Ich habe beide nie zuvor gesehen.
Bin auch zum ersten Mal hier.
Meine Gesprächspartner merken nichts davon, nicht einmal, als ich zurückwinke.
Später kommen die beiden wieder zurück, wiederum winkt mir das Mädchen.

Ein Sechsjähriger kommt mit den anderen Ministranten, stellt sich vor mich hin, sieht mich an und fragt: Darf ich auch zur Ministrantenstunde kommen?
Sein älterer Bruder hat ein paar Monate ministriert, sein Vater ist Mitarbeiter und kommt gelegentlich zur Sonntagsmesse. Bis zum Schulbeginn hat der Bub mit Fremden kein Wort gesprochen und ging nur neben der Mutter. Er hat sich von sich aus um diesen Dienst bemüht und um die Gemeinschaft mit den anderen Kindern. Die anderen berieten, was der Neue am besten zuerst lernen soll. Er kam ungefähr ein Jahr lang, gelegentlich mit dem Vater, manchmal mit der Großmutter oder mit den anderen Kindern, meist jedoch alleine, von zu Hause etwa 15 Minuten durch den Wald zur Kirche. Mit der Mutter kam er nie.

Ich habe Gangaufsicht, spähe in die zweite Klasse hinein (die ich nicht unterrichte), Kinder winken mir und kommen heraus: der und der ist heute schlecht drauf, sagen sie mir grinsend, der Bezeichnete kommt auch grinsend dazu, ich frage nach, er sagt, habe die Wiederholung nicht gewusst, ich frage, jetzt ist 10 Uhr, wirds heut noch besser? Er sagt, ja schon, die anderen bezweifeln, ich frage, wirklich? Er sagt: bestimmt!
Einmal haben sie zu mir gesagt: Sie sind so lustig!

Am Gang kommen zwei Schüler auf mich zu, etwa dritte Klasse (ich unterrichte sie nicht), sagen zu mir: Ich kann nicht mehr lernen. Früher hatte ich kein Problem, aber jetzt komm ich nicht mehr mit. Ich sage: Wollt ihr mirs genauer erzählen? Sie sagen: Wir probierens noch einmal. Wochen später sagen sie mir: Es ist besser geworden, ich hab jetzt einen Einser.
Warum sagen sie mir das überhaupt?
Haben sie gehört, dass ich voriges Jahr in der Vierten ein bisschen Lernhilfe gegeben habe? Dass ich mich nach ihren (ineffizienten) Lernmethoden und Fortschritten erkundigt habe? Kinder nehmen mehr wahr, als man denkt.
Und artikulieren ihre Hoffnung.
Kindertheologie.


Wort am See:
Eine junge Frau, die ich vor Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder zur Firmung begleitet habe, mit dieser Firmgruppe bin ich nach Assisi gefahren, ist jetzt Schauspielerin und performt selbstgeschriebene Texte. Ich habe sie eingeladen, einen eigenen Text zum Heiligen Geist zu machen und zu Pfingsten in der Messe darzustellen, und sie sagte zu. Der Wortgottesdienst war dann entsprechend reduziert, nur ein oder zwei Sätze vom Evangelium, im Mittelpunkt ihre Performance. Und es war ein Text über die persönliche Umkehr, das Zu-sich-Kommen, das Gestärkt-werden, über persönliches Wachstum, sehr berührend von einer Gefirmten zu Pfingsten zu hören.
Der Gesang folgte an diesem Sonntag dem "Woodstock"-Stil: einer singt vor, alle wiederholen im Chor. Bei dieser Methode braucht man kein Liederbuch, niemand muss den Blick abwenden, die Gläubigen sind stark mit dem aktuellen Ereignis verbunden, hören zu, sind gegenwärtig, antworten spontan. Die Texte sind einfach:
Mein Geist. Dein Geist. Heiliger Geist.
Heilig, heilig, heilig.
Lamm Gottes.

Die Menschen waren stolz auf diese junge Frau aus ihrer Mitte, und soetwas haben sie in ihrer Dorfkirche noch nicht erlebt.

Einige Monate später gab es eine Poetry-Performance mit dieser Frau auf meiner Terrasse in der grünen Landschaft in der Nähe des Sees. Dazu holte sie andere Poetry-Darstellerinnen und einen Musiker. Es wurde ein froher, auch nachdenklicher Sommerabend mit begeisterten Gästen. Alle präsentierten persönliche Ich-Texte, die jeweils eine Erfahrung darstellten, die ein Schwanken war, ein Hin-und-her-Überlegen, etwas nach allen Seiten Umdrehen, ein Erwägen, ein Versuch, etwas Schwebendes darzustellen in der Abendsonne mit dem Blick über das Tal. Mit der Perspektive der Kindertheologie kann ich sagen: Ereignisse der Menschwerdung!

Der Vizebürgermeister begegnet mir im Flur des Gasthauses. Beide sind wir ungeplant dort, ohne mit jemandem verabredet zu sein. Wir setzen uns an einen Tisch, er zeigt mir Fotos von Literaturförderern seiner Gemeinde, nach denen jetzt Straßen und Plätze benannt sind. Zeigt mir das Grab dessen, der den großen Literaturpreis des Landes ins Leben gerufen hat. Ob nicht im neuen Haus der Begegnung ein neuer Literaturpreis entstehen könnte. Für Jugendliteratur, sage ich. Es gibt schreibende Jugendliche. Junge Künstler und Dichter. Er ist interessiert. Ich sage: Die Gymnasien der Region sind untereinander vernetzt. Jede Schule hat eine Bibliothekarin. Sie suchen nach Schreibtalenten in ihrer Schule. Wir reden über eine Jury, wir reden über einen Einreichtermin und einen Veranstaltungstermin. Ein bisschen reden wir über Kosten. Ich sage: Junge Menschen schreiben nicht für Geld. Ja, eine Belohnung ist schön. Aber was ihnen hilft, ist Aufmerksamkeit. Dass man ihnen zuhört. Sich ihnen zuwendet, ihre Geschichten mitgeht, sie ernst nimmt. Sie schreiben, und wir können ihnen eine Öffentlichkeit bereitstellen.
Wir beide sind begeistert. Wir entwickeln etwas Neues. Es geht ins Offene. Wir sind mit diesem Offenen vertraut. Es belebt uns und unsere Arbeit. Wir sehen einen Schatz, der noch im Acker ist. Wir freuen uns schon mit denen, die ihn finden werden.
Kindertheologie.

Musik im Gottesdienst:
Man kann Musik als Behübschung von Gottesdiensten verstehen, als Verzierung, als "Umrahmung", wie ich zuletzt oft gehört habe. Ist damit gemeint, dass Gottes Wort nicht schön wäre? Oder dass Christi Selbstauslieferung von uns eingerahmt werden muss, sozusagen, um verträglich zu werden?
Schöne Musik im Gottesdienst kann der Erbauung und dem Seelenfrieden dienen. Sie kann die Botschaft des Evangeliums weitertragen. Kindertheologie würde ich es aber erst dann nennen, wenn dabei etwas Neues entsteht, eine neue Qualität. Wenn zum Beispiel ein Jazzmusiker für eine Messe komponiert und mit Jazzmusikern in der Kirche spielt. Das ist eine Grenzüberschreitung. Das beginnt schon bei der für Jazzer ungewöhnlichen Tageszeit. Eine Kirche hat eine ganz andere Akustik als ein Jazzlokal. Aber auch die Situation ist ganz anders, eine Sonntagsgemeinde ist solche Musik nicht gewohnt, ist überrascht, hört mit neuen Ohren. Die Musiker müssen die Hörer erst überzeugen. Andererseits ist eine Sonntagsgemeinde kein Konzertpublikum, das auf den Plätzen sitzt und nach jeder Nummer applaudiert. Eine Messe ist Aktion, die Menschen bewegen sich, antworten. Man kann das Liedschema zurücklassen. Musiker können während der Schriftlesungen spielen, bestimmte Passagen hervorheben. Während des Hochgebets. Es kann improvisierte Wechselgesänge mit den Gläubigen geben. Die Kindertheologie zeigt: hier ist Begegnung und Bewegung, und hier ist Entwicklung.

Stellen Sie sich vor, sie hören Pink Floyd in der Sonntagsmesse. "Dark side of the moon", und Sie stellen sich ein Mondraumschiff vor und erinnern sich an Schul- oder Studentenzeiten. Vor Augen haben Sie jedoch den gewohnten Kirchenraum, und irgendwo an der Seite stehen Musiker und spielen diese Musik, und den einen oder anderen kennen Sie vielleicht. Eine Entrückung. Oder Sie hören "Time", und im Evangelium spricht Jesus vom Himmelreich. Da kommen Welten in Bewegung! Kennen Sie Elvis Presley's "Love me tender"? Singen Sie einmal dieses Lied mit dem deutschen Sanktus-Text! Es ist, als wäre diese Musik für die Kirche gemacht.

Eines der radikalsten Ereignisse waren die Geräuschmessen. Musiker sind aufgefordert, zu spielen ohne einen Ton, ohne Melodie. Eine ganze Messe nur mit Geräuschen. Da braucht man ein großes Repertoire und ein Konzept. Und der Priester spricht nicht (Sprechton), sondern flüstert tonlos (aber mit Mikrophon). Alle Texte sehr reduziert, nur das Wichtigste. Die Kirche finster. Aus wenigen Worten und Klängen entsteht im Hörer eine Welt. "Adam, wo bist du?", fragt die Lektorenstimme im Dunkeln, wiederholt einige Male sehr eindringlich. Stille. Die Frage in die Stille. "Adam?" Mehr braucht gar nicht vorgetragen werden von der Lesung am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria. Und wenn im Evangelium der Engel Gabriel erscheint vor Maria, hat der Hörer bereits die ganze Begegnung vor sich. Lass ihn erscheinen und hör ihm zu! Vielleicht ein Hauch, vielleicht ein Gong, wenn er ansetzt zur Botschaft, vielleicht ein geräuschvolles Luftschnappen. Ein kräftiger Atemzug.
Es entsteht ein neues Hören. Hören wird zum Abenteuer. War das Musik? Oder ein Geräusch von draußen? Knarrt die Bank, oder ist das absichtlich produziert? Die Reduktion öffnet den Geist. Er kommt und beginnt zu suchen, tastet den Raum ab, das Geschehen, die Menschen im Raum, die eigenen Vorstellungen, die Erinnerungen. Befürchtungen melden sich, Ungeduld regt sich, sinkt wieder zurück, weicht der Neugier. Wenn die Menschen nach der Geräuschmesse hinaustreten in die abendliche Stadt, gibt es kein Geplauder wie sonst. Still gehen sie, bewegt und ergriffen.

Zusammenfassung:

Man könnte es so ausdrücken: die Kindertheologie setzt Prozesse in Gang, die unabsehbar sind. Menschen richten sich auf, werden neugierig, beginnen zu suchen und zu fragen. Kindertheologie will nicht unterhalten, sondern aufrütteln, sie will nicht bestätigen, sondern in Frage stellen, sie will nicht wiederholen oder fortsetzen, sondern neu beginnen. Und Kindertheologie hat kein Ziel, das einmal erreicht werden kann, sodass sie abgeschlossen wäre. Kindertheologie geht stets ins Offene. Kindertheologie ist sozusagen Gleichnis vom Himmelreich in Dialogen und Ereignissen. Dialoge sind keine Frage-Antwort-Spiele, kein Abprüfen des Verstandenen, wie Erwachsene sogleich befürchten, wenn sie vor allen gefragt werden. Dialog ist tastendes Sprechen ins Offene, Dialog ist Ahnung der Wahrheit.
Und Kindertheologie aktualisiert sich fortwährend selbst, z.B. im unerwarteten Querblick, der durch alle Konventionen und Umstände hindurchgeht. Natürlich stellt Kindertheologie junge Menschen und neue Ideen in die Mitte. Kindertheologie ist sozusagen die Zuwendung zu ihnen, das Hinhören, denn sie sprechen zu uns. Dazu gehört Mut. Denn Kindertheologie kostet etwas. Sich auf Kinderwort einzulassen ist ein Wagnis. Man muss sich herunterbeugen und sie ansehen. Auf sie zugehen, sich auf sie konzentrieren. Dazu müssen Widerstände überwunden werden, in mir und meiner Umwelt. Zuhören ist nicht der Normalfall.
Kindertheologie hat Gegner.
Denn Kinder kommen zum Bestehenden wie Fremde. Sie sind nicht mit den Konventionen verabredet und nicht mit Traditionen verbündet. Es liegt ihnen nichts daran, die alte Welt weiterzutreiben. Sie sind ja eine neue Welt. Wenn du nicht neu geboren wirst, sagt Jesus zum Pharisäer, der sich gegen das Neue sträubt und beim Bekannten bleiben will, obwohl er merkt, dass das nicht genügt. Er hat Widerstände in sich. Die Kindertheologie begegnet Widerständen. Es gibt keine Kindertheologie ohne Widerstände, am meisten von den Gläubigen und Pharisäern. Die Widerstände sind sozusagen ihr Wahrheitsbeweis. Die Neugier der Kinder und der Widerstand des Bestehenden, das sich gegen Entwicklung sperrt. Das Bestehende erträgt nicht das Unabsehbare.
Die Unruhe der Kinder strengt an.
Die Unbekümmertheit der Kinder weckt Neid.
Die ältere Generation wird neidisch auf ihre Freiheit.
Die Kinderruhigsteller werden misstrauisch.
Eltern sträuben sich gegen den sonntäglichen Messbesuch.
Priester wehren sich gegen neue Wege, die wirklich begangen werden.
Die Kirchenleitung fürchtet Unruhe und meidet das Wagnis.
Sie sucht das Publikum, nicht die Neugeburt.
Sie dient vorherrschenden Meinungen, nicht der Offenbarung des Himmels.
Gott wusste das, als er sich entschied, ein Kind zu werden


5. Biblische Beobachtungen:

Lukas lässt die Heilsgeschichte mit dem Loblied eines Vaters beginnen, dem gerade ein Kind geschenkt wurde. Du, Kind, redet er seinen neugeborenen Sohn an und nennt ihm die vergangenen und künftigen Heilstaten Gottes, in deren Mitte er seinen Sohn sieht, den Propheten des Höchsten. Der Weg, den das Kind betritt, wird der Weg des Herrn. Ist noch nicht, wird. Zu dieser großen Vision inspiriert der Prophetensohn den Priestervater. Mit dieser Vision läßt das kirchliche Stundengebet jeden Tag beginnen. Jeder Tag mit dem vom Kind inspirierten Erwachsenenblick.
Wir können getrost den bürgerlichen Blick auf die biblischen Kindererzählungen beiseite lassen. Sie konnten in dem erhofften Kind nur die Bestandssicherung der Alten sehen, die antike Pensionsvorsorge. Aber Kinder sind gerade nicht die Fortsetzung des Bisherigen. All die biblischen Geschichten erzählen doch gerade das Neue, völlig Unerwartete und Unabsehbare, das durch Josef, Samson, Samuel, David, Maria, Johannes in die Welt trat und sie heilsam veränderte. Ihr Leben wird als Kindergeschichte erzählt. Sie bringen die Geschichte an den Rand des Möglichen, ja darüber hinaus. Sie vergrößern die Welt


6. Ins Offene:


Das ist der Ort, wo wir uns treffen.
Die Kinder und ich.
Ich versuche, Fotos zu machen am Yang-tse in der Nacht. Ich sehe das schwache Licht vom milchigen Mond, das auf den Wellen glitzert, und zuweilen ein paar beleuchtete Häuser am Ufer. Ich weiß nicht, ob man das sehen kann auf den Fotos. Es wird ein bisschen mehr sein als Nichts. Wenig genug, um dem Denken Raum zu geben. So wie die Geräuschmesse. Plötzlich sehe ich im Finstern, während wir uns dem Tianzhu Feng nähern, auf dessen Gipfel Zhu Di, der dritte Ming-Kaiser, Paläste, Dao-Tempel und -Klöster errichtet hatte. Hier erfand der Mönch Zhang Sanfeng das Schattenboxen, indem er auf daoistische Weise Aktion mit Nicht-Aktion kontrollieren konnte.

"Kannst du deine Kraft einheitlich machen und die Weichheit erreichen,
dass du wie ein Kind wirst?"
Tao Te King (Lao Tse)


7. Nochmals drei Begegnungen:


"Du bist ja ein Promi hier!", raunte Katharina, die gesehen hatte, wie ich schon nach den ersten freien Schritten am Bund in Shanghai von einer chinesischen Familie freundlich angesprochen und um ein gemeinsames Foto gebeten wurde, und später wiederum, aus der Reihe der Langnasen gerade ich erwählt und von dem Buben mit einem strahlenden Lächeln bedacht und später nochmals begrüßt.
Am Rückweg von meinen fotografischen Meditationen im Kaiserpalast von Peking zu unserem Gruppentreffpunkt fiel mir eine große Kindergruppe auf, und ich pirschte mich heran. Doch im Nu hatten sie mich entdeckt, die Kinder und ihre jugendlichen Begleiter, und umringten mich. Und schon war ich der Fotographierte, und ein großes Händeschütteln rundum, und jeder wollte ein paar englische Sätze sagen. Und als wir uns schließlich voneinander gelöst hatten, war meine Reisegruppe schon weitergezogen...
Und heute Nacht am Flughafen von Peking. Ich hatte meine Sitznachbarin gefragt, ob sie auf meinen Rucksack achten könnte, während ich zum WC ging. Auf einmal war er neben mir gestanden, um mich zur "Halle der Harmonie" zu geleiten. Im Nu war auch die andere Familie mit einbezogen, die unsere englischen Worte gehört hatte und auf dem Weg zur Eisenbahnbaustelle in Serbien war, undi dann noch eine weitere, am Rückweg via Seoul nach Vancouver. Mir wurde die größere Schwester vorgestellt, die in Illinois Kinder-Anthropologie studierte. Das Werden des Menschen in Beziehung zu anderen.
Als sich Mutter und Schwester anstellten und mein Rucksack eingereiht war, stand der Neunjährige vor mir und nannte mir seine chinesischen Lieblingsspeisen. Als ich nicht sicher war, ob ich das schon gegessen hatte, suchte er Fotos am Handy der Mutter. Schließlich stellte ich ihm meinen Lieblingssport vor, das Bogenschießen. Er sah sich nachdenklich die Bilder von den Gummitieren an und erkundigte sich, wie scharf die Pfeilspitze wäre. Nach der Verabschiedung winkten wir uns minutenlang durch den ganzen Saal.

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Samstag, 15. Oktober 2011

Josef Mitterers neues Denken und unser alter Glaube

Nun sind endlich, nach zwei Jahrzehnten, seine beiden wichtigsten Bücher neu erschienen, und nach einigen Zufälligkeiten, dass dieser und jener Journalist in dieser und jener Zeitung sich entschied, darüber zu berichten (wie er selbst sagt), wird sein Denken auch von der philosophischen Kollegenschaft wahrgenommen. Es sind verhältnismäßig schmale Bände, „Das Jenseits der Philosophie“ und „Die Flucht aus der Beliebigkeit“, und sie benötigen kaum Fremdworte oder Fachvokabular, um ihre sehr radikalen Thesen darzustellen.
Die abendländische Philosophie, und im Anschluss erst recht die moderne Naturwissenschaft, würde immer von einem Gegensatz zwischen Denken und Sein ausgehen. Hier der menschliche Geist, dort die Natur, die er zu erkennen versuche. Aber diesen Gegensatz, den Mitterer als dualistisches Denken bezeichnet, macht das Denken. Es gibt keine Welt der Dinge, und daneben eine Welt ihrer Beschreibungen. Josef Mitterer, Philosoph an der Universität Klagenfurt, schlägt eine andere Art des Sprechens und Erkennens vor: das nondualistische Denken. Hier nimmt man den Gegenstand, über den man etwas sagen möchte, als bisherige Beschreibung, z. B. einen noch unbekannten Berg. Aber das Unbekannte wird bereits als ein Berg beschrieben, mit einer bestimmten Umgebung usw. Die Untersuchung soll nun diesen Berg erkunden, seine Höhe, seine Zusammensetzung und Geschichte. Der bisherigen Beschreibung wird somit eine weitere, spätere hinzugefügt. Nun hat der Berg einen Namen und gilt als bekannt und erschlossen. Die Erkenntnis findet zugleich in der Sprache (Beschreibung) und am Berg statt. Beides zusammen ist die Wirklichkeit. Es gibt keine Trennung zwischen Sprache und Wirklichkeit. Was hat das alles mit Religion zu tun?

Vor fast tausend Jahren hat der Benediktinermönch Anselm von Canterbury über Gottes Größe betend meditiert. Gott sei so groß, dass seine Nichtexistenz undenkbar wäre. Ein monotheistisches Gottesbild ist universal und transzendent. Die Grenzen unseres Denkens sind Gott nicht angemessen, zwischen hier und dort, zwischen früher und später, auch nicht die Grenze zwischen Gott bloß denken und Gottes wirklicher Existenz. Mit Josef Mitterer sage ich: Der Gläubige, der Gott begegnet, fügt den bisherigen Beschreibungen (Zeugnissen) eine hinzu: Dieser Gott, den die Väter bezeugen und zu dem Jesus betet, erweist sich auch in meinem Leben als liebender und lebendigmachender Gott. (Betende) Sprache und Wirklichkeit sind nicht zu trennen.

Dienstag, 19. August 2008

In seinem Element

Vielleicht koennte das ein Schluessel sein zu dem, was ein "geistlicher Beruf" bedeutet: Dieses Schweben zwischen Himmel und Erde wie im Netz, in dem man hunderte Meter entlang des Felsens hochgezogen wird zu den Meteora-Kloestern. Oder das Bewusstsein, dass Wasser traegt und begehbar ist, sodass man das Boot zu verlassen bereit ist.
Aber das alles ist nicht bloss ein Entschluss, der Beschluss, ein Wagnis einzugehen. Ganz deutlich ist in beiden Bildern die Gegenkraft, von der einer entgegen aller Erfahrung erfasst wird. Und beide Male ist es ein Vektor, der nach oben weist.

Natuerlich besteht der Stoff eines Priesterlebens in der Liebe zur Eucharistie, im Umgang mit den Menschen, in der Treue zum Gebet oder in organisatorischen Faehigkeiten, verbunden mit innerer Festigkeit und der Hinordnung auf das Kirchenganze. Aber sind das nicht die Eigenschaften innerhalb des Bootes? Seemaennische Faehigkeiten. Das Geistliche aber ist das Hinausgehen aufs Wasser, auf den Zuruf hin.

Vielleicht erklaert sich so, warum der Anteil von Reflexionsverweigerern, Unangepassten oder Gottesnarren seit Jahren immer groesser wird. Unter den Kandidaten immer mehr solche sind, die lange Zickzackwege hinter sich haben, auch manche Scheitergeschichte. Natuerlich muss geprueft werden, ob nicht gerade noch die buergerlichen Sicherheiten des Berufs wie eine Planke sind, nach der der Ertrinkende greift. Ob nicht vielleicht auch die Amtierenden sich zu sehr von diesen Sicherheiten bestimmen lassen und dadurch den Gemeinden ein entsprechendes Bild von Amt einpraegen. Denn der Schwankende, Irrende und Wagende kann gerade das gelernt haben, sich schnellstens vor dem naechsten Wellengang ein festes Stueck zu ergreifen und sich daran festzuklammern: ein fester Gebetsrhythmus oder die Zuneigung von Menschen -- oder aber er hat das Element selbst kennen gelernt, auf dem das Boot schaukelt, und geht zuweilen darauf ein paar Schritte.

Um dem Bild einen Rahmen zu geben, ist zu sagen, dass dieses elementar Geistliche natuerlich keineswegs auf ein bestimmtes Amt beschraenkt ist. Schon die Verheissung, die Brautleute einander sind, verweist sie auf das Wasser hinaus, auch der Mut, Kindern Leben zu schenken, auch andere verantwortliche gesellschaftliche Aufgaben. All das steht ja dem extremen Individualimus entgegen, mit dem unsere Zeit dem Menschen eine Palette von Wahlmoeglichkeiten aller Eventualitaeten bereitstellt und damit das Boot mit Decks und Aufgaengen vollraeumt, bis jeder seine eigene Abteilung hat. Aber vom Walten des Elements ist das alles gleich nahe oder gleich weit entfernt.

aus Delphi

Donnerstag, 4. Oktober 2007

das inkarnatorische defizit

O Gott, du hörst meine Worte und siehst meinen Aufenthalt. Du kennst meine geheimen und meine offenbaren Werke, und nichts von meinem Leben bleibt dir verborgen. Ich bin elend und arm, ich rufe zu dir um Hilfe und Beistand, in Furcht und Ängstlichkeit, und ich bekenne und gestehe meine Schuld, Ich bitte dich, wie ein Elender bittet.
So betet ein moslemischer Wallfahrer in Mekka oder in Damaskus. Der Betende weiß, wer er vor Gott ist, und er weiß um die Unordnung seines Lebens und bittet Gott, es in Ordnung zu bringen. Was ihn aufrichten wird, ist die Größe und Barmherzigkeit des Gottes, zu dem er betet. Die Ungerechtigkeit der Welt kann Gott gerecht machen. Der Betende hat Gotteserkenntnis und Menschenkenntnis. Das ist viel.
Aber ein Christ weiß mehr. Dass Gott den Menschen schafft, dass er ihn liebt, dass er sich seiner treu und barmherzig annimmt. Dass er um des Menschen innere Widerbortigkeit weiß und um seine Zerfahrenheit, der sich nicht zusammennehmen kann und ganz Liebe sein, ganz Liebender werden. Und wird selbst ein Mensch. In einer zerfahrenen Welt selbst Mensch, inmitten Dummheit, Borniertheit und Schwachheit ein ganz und gar Liebender in voller Stärke, an ihrer Schwäche selbst leidend, Leiden kein Einwand, an ihr zu Grunde gehend, zum Grund. Gott hat sich entäußert, seine Gottheit losgelassen, doch Gott kann, auch wenn er nicht mehr in seiner Sphäre ist, ganz er selbst sein.
Und Menschen folgten ihm. Zögernd und eifrig wie Petrus, liebend und kühn denkend wie Johannes, energisch und scharfsinnig wie Paulus. An Jesus Christus, dem Prediger und Heiler, haben sie Gott erkannt. Und durch ihre Verbindung mit ihm sind sie stark geworden, die selbst voller Schwächen waren, sie alle. Und nun geht der Glaube über das moslemische Gebet hinaus: Auch gerecht geworden. Gerechtfertigt, sagt Paulus, durch den Glauben an ihn. Aber dieses Glauben hat existenzielle Qualität. An etwas Höheres glaube ich schon, sagten Erwachsene den sie interviewenden Jugendlichen und meinten, sie könnten sich die Existenz von etwas Fremden, Lichtvollen irgendwo und auf irgendeine Weise vorstellen – es könnte ja sein, was weiß man. Aber christlicher Glaube ist das existenzielle Bezogensein des ganzen Lebens auf Gott, genauso konkret und folgenreich, wie dieser Gott selbst Mensch wird. Mit diesem Menschgewordenen rechnend, sodaß sich einer, dessen Mitte Christus ist, auch weit hinauslehnen kann, der Schwerpunkt holt ihn wieder zurück (so wie Gott sich hinausgelehnt hat). Wenn Christus auf die Unmittelbarkeit Gottes verzichten kann und ihm in Menschenfleisch gegenübertritt, so sieht Dorothee Sölle eine neue Möglichkeit des Glaubens geöffnet, atheistisch an Gott zu glauben. Aber der Schwerpunkt muß bestimmen, wie weit sich einer hinauslehnen kann! Der Glaube an Christus macht gerecht, sagt Paulus, die Kirche ist das Sakrament Gottes, sagt das Zweite Vatikanische Konzil. Wie kann es sein, dass alle meine Taufgesprächspartner noch nie etwas von der Inkarnation gehört haben, von der Geschichtlichkeit und Endlichkeit des unendlichen und ewigen Gottes? Und dass sie diesen Jesus nur aus Geschichten ihrer Volksschulzeit kennen, die sie nicht glauben?
Vor unserer Kirche steht seit einigen Monaten eine große Holzskulptur. Ein nackter Christus, der sich aufbäumt wie ein Segel, hängt auf einem Pfahl, der aussieht wie ein Schiffsmast. Schmerz und Energie liegt darin, und Passanten sind sehr betroffen. So konkret haben sie sich Jesus nicht vorgestellt.

wie anfangen

Nun will ich der Werke Gottes gedenken; was ich gesehen habe, will ich erzählen: Durch Gottes Wort entstanden seine Werke; seine Lehre ist ein Ausfluß seiner Liebe." So hebt Jesus Sirach sein Gotteslob an (Sir 42,15), zuerst also schaut er, schaut sich um, erzählt, was er sieht. Der Blick geht in die Natur, mit der sich der Mensch verbunden fühlt, Sonne, Meerestiefen, Mond, Wolken, Himmel, Vögel, Donner, Winde, Berge, Schnee, Quellen, Teich, Hitze, Tau, Meer, Ungeheuer des Meeres erblickt Sirach im Jahreswechsel und zählt sie auf.
Der Gang in die Berge ist vielen Kärntnern ein Anfang zur Gottesbegegnung, meist Männer, allein unterwegs, sprachlos vor der Gewalt und Majestät der Berge, Herausforderung, aufzubrechen und sich zu stellen. Mit Sport beantworten sie den Ruf, nicht mit Sprache. Die alltägliche Sprache würde auch nicht hinreichen, um das auszudrücken, was ihnen widerfährt in der Fremdheit der Natur, die ihnen vertraut wird, in ihrer Widerständigkeit, die sie bezwingen, in ihrer Abweisung, die sie beantworten mit fester Kleidung, Karte und Kondition. Was sie erfahren, wenn sie die Gipfel überschritten haben, mit neuen Ausblicken auf neue Fernen, mit ihrem Eintauchen in neu sich öffnende geheime Landschaften jenseits der belebten Täler. Wenn sie erfaßt werden von jener Stille hinter Bergen, die sie selbst in sich tragen, sprachlose Männer von Uranfängen her.
Immerhin wäre das ein Anfang. Was er aber freigibt, der Naturblick, ist das Innere, das innen Korrespondierende: Der Größe und Gewalt der Natur entspricht der hartnäckige Geist des Menschen, der sich an ihr mißt und ihr entgegenwächst mit seinem Leib. An seinen Grenzen entlang wird der kleine Mensch größer, wenn er sich überwindet auf das Größere hin. Wenn so Religion anfängt. An Größe sich messen, beim Wandern, beim Sport, an großen Aufgaben im Beruf, an großen menschlichen Herausforderungen in Begegnungen. Als Anpackender und Zugreifender man selbst werden und so erfahren: es geht. Es geht gut, es gelingt, es ist möglich. Berge gewähren ihre Ersteigung, Aufgaben gewähren ihre Bewältigung. Erfolgreich wächst der Geist. Ein Mann, an dessen Hand der starke Vater stirbt, und der daran groß werden muß. Eine junge Frau, aus der neues, eigenständiges Leben gekommen ist. Eine Frau, in deren Haus ein toter Mensch gelegen ist. Menschen, die in ein fremdes biblisches Land gereist sind ohne die Sicherheit von Hotelbuchungen. Jugendliche, die mit Kamera und Mikrophon Erwachsene nach ihrem Glauben gefragt haben und sich an deren Antworten abarbeiten. Die Kinder, die sich auf die Eucharistie vorbereiten, werden Steine sammeln gehen, sie werden Pflanzen großziehen, Tiere beobachten und streicheln, sie werden Menschen verschiedenen Alters begegnen, Säuglingen und alten Menschen, und auch sich selbst, ihren Talenten und Größen, ihren Schwächen, als einzelne und als Gemeinschaft. Und wenn sich jedes einzelne Kind im Hallenbad im Wasser ausstreckt, kann es spüren, wie es getragen wird, vom Wasser, von den Erwachsenen, und von Gott.

Aber nun muß Sprache kommen. Zur Freude muß einmal Sprache kommen, Sirach zählt auf – staunend, die Männer zählen auf stolz, die Gläubigen dankbar. Und wer Gott kennt, der preist ihn, so Sirach, so der Psalmist. In die Worte von Ps 139 stimmten Pfarrgemeinderäte ein, Verse von Ps 104 lernen und beten Erstkommunionkinder, Ps 8 betet die Sonntagsgemeinde, wenn Kinder dazugekommen sind. Schöpfungserfahrung braucht Sprache, um Gott auszudrücken und anzusprechen. „Wie würden Sie Gott nennen?“, haben Jugendliche ratlose Erwachsene gefragt, die mit Gott noch nicht gesprochen haben.

zehn gebote liturgischen feierns

1. Gebot: Du sollst nur eine Sache tun zur selben Zeit, nicht etwa die Hostie verzehren und gleichzeitig schon den Kelch mit Wein heben.
2. Gebot: Du sollst den Altar heilig halten und nicht als Ablagetisch für Bücher, Gottesdienstordnungen und Brillenetuies mißbrauchen. Blumenschmuck soll den Altar zur Geltung bringen, nicht der Altar das Blumengesteck.
3. Gebot: Der Mensch soll im Gottesdienst zur Ruhe kommen, nicht an Aktionismus zugrunde gehen. Ein wichtiges Wort kommt erst zur Geltung durch die Ruhe nachher.
4. Gebot: Du sollst den Christen ihre Dienste nicht vorenthalten. Die Lesung steht dem Lektor zu, die Anleitung des Gesangs dem Kantor und Chor, die Fürbitten der Gemeinde.
5. Gebot: Du sollst nicht den Glauben und die Hoffnung abtöten durch litaneiartigen Gebetsvortrag oder durch Passivität bei der Gemeindeerneuerung.
6. Gebot: Der Gemeindegesang ist ein aktualisiertes Glaubensbekenntnis. Wechselgesänge können nicht vom Priester allein gesungen werden, auch Kirchenchöre sollen zwischen vorgesungenem Vers und Gemeindeantwort unterscheiden – z.B. beim Kyrie.
7. Gebot: Du sollst liturgische Zeichen nicht einsparen. Die Gabenprozession zeigt, wie die Gemeinde ihre Welt vor den Altar bringt, der Kelch, der von Beginn an am Altar steht, zeigt die Bequemlichkeit des Zelebranten. Wenn der Priester nur die Priesterhostie konsekriert, selbst kommuniziert und dann den Speisekelch aus dem Tabernakel holt, teilt er die Messe in einen aktuellen Priesterteil und einen sekundären Gemeindeteil.
8. Gebot: Du sollst das meinen, was du sagst und tust, z.B. Christus ansprechen beim dreimaligen Lamm Gottes, oder Gott den Vater preisen beim abschließenden Lobpreis mit den erhobenen konsekrierten Gaben, oder die Gemeinde auffordern bei Erhebet die Herzen.
9. Gebot: Du sollst Frauen und Männer, Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen ansprechen und einbinden in die Liturgiegestaltung, und du sollst keine Passivität zulassen, sondern die Wachheit der Gemeinde für Gottes Wort und für einander fördern.
10. Gebot: Du sollst dich nicht entmutigen lassen, sondern die Probleme und ihre Ursachen ergründen und mit Verantwortlichen in der Gemeinde besprechen und bearbeiten.

kinderliturgie: die populistische versuchung

Menschen sind gerührt, wenn Kinder vorne stehen, mühsam Texte lesen, Tänze vorführen oder Szenen vorspielen. In der Rührung kann Betroffenheit liegen, wenn jemand sich angesprochen fühlt. Oft aber sind Kinder nur niedlich und herzig, und ihre Tätigkeit im Gottesdienst wird nach dem Unterhaltungswert bemessen. Eltern achten darauf, ob ihr eigenes Kind genügend zur Geltung kommt, und Kinder achten darauf, ob sie von ihren Eltern auch gut gesehen werden. Das ist kein liturgischer Dienst an der Gemeinde, sondern Schaustellung.
Noch heikler ist es bei den Verantwortlichen und Gottesdienstleitern: Sie sollen öffentlich tätig sein, ohne sich selbst in Szene zu setzen. Maßgeblich ist dabei nicht, was gut ankommt oder gut aussieht, sondern was liturgisch sinnvoll ist und Menschen für Gottes Wort öffnet. So kann ein sinnbetont gesprochenes Vaterunser u.U. besser mitvollzogen werden als ein schmachtend gesungenes mit einschmeichelnder Melodie. Die Gestaltung beginnt beim Wort Gottes und führt Kinder zum Geheimnis der Eucharistie hin – nicht zu einer liturgischen Sondergestalt, die dann von den Kindern als normal erlebt wird und Erwachsenen als Vorwand für fehlendes liturgisches Verständnis dient.
Einige Beispiele: Der achtjährige Daniel konnte sehr gut spontan Situationen erfassen und sprachlich ausdrücken. So predigten wir oft gemeinsam auf den Stufen vor dem Altar. Beim Hochgebet stehen die Kinder um den Altar und beten mit erhobenen Händen, beim Vaterunser reichen wir einander die Hände, beim Friedensgruß geht der Händedruck vom Priester aus links und rechts reihum. Wenn ein Kind getauft wird, prüfen die Kinder mit der Hand das Wasser, wenn wir die Heiligen rufen, ruft jeder seinen eigenen Namenspatron.
Wir werden dieses Jahr wiederum versuchen, ein Team für Kinderliturgie zustandezubringen. Das Ziel wäre, für jede Sonntagsmesse ein Element für und mit Kindern vorzubereiten. Kinder sollen in jeder Messe angesprochen werden, und das ist nicht allein Sache des Pfarrers. Dagegen lehne ich die sogenannten Kindermessen ab. Das In-Trab-Halten von Kindern durch Aktionismus öffnet kein Geheimnis, weder den Kindern noch der restlichen Gemeinde. Hingegen wird die Erwartung gefördert, etwas geboten zu bekommen, und erfahrungsgemäß gehen viele bald nur mehr zu solchen Veranstaltungen. Ebenso wenig halte ich von der zeitweisen Exkommunikation der Kinder für eigene Wortgottesdienste in Kapelle oder Pfarrsaal. Nicht Abtrennung, sondern Integration soll dargestellt werden. Denn unsere Aufgabe ist, Kinder zur Gemeindeliturgie zu führen und ihnen dort einen Platz zu bereiten.

feiern in zeichen

Die Grundhaltung der Gemeinde in der Meßfeier ist das Stehen (AEM §21). Stehen drückt Ernst und Würde des Menschen aus und signalisiert Aufmerksamkeit: Wir sind berufen, vor dir zu stehen.
Wenn der Priester beim Einzug und beim Auszug, mit allen Ministranten, feierlich die Gemeinde umschreitet, dann ist das Ausdruck ihrer Sammlung. Ein ganz besonderes Zeichen ist, dass jeden Sonntag alle Kinder eingeladen werden, mit dem Priester beim Altar das Hochgebet mitzubeten. Sie bilden einen Halbkreis und breiten zusammen mit dem Priester ihre erhobenen Hände aus. Sie verstärken damit die Gebetshaltung des Priesters und beziehen die ganze Gemeinde ein durch diese Geste der Offenheit und Empfangsbereitschaft. Sie wissen um den Ernst des Gebetes und um ihre Dienstfunktion für die Gemeinde, die erhobenen Herzens mitvollzieht, was ihre Kinder unbeschwert und aufmerksam um den Altar tun.
Auch die Feier der Erstkommunion (ich halte diesen Namen übrigens für äußerst unglücklich, weil er mit dem Sakrament selbst identifiziert wird) ist voller sprechender Zeichen. Ich brauche beim Taufgedächtnis keine langen Bekenntnisformeln – die Bedeutung von Wort und Sprechen wird bei Kindergottesdiensten meist maßlos überschätzt! –, sondern ich bekreuzige jedes Kind mit Taufwasser beim Taufbrunnen, nenne seinen Namen und sage: Denk an deine Taufe. Ein Erwachsener entzündet die Taufkerze an der Osterkerze, das Kind geht damit still auf seinen Platz.
Die erste Kommunion spendet bei uns der Priester von seinem Priestersitz aus. Jedes Kind kommt einzeln von seiner Bank nach vorn und wird von einem Elternteil mit der Hand an der Schulter geführt. Dann öffnet es die Hand, um die Hostie zu empfangen, die der Priester behutsam und erklärend hineinlegt. Das Kind bleibt stehen, bis die Hostie gegessen ist – und geht wieder an seinen Platz.
Zum Schluß der Feier wird jedes Kind gesegnet. Die Gemeinde wird aufgefordert, für jedes Kind zu beten, und die Kinder kommen einzeln heraus, wenden sich der Gemeinde zu und schließen die Augen. Der Priester legt ihm die Hände auf und betet still oder leise für das Kind. Anschließend an die Messe haben wir übrigens jedes Jahr einen Baum gesetzt, der mit den Kindern wächst.
Solche und andere Zeichen machen die Feier ernst und lebendig, und es wird überflüssig, viel zu erklären oder mit Kindergeschichten zuzustopfen – wir brauchen nur selbst aufmerksamer werden!

zelebration und gegenwärtigkeit

Der Gottesdienstbesuch hat außerordentlich gelitten, weil selbstverständliche Bezüge aus der Tradition zunehmend wegfallen. Deshalb wäre es ganz unverzeihlich, wenn die großen Schätze liturgischer Feiern nicht gehoben würden, sondern Orationen im Singsang, Bewegungen in Beiläufigkeit oder Anreden der Gemeinde ins Buch hinein geschähen. Soetwas stumpft Zelebrant wie Gemeinde ab, statt wachzurufen und lebendig zu machen.
Einige Beobachtungen:
Dialogische Stimmigkeit nenne ich, wenn der Zelebrant bei den Worten Der Herr sei mit euch oder Der Friede sei mit euch die Gemeinde ansieht und eine öffnende Geste macht. Ebenso bei ...für euch hingegeben, und ...für euch vergossen. Im selben Sinn sehe ich aber bei Orationen oder Berichten die Gemeinde nicht an, sondern blicke ins Meßbuch oder schließe die Augen, z.B. beim Postsanktus: Ja du bist heilig, Herr... Dialogisch ist es auch, wenn die aktuell konsekrierten Hostien ausgespendet werden und nicht nur aus dem Speisekelch im Tabernakel.
Gestische Stimmigkeit nenne ich die Übereinstimmung von Wort und Geste. Bei Sende deinen Geist auf diese Gaben herab breite ich die erhobenen, gefalteten Hände über die Gaben aus, beim großen Lobpreis hebe ich die Gaben so hoch ich kann und blicke zwischen ihnen in die Höhe, damit das Lob Gottes durch ihn und mit ihm und in ihm sichtbar und hörbar mitvollzogen und verstanden werden kann. Wenn ich beim Lamm Gottes die konsekrierte, geteilte Hostie der Gemeinde zeigen will, dann bemühe ich mich, das Brotbrechen schon am Anfang des Gesanges abzuschließen, um die Anrufungen des Lammes auch wirklich zur Hostie hin vollziehen zu können. Ich muß die Geste nicht unterbrechen, wenn ich schon vorher das Formular aufgeschlagen habe und nun den Kommunionsvers zur Hostie hin sprechen kann.
Synchrone Stimmigkeit nenne ich, wenn bei den Worten ...berufen hast, vor dir zu stehen, die Gemeinde auch wirklich steht. Beim Schlußsegen habe ich mir eine dreiteilige Formel eingeprägt, die ich jeweils aktuell variieren kann, z.B: Es segne und führe und stärke euch... oder Es segne und erfülle und erleuchte euch..., wobei ich die Hände in einem großen Kreis über die Gemeinde bewege und beim Segenszeichen zu der Vater – der Sohn – und der heilige Geist ein großes Kreuz zeichne, und die Gemeinde sich genau zugleich bekreuzigt. Die Übereinstimmung von Wort und Bewegung bei Priester und Gemeinde hilft der Konzentration und Ernsthaftigkeit außerordentlich und ermöglicht, daß all das Divergierende in Menschen und zwischen Menschen zusammengeführt und Menschen zur Gegenwart geführt werden – zu ihrer eigenen und zur Gegenwart Gottes.

die prophetische gruppe

Als ich als Pastoralpraktikant, Diakon und dann als Kaplan in verschiedenen Pfarren arbeitete, zog es mich immer zu den „Freigeistern“ am Rand der Gemeinde hin: Sie waren meist selbständiger, interessierter und unangepaßter als die meisten Mitarbeiter in den zentralen Bereichen der Pfarre. Und sie hatten einen wachen Blick für die Vorgänge in Gemeinde, Kirche und Gesellschaft. Ich fand etwas Prophetisches an ihrer Art zu glauben und rief sie zusammen zu einer Gruppe.
Wir begannen damit, die Taufbeauftragung ernst zu nehmen: Du wirst gesalbt wie Jesus Christus zum Priester, König und Prophet. Leitfaden waren die Lebenszeugnisse der biblischen Propheten. Wir erkennen die oft verschlungenen Wege der Menschen mit Gott, wir sehen Menschen ganz auf eigene Faust und riskant glauben. Wir lesen meist nur kleine Auszüge und arbeiten uns daran ab: in Selbstvergleichen, in Bibliodrama, in Strukturanalysen kommen wir selbst ins Spiel. Um eine offene Auseinandersetzung zu ermöglichen, müssen natürlich anfangs die Barrieren abgebaut werden, die buchstäbliche, moralistische und autoritätsgläubige Auffassungen aufgebaut haben. Ein wenig historische Hintergrundinformation. Aber sobald der Bibeltext selbst freigelegt ist, beginnt er wunderbar lebendig zu werden und in den Menschen zu sprechen. – Wir bemerken all das Unausgesprochene zwischen Abraham und Sara, wir sehen die Widerspenstigkeit Mose vor dem Dornbusch, wir bewundern die Unbeugsamkeit des Amos. Ein ganzes Jahr lang näherten sich Propheten und Prophetinnen großen biblischen Frauengestalten. Auch prophetische Gestalten des neuen Testaments werden lebendig, ebenso Propheten der Geschichte und Gegenwart.

Und es zeigt sich, bei all den so verschiedenen Gruppen, die ich in den Pfarren kennengelernt habe: Es entsteht immer eine Dynamik, eine Gruppenidentität, es kommt zu Veränderungen der Menschen, sie werden selbstbewußter und bewußter christlich. Sie übernehmen Verantwortung für sich und in der Gemeinde. Und sie leben entschiedener.
Mit den Ferlacher Propheten erkundete ich den Hemmaberg und seine vor- und frühchristlichen Heiligtümer. Mit den Duineser Elegien Rilkes reisten wir nach Duino, Triest, Aquilea und Venedig. Mit den Ferlacher und Villacher Propheten gemeinsam untersuchten wir den Tscheltschnigkogel bei Warmbad Villach und dachten bei der Durezza Schachthöhle, wo die Kelten Opfertiere, möglicherweise sogar Menschenopfer dargebracht haben, über das christliche Opferverständnis nach. Und nun bereiste ich mit einigen Propheten Syrien, wo wir Paulus begegneten, aber auch Petrus, der Gnosis, syrischen Kirchenvätern und schließlich Mohammed. Und keiner, der zurückkam, ist, wie er vorher war!
Auch die Pfarrgemeinde profitiert. Einige neue Mitarbeiter bei den Propheten, viel neuer Geist, wache Begleitung pfarrlicher Vorgänge. Sucht nach den prophetischen Charismen!

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