Mittwoch, 6. April 2011

Ikonenverehrung

a.
Eigentlich könnte ja der Aufbau von Leitbildern als ein konstruktiver Vorgang beschrieben werden. Gesellschaftliche Anerkennung zu verdienen setzt doch voraus, durch besondere Leistungen aufgefallen zu sein und sich Vertrauen erworben zu haben. Andererseits verrät natürlich die Ikone auch sehr viel über diejenigen, die sie verehren. Wenn in der christlichen Antike Märtyrer hochgehalten wurden anstelle von Helden oder Führerpersönlichkeiten, so dokumentiert dies nicht nur ein verfolgtes Christentum, sondern auch eine Schubumkehr der Werte von einer leistungsorientierten römischen Siegermoral hin zu einer existenziellen Bekennermoral, die weniger an vorzeigbaren Ergebnissen, sondern an der Authentizität und Kongruenz der Werthaltungen orientiert ist. Dabei tritt die Eindeutigkeit der Position oft gerade erst nach einem tiefgehenden Wandel hervor, nämlich nach einer Bekehrung oder existenziellen Neuorientierung – wir denken an Paulus, Martin von Tours oder Augustinus. Auch hinter den Namen der heutigen Ikonen steht jeweils eine Anhängerschaft, die sich durch ihr Leitbild erst richtig konstituiert. Auch heute sind es nicht immer Leistungen, sondern oft eine bestimmte Haltung, die den Marktwert ausmacht.

b.

Was steht etwa hinter dem kometenhaften Aufstieg des aus prekären Verhältnissen stammenden Australiers Julian Assange? Weltweit bekannt wurde er, als er illegal gehackte Geheimdienstprotokolle aus aller Welt zuerst namhaften Zeitungen zum Verkauf anbot und, nachdem er damit scheiterte, sie im Internet veröffentlichte. Man könnte erwarten, dass ihm dies die Feindschaft aller Länder, oder zumindest der Regierungen einbringen würde, die durch die Veröffentlichungen mit einem Schlag bloßgestellt und betrogen wurden. Die Offenlegung aller Vorgänge internationaler Diplomatie trägt eigentlich das Ende von Diplomatie überhaupt in sich, also den Vorgang von interner Meinungsbildung, Kommunikationsanbahnung, von Allianzbildung, aber auch von Druckausübung auf Regierungen und Staaten. Die Enthüllungen sind so etwas wie die Übertragung von Telefongesprächen im Radio, und es müsste mit einer Entrüstung aller freiheitsliebender Menschen zu rechnen sein, an vorderster Front der Datenschützer und Warner vor zuviel Kontrolle und des Zugriffs auf private und interne Vorgänge.
Der zweite erstaunliche Punkt ist, dass diesem zweifelhaften Helden der Bloßstellung am Höhepunkt seiner Enthüllungen nun selbst Vorwürfe gemacht werden wegen sexueller Übergriffe, sodass nunmehr seine eigene Blöße in allen Medien präsent ist, und gerade in einem Bereich, der stets die allerhöchste Empörung garantiert. „Der Spiegel“ schwärmt vom Cyber-Krieg zwischen dem Internet-Profi und seinen Unterstützer-Truppen, und dem amerikanischen Geheimdienst, die Vergewaltigungsvorwürfe interessieren ihn aber nicht. „Die Welt“ berichtet von Assanges angeblichen peinlichen Bemühungen um Partnerinnen in einer Internet-Partnervermittlung, und von kompromittierenden Aussagen seiner ehemaligen Mitstreiter. Die Bild-Zeitung berichtet, dass Assange mit zwei Schwedinnen sexuell verkehrt habe, dabei auch gegen ihren Willen ohne Kondom. Die Süddeutsche Zeitung ebenso, und erwähnt dabei die strengen schwedischen Gesetze, die Frauen schützen sollten, und die nachfolgenden Diffamierungsversuche gegen die beiden Frauen von Assanges Anhängern.
Hierzulande klassifiziert News die Vorwürfe gegen Assange jedoch als Schmutzkübelkampagne, ebenso der Standard. Profil nimmt die Vorwürfe zum Anlass einer Aufklärung über Vergewaltigungsklagen und Unrechtsbewußtsein. Angelika Hager (13.1.2011) stellt Assange an die Seite des ebenfalls promiskuitiven Jörg Kachelmann, dessen Anklage auf persönliche Kränkung einer sich zuwenig beachtet fühlenden ehemaligen Partnerin zurückgeführt wird. Die Krone zitiert ihn als „schlechtesten Australier 2011“. Die Presse berichtet am 8.2. von Assanges Befürchtung, von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden, wo Guantanamo und die Todesstrafe drohen könnten. Ebendort empfiehlt Christian Ortner einige Wochen vorher, beim Sex immer eine Notarin anwesend sein zu lassen, um späteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen. Die neuesten Entwicklungen der Kontrolle über das Privatleben einzelner in der westlichen Welt nennt er Scharia. Peter Pilz von den Grünen fordert politisches Asyl für Julian Assange und bietet Wikileaks den Server der Grünen an für weitere Veröffentlichungen kompromittierender Geheimdokumente.

c.,

Man kann an der Ikonisierung Assanges´ sehen, wie behende und großzügig Vorwürfe wegen sexueller Vergehen bagatellisiert und gesetzliche Regelungen einer westlichen Demokratie verhöhnt werden, wenn eigene Interessen bedient werden sollen. An der Ikone prallen die Vorwürfe ab. Die liberale Öffentlichkeit hat sich dafür entschieden, Assange zum Bannerträger der Bloßstellung der institutionalisierten Macht zu machen. Das Prinzip Bloßstellung, ein Urmotiv von Massenmedien, steht über dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frau und den wirtschaftlichen und politischen Interessen von Staaten wie Österreich, Schweden und USA. Peter Pilz oder Christian Ortner wettern gegen die repressive Kontrolle des Staates über die freien Bürger, und unterstützen den Kampf dagegen mithilfe der subversiven und illegalen Kontrollmöglichkeiten von Internet und medialer Öffentlichkeit. Sehen Sie einen Unterschied? – Ja, er liegt darin, wer kontrolliert. Der Ikonenmacher ist hier die liberale Linke, und ohne Rückhalt oder Duldung in der Öffentlichkeit könnte sie eine so brisante Positionierung nicht wagen. Das besagt aber keineswegs, dass es Mehrheiten von politisch Liberalen oder Linken gäbe. Aber die Vorstellung, der Einzelne stünde im Zentrum von Recht und Macht – oder er solle im Zentrum stehen!, diese Vorstellung, die sich zugleich gegen Institutionen und Solidaritäten richtet: eben diese Vorstellung ist mehrheitsfähig.

d.

Im Standart-Interview sagt am 7.4.2011 der Wiener Anwalt und Publizist Alfred Noll: „Der Aufdeckungsjournalismus ist ein elementarer Kern dessen, was ernstzunehmender Journalismus überhaupt ist. Es gibt keinen Grund, davon abzusehen. Aufdeckungsjournalismus gibt es in Österreich nicht zu viel, sondern es gibt zu wenig.“ Er bemängelt, dass in Österreich weder Politik noch Zivilgesellschaft ausreichend eine „Balance zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie“ herstellen, und sieht darin eine Aufgabe der Medien. Was er unter Demokratie versteht, zeigt sich in seiner Entgegnung auf die Frage nach dem Einfluss medialer Vorverurteilung auf die Rechtssprechung. Richter, die sich von Medien beeinflussen lassen, seien eben „schwache Persönlichkeiten“. Und die übrigen Medienkonsumenten?

Demokratie wird hier offensichtlich mit Individualismus gleichgesetzt und hat jedenfalls den Obrigkeitsstaat zum Feind, wahrscheinlich jegliche Obrigkeit. Die massendemokratische Konsumgesellschaft – so an dieser Stelle nun die These im Vorblick - benötigt die Medien, um die Brücke zwischen dem radikalen Individualismus und einem gesellschaftsbildenden Konformismus zu schlagen, nämlich in Form der „medialen Öffentlichkeit“. Hat die Entwicklung zum Individualismus bereits die meisten Orte von diskursiver Öffentlichkeit erodiert, also Orte leibhafter Begegnung zum Gespräch und Austausch (Schule, öffentliche Versammlungen, Diskussionsveranstaltungen, Bürgerinitiativen), und stattdessen privaten Konsum via Fernsehen und Internet aufgebaut, wodurch natürlich bisherige Formen von Gespräch und Meinungsbildung verschwanden, so besetzen Medien diese Leerräume und bauen eine Quasi-Öffentlichkeit auf via Hörer/Seherbeteiligung, Talk- und Quizshows mit Publikum, Soap-Operas oder Big Brother – Spektakeln. Diese synthetische Öffentlichkeit lässt sich mühelos in Weblogs fortführen, die den Kitzel von „echter, unberechenbarer Menschenbeteiligung“ liefern, und dennoch so überraschend stereotyp und vorhersehbar verlaufen wie eine Diskussionssendung mit Anrufern oder eine Leserbriefseite.

e.

Ein lebenspraktisches Fundament scheint diese synthetische Öffentlichkeit in den Hausfrauen gehabt zu haben, die vormittags unterhalten und von Werbung infiltriert werden sollten, und nach deren Übertritt ins Berufsleben nun die sich ständig vergrößernde Masse der Pensionisten, sowie der Kinder und Jugendlichen. Und die Twitter- und Facebook-Generation stellt bereits Partys und Diskotheken hinter die Chats zurück und bevorzugt Begegnungen der virtuellen Art. Dazu kommt, dass Musikberieselung durch Kopfhörer und Scheinkommunikation am Mobiltelefon auch bei Bewegungen im offenen Raum den Charakter des Synthetischen aufrechterhalten und vor unverhofften Begegnungen weitgehend schützen.

Und diese umfassende mediale Umschließung des „von der Obrigkeit befreiten“ Individuums benötigt und ermöglicht die medial gesteuerte Meinungsbildung. Somit gehen die Prozesse der Verdünnung sozialer Kommunikationsformen Hand in Hand mit der Ausweitung massenmedialer Meinungsbildung. Beide zusammen produzieren den leicht zu steuernden Konsumenten der Massendemokratie, wie ihn Panajotis Kondylis stringent beschrieben hat. Und nun kann die These gewagt werden, dass diese Weise von Geistigkeit prinzipiell obrigkeitsfeindlich ist, nämlich nicht so sehr, weil sie deren Kontrolle zu befürchten hätte – außerhalb des ORF behaupten eher Kolumnisten die Meinungsführerschaft als Politiker -, sondern weil die Steuerung des Konsums der Steuerung politischer Ordnung in der Massendemokratie vorgeordnet ist.

f.

Es bedarf nicht mehr vieler Worte, zu zeigen, dass diese Obrigkeits-Demontage auch vor der Kirche nicht Halt macht, nicht so sehr vor Papst und Bischöfen mit Schauwert, sondern der Kirche insgesamt als Hüterin von Glaube und Wahrheit. Wie willkommen sind da Missbrauchsfälle und Fälle von falschen und inkompetenten Entscheidungen! Wie bereitwillig entsprechen gewisse Entscheidungen den Stereotypen und Vorurteilen! Es stellt sich also heraus, dass die Ikonisierung bestimmter Leitbilder derselbe Vorgang ist, der Obrigkeiten abbaut, also handelt es sich um einen Herrschaftswechsel. Der Aufstieg in den Himmel medialer Aufmerksamkeit entspricht dem Fall anderer Gestirne. Ordnung und Chaos dürften sich dabei etwa die Waage halten – aber an die Stelle demokratisch legitimierter Ordnung tritt nach und nach konsumistisch legitimierte Ordnung. Der Aufstieg Karl-Heinz Gassers, der bereits durch sein Erscheinungsbild die Parteienlandschaft zu kompromittieren vermochte, scheint weniger der fachlichen Kompetenz verdankt als der telegenen Wirkung – und sein Fall erst recht. Und der posthume Aufstieg Papst Johannes Pauls in den Medienhimmel gilt weniger seiner Leitungsqualität als seiner Medienwirkung, und er findet auf dem Rücken des amtierenden Papstes Benedikt statt. An den medial präsentierten zwei, drei Einheitsthemen hat dieser sich so wenig orientiert wie jener. Das kann keine dauerhafte Medienfreundschaft einbringen.

Samstag, 5. Februar 2011

Das Tribunal. Wie sich Macht ereignet

a.
DIE ERREGUNGSPARABEL besteht aus zwei Kurven, die spiegelbildlich gegeneinander verlaufen, sich jedoch nicht treffen, sondern in ihrem Scheitelbereich einen bestimmten Raum beschreiben, den zu inszenieren nämlich ihr Zweck ist. Die untere Kurve ist diejenige der Entrüstung. Sie baut sich aus Ereignissen auf, die als Skandale erlebt werden. Dabei entsteht das Ärgernis durch den Übergang von etwas Geheimen im Privatbereich in die Öffentlichkeit. Je aprupter und unvermittelter der Übergang, desto größer die Freude über die Enthüllung. Man sieht deutlich, dass die Art des Übergangs der Gestaltung des Mediums seiner Erscheinung obliegt.
Über die Art der enthüllten Objekte gibt die zweite Kurve Auskunft. Denn die Erregung ist proportional mit der Höhe der gesellschaftlichen Anerkennung des bloßgestellten Subjekts – dessen Erniedrigung die zweite Kurve beschreibt. Der Absturz in der gesellschaftlichen Anerkennung entspricht also dem Steigen der öffentlichen Erregung. So eignet sich für eine breitenwirksame Skandalisierung schwerlich ein biederer Kleinbürger, der Steuer hinterzogen hat – da würde man sich eher noch solidarisieren – sehr wohl aber ein ehemaliger Finanzminister. Der emotionale Wert der Berichterstattung ist natürlich außerordentlich hoch, wenn es gelingt, O-Ton-Bänder zu präsentieren, sodass die Ungeniertheit und Selbstgefälligkeit den Sprecher sprichwörtlich nackt überführt. Die Nacktheit sowie die Fallhöhe waren auch beim Missbrauchsskandal die emotionale Rendite der Nachrichtenkonsumenten.
Neben der vertikalen Zuordnung der Kurvenelemente ist auch der schrittweise Aufbau der Erregung zu beachten. Niemals wird das gesamte Ereignis mit einem Schlag präsentiert, sondern immer wird zuerst ein nebensächliches, fern liegendes Faktum gezeigt, das erst aufmerksam machen soll. Dann werden, zuerst in längeren Abständen, in enger werdenden Kreisen schließlich die Ereignisse immer bedeutsamer platziert, mit immer höherem Risiko des Vorgeführten, bis zum Höhepunkt der Aufmerksamkeit, die dem Tiefpunkt seiner gesellschaftlichen Achtung entspricht.
Das Ziel der doppelten Erregungsparabel ist die Vorführung des Delinquenten in der zentralen Arena des Kolloseums. Bei den BAWAG-Bankern ist das die Gerichtsverhandlung, bei Waldheim der Bundespräsidentschaftswahlkampf, bei Bush war es der Irakkrieg, bei der Kirche die Klosterschulen. An den Vorgäöngen in der Arena kann das Publikum gewöhnlich nicht selbst teilnehmen, nur von den Rängen her beobachten und Zensuren geben. Umso wichtiger sind eindeutige Zuordnungen der Kampfparteien in Freund/Feind, sympathisch/unsympathisch oder Opfer/Täter.

b.

Weil das Tribunal im Wesen eine Vorführung ist, bemisst sich seine Bedeutung am Schauwert. Ganz oben auf der Wirkungsskala stehen Sexualität, Angst und Tod, gefolgt von Katastrophen, Terror und Krieg. Hunger, soziale Benachteiligung oder gesellschaftliches Engagement haben wenig Chance auf Schlagzeilen, da in der gesellschaftlichen Achtung niedrig Stehende nicht gestürzt werden können. Dasselbe gilt für Länder und Kontinente, die erst als Urlaubsdestinationen oder Firmenniederlassungen interessant werden. Eine Ausnahme wäre ein vermeintlicher Durchschnittsbürger, der seine oder fremde Kinder jahrelang in Kellerverliese sperrt und missbraucht, wegen der ans Licht gezerrten absonderlichen Intimität, oder ein Neurotiker, der durch Briefbombenterror die Nation in Atem halten kann und mit der Bayuwarischen Befreiungsarmee für Dramatik und Erlebnisdichte sorgt.

Die Vorführung besteht darin, das jeweilige Ereignis der Sexualität, der Lüge, des Terrors hinter einer steigenden Erwartung aufzubauen. Neben der wachsenden Empörung und dem abnehmenden Ansehen ist nämlich die Zeit der dritte Faktor des Tribunals. Ein Flugzeugabsturz in zugänglichem Gebiet löst wenig Erregung aus, sofern nicht Bekannte unter den Verunglückten sind. Ganz anders dagegen eine Flugzeugentführung, die tagelang Spannung erregt, indem nach und nach die Identität der Entführer bekannt wird, ihre Forderungen, die Lage der Geiseln, die näheren Umstände – aber dennoch immer genug Ungewissheit bleibt über die weiteren Pläne der Entführer und die Reaktionen von Regierung und Polizei. Eine Flut- oder Erdbebenkatastrophe erzeugt dann Erregung beim Betrachter, wenn sich ihre Darstellung über Tage oder Wochen hinziehen lässt, und dabei immer neue, verborgene Tatsachen ans Licht kommen, durch die sich eine Verschuldensfrage aufbauen lässt: die Regierung, die Baubehörden, der Staudamm, der Tourismus. Der emotionale Schauwert kann nicht allein in den Bildern von Leichen und Verletzten, Trümmern und Schlamm liegen, sondern es muss eine Variante der Betroffenheit des Betrachters gefunden werden, sei es durch den Urlaubsort, durch heimische Helferteams oder durch die auchb hierzulande tätige Ölfirma.

c.

Aber um es genauer einzugrenzen: Von Tribunal kann erst dann gesprochen werden, wenn eine bewusste Bildgestaltung vorliegt, eine Inszenierung öffentlicher Erregung. Und deshalb laufen die Kurven der Erregungsparabel auf eine Bühne zu. Dort wird der Endkampf stattfinden. Im besten Fall ist die Bühne eine Gerichtsverhandlung mit benannten und bebilderten Angeklagten und einem Richter, sowie einem finalen Schuldspruch. Die Bedeutung des Zeitfaktors ist dabei übrigens auch im jahrelangen Nachspiel zu beachten, wenn noch die Haftbedingungen oder spätere Einsprüche bereitwillig in der Aufmerksamkeit platziert werden. Der Vorrang der Emotion zeigt sich hier auch darin, dass sehr leicht das Feindbild kippen und plötzlich der Richter am Pranger stehen kann. Der Schauwert einer brennenden Ölbohrinsel ist nur einige Tage groß. Später muss mit Graphiken und Rettungsversuchen nachgebessert werden, und schließlich mit der Fokussierung auf den Manager des Ölkonzerns, der auf die Wucht des Blicks mit willkommenen Ungeschicklichkeiten reagiert, in denen er sich verheddert. Die abklingende Kurve wird von Gewinneinbrüchen des Konzerns gebildet, sowie allfälligen vorbeugenden Gesetzesmaßnahmen und Umfragewerten der beteiligten Politiker.
Ganz ähnlich verlief die Erregungsparabel bei der Afrikareise des Papstes. Die kolportierten Aussagen über die Verwendung von Kondomen waren kaum als Fakten zu begreifen, fielen sie doch im Flugzeug bei der Anreise und bestanden in der Abwehr der fragwürdigen Journalistenbehauptung, mit Verhütungsmitteln könne eine Epidemie geheilt werden. Eigentlich durchkreuzte diese Aussage die Inszenierung öffentlicher Erregung, weil sie bereits am Anfang fiel und sich kaum mehr steigern ließ, außer durch unablässige Wiederholung und Befragung Empörter. Mein Verdacht geht eher in die Richtung, diese Berichterstattung sollte von der mangelnden Präsenz und Kompetenz der Berichterstatter in den bereisten afrikanischen Ländern ablenken. Jedenfalls fand die Parabel weltweit Resonanz und überdeckte weitgehend die Anliegen dieser Pastoralreise, und zwar offensichtlich am meisten in Mitteleuropa, wo das Meinungsbild bereits das Faktum der Reise in den Schatten stellte.

d.

Es kann darin bereits eine kämpferische Abwehr der Kolonialismuskritik des Papstes gesehen werden, die ja gerade am Kondom festzumachen ist, diesem gerade in Europa so wenig geliebten Lusttöter, und wenn die sozialistische spanische Regierung sogleich ein paar Tonnen dieser Gummiwaren nach Afrika zu senden sich bemüßigte, so bestätigte sie gerade die mit feiner Klinge vorgetragene Kritik an der westlichen Herablassung. Die Erregungsparabel war also diesmal eine gesuchte Aktion, um dem Kirchenoberhaupt in die Parade zu fahren und seine sorgfältig aufgebaute Kritik des kapitalistischen Menschenbildes nachhaltig zum Verstummen zu bringen. Und so hat man stattdessen Afrika gänzlich ungestört ins Bild setzen können bei der Fußballweltmeisterschaft, als Geographie und Natur, Despoten und Kriminalität vorgeführt wurden und zuletzt in herablassende Belehrungen umgemünzt wurden. So ließ sich einmal mehr die westliche Projektion des Exotischen in Szene setzen, wie das auch gerade bei der Berichterstattung der politischen Umbrüche in Nordafrika versucht wird, ohne dass es so recht zu gelingen scheint.
Allerdings folgen auch die Geschehnisse in Tunis und Kairo genau der Erregungsparabel, indem die Raumvektoren sehr bald den Schuldigen sowie den Schauplatz definieren, auf dem er vorgeführt wird. Im Hintergrund werden weitere Tribunale in Damaskus, Amman und Sana vorbereitet, sowie zaghaft auch in Jerusalem. Wiederum hat sich der Westen die Position des Zuschauers auf der Bühne reserviert, während in der Arena die arabischen Despoten erscheinen. Nebenbei bemerkt, machen jene genau dasselbe mit der westlichen Politik, vielleicht etwas ungeschönter, wenn Gaddafi die Lockerbie-Attentäter mit einem Staatsempfang ehrt und die Schmiergeldzahlungen von BP auf allen arabischen Sendern zu sehen sind. Schon Khomeini hat die amerikanischen Geiseln benützt, und Carter schenkte ihm noch einen gescheiterten Befreiungsversuch. Wir erinnern uns auch an die gescheiterten Geiselbefreiungen im Libanon und im Gazastreifen, als jeweils die israelische Armee vorgeführt wurde. Man könnte die Eskalationskunst in der arabischen Mentalität viel mehr beheimatet sehen als in der westlichen.

Man sollte vorsichtig sein, die wie immer medial dargestellte Sachlage als allein von den Fakten geschaffen anzusehen. Was sind die Fakten bei einem Volksaufstand in Kairo? Die Sprüche auf den Transparenten? Das, was eine handvoll Befragter ins Mikrophon sagt?
Die Befindlichkeit der Journalisten oder der Touristen? Oder die Zahl der Toten und Verletzten, die sonderbarer Weise nicht nachgeprüft wird? Oder der Sachschaden durch Plünderungen. Eine Revolution ist ein selten deutliches Beispiel für den Überhang von Meinung über das Faktische, weil es ja um Meinungsbildung der Masse geht, sowie dann um deren Durchsetzung. Lesen Sie nur, wie Karim El Gawhary seine Position in der ägyptischen Revolution deklariert, die alles andere als eine neutrale und sachliche Beobachteraufgabe ist: http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/aegypten/2667518/furcht-aber-sorge.story. Inzwischen werden bereits die möglichen Szenarien des Machtwechsels medial durchgespielt, obwohl das noch immer Wunschdenken ist, das eben, häufig genug verbreitet, irgendwann tatsächlich Wirklichkeit schafft.
Auffällig dabei, wie sehr unsere Medien die Rolle von Internet und Mobiltelefon hochloben, während doch beide gesperrt sind. Anscheinend ist Mundpropaganda für die Massenmedien ein so subversives Mittel, dass sie es am liebsten zensurieren wollen.

e.

Das sicherste Mittel, ein mediales Ereignis größerer Tragweite als Erregungsparabel zu identifizieren, also als inszenierten Vorgang zur Demontage einer hierarchisch gestützten Institution, ist die bestimmte Erwartung, die den Vorgang von Anfang an begleitet. Die Bloßstellung des Verteidigungsministers ist von Anfang an beabsichtigt, mit seiner Präpotenz gibt der ehemalige Zivildiener ein gutes Opfer, und seit er in die Arena gestoßen ist, macht er einen Fehler nach dem andern. Eigentlich müsste die Abschaffung der Wehrpflicht ein massentauglichers Ziel sein in der massendemokratischen Konsumgesellschaft, aber die Medien verweigern, sich von der Politik hierfür instrumentalisieren zu lassen, und drehen den Spieß um. Mit der Erregungsparabel haben die Medien die größere Waffe als die Politik sie hat. Die zugrunde liegende Erwartung: Der rote Zivilminister wird am schwarzen Militär scheitern. Sobald sich das Übergewicht abzeichnet, wird der Minister fallen gelassen mitsamt seiner noch so populistischen Forderung. Genau darin liegt die Kunst des Wellenreitens, frühzeitig eine Entwicklung, ein Kräfteverhältnis im Entstehen zu erkennen und auf die Welle hinaufzukommen, um danach möglichst lang oben zu bleiben. Die schwarze Hochschulministerin, obwohl fotogen, wird an den Strukturen scheitern. Die rote Bildungsministerin wird an den Lehrergewerkschaften scheitern. Die schwarze Justizministerin und ihre Gegner, die Stellung beziehen. Die Staatsreform und die Landeshauptleute. Überall werden Kräfte gemessen und Klingen gekreuzt, und die öffentliche Meinung ist stets beim vermeintlich Stärkeren. Dem Schwächeren hält man sein Scheitern vor. Die Schaukämpfe sind ritualisiert. Lohnrunden und Streikbeschlüsse, Rechtssprechungen und Wahrkampfreden wecken bereits die Erwartung weiterer Ereignisse. Die Erwartung ist bereits an der Fragestellung des Interviewers erkennbar: „Was sagen Sie als praktizierender Katholik zum Missbrauchsskandal?“ „Halten Sie den Zölibat noch für zeitgemäß?“ Barbara Karlich lädt einen praktizierenden Priester ein, der den Zölibat lebt und verteidigt, und stellt ihn sechs Gegnern: einem liberalen Priester, der den Zölibat vom Amt trennen und der Entscheidung einzelner überlassen will, einem Priester ohne Amt, einem nicht Priester gewordenen Theologen, einem Pensionisten sowie einem evangelischen Pfarrerehepaar. Dazu einem Publikum, das die von vornherein festgelegte Erwartung verstärkt und durch Applaus oder missbilligende Blicke unterstützt, jeweils in Großaufnahme. Bevor nur ein Wort fällt, steht der Ausgang fest. Die feststehende Erwartung ist wie eine schiefe Ebene, auf der der Vorgeführte von unten nach oben spielen muss und keine Chance hat. Ein Gladiatorenkampf zwischen ungleichen Gegnern. Durch diese Vorsortierung sichert sich der Meinungsführer die Vorherrschaft am Wellenberg.

f.

Zuletzt noch eine Gegenprobe. Das Tribunal wurde als Machtereignis beschrieben, das mittels der Erregungsparabel seine Meinungsherrschaft am Wellenberg behauptet. Weitere Machtereignisse, die noch erläutert werden müssen, sind die Digitalisierung von Ereignissen, das Prozessdenken, das Assoziationsdenken, die Ikonenverehrung, die dem Tribunal gegenläufig ist, und die Emotionalisierung. Die Gegenprobe besteht nun darin, ein Ereignis aufzuspüren, das diesen Kriterien nicht genügt. Ich nehme als Beispiel die dürre Meldung vom 3.1.2011 im Mittagsjournal über die Ergebnisse einer Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft über das Vertrauen der Österreicher in Institutionen: http://oe1.orf.at/artikel/266131
Vermeintlich ist von staatlichen Institutionen die Rede, aber es geht auch um die Kirche. Wenig erstaunlich ist die großteils geringe Bewertung der meisten Institutionen, also Politik, Gewerkschaft, Justiz, Polizei, Medien, Parteien, und eben der Kirche. Der Bericht nennt nur für die Politik (3%) und für den Bundespräsident (24%) Zahlen, für die Kirche wird ein angeblich geringer Wert als „wenig erstaunlich“ bezeichnet, der geringe Wert für Medien aber mit keinem Wort erläutert. Berücksichtigt man nun oben ausgeführte Emotionalisierungsstrategien, so gibt dieser Bericht wenig her. Weder Helden noch Bösewichter, spannungsreiche Entwicklungen noch Empörungen lassen sich daraus gewinnen. Nur eines läge auf der Hand: die Digitalisierung, also die Übersetzung von Tatsachen in Zahlenwerte, am besten in Rankings. Aber warum wurde hier kein Ranking erstellt? Etwa, weil die Medien so weit hinten lägen? Jedenfalls ist augenscheinlich, dass sich ein solcher Bericht wenig zum Surfen auf der Meinungswelle eignet. Dazu muss gesagt werden, dass die genannten Zahlen völlig jenen des Magazins Reader´s Digest widersprechen, die für März 2010 etwa zehnmal so hohe Beliebtheitswerte ausweisen, und dazu noch wesentlich differenzierter. Tatsache: Man hat den Bericht schnell wieder verschwinden lassen.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Weitere Texte zur Rolle des Bürgertums

Ein literarisches Finale Tremendum gibt Michael Scharang, der verlässliche Linke, welcher das Zeug zum Apokalyptiker hätte, fehlte ihm nicht a priori jegliche Metaphysik. Gerade darin erweist er sich aber als typischer Vertreter des Bürgertums des 19. Jahrhunderts, so wie Karl Marx und die Industriekapitalisten. Eine Kapitalismuskritik aus bürgerlicher Sicht ist soetwas wie eine Kritik am Antisemismus aus faschistischer Sicht oder eine Kritik am Wettbewerb aus der Sicht des Leistungssports.

Aber seine Benennung des Finanzkrieges als zeitgemäße Gesellschaftsform, mitsamt seinen Protagonisten und Ritualen, ist zutreffend. Das Duckmäusertum, der Meinungsterror, und besonders die Abscheulichkeit des Kapitalismus, konsequent das Gemeinschaftswesen auszuhöhlen, um sodann seine Karambolagen von ebendiesem sanieren zu lassen. Pikant vielleicht sein Angriff auf Ö1, dessen Attitüde des letzten Mohikaners der Kultur und Intellektualität immerhin aufreizend ist. Aber mindestens so zutreffend müssten seine Angriffe auf Geschwätzigkeit und Kuschen vor der Macht im Gewand der Weltoffenheit den Printmedien gelten, besonders jenem, dessen mit staatlicher Medienförderung protegierter Autor Scharang eben selber ist.

Hier sein Artikel:
http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/617515/Finale-Raserei?_vl_backlink=/home/spectrum/zeichenderzeit/index.do


Der Gastkommentar von Marcus Franz ist ein wehmütiger Abgesang. So stellt man sich den Herrn Primarius im Lodenmantel vor, wie er seiner Limousine entsteigt und am Gehsteig von iPod-verkabelten Teenagern angerempelt wird - die ihn womöglich an die eigenen Kinder erinnern. Sonderbarer Weise klammert er sich nicht an die Kirche - die fällt ihm gar nicht ein, obwohl er doch in einem kirchlichen Institut arbeitet und sogar Vorstand des Franziskanerinnenspitals ist - sondern nur an die Küche.

http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/619554/Buergerlich-ist-nur-noch-die-Kueche?from=suche.intern.portal (Übrigens hat Franz eine beruhigende Replik von Sibylle Hamann bekommen, die versichert, die bürgerlichen Werte seien nicht ausgestorben. Na denn!)

Vielleicht ist das aber gar kein Unglück, wenn zur Rettung des Bürgerlichen heutzutage nicht mehr die Kirche bemüht wird, wozu sie nämlich jahrhundertelang missbraucht wurde. Da bin ich ganz mit Paul Schulmeister, dem wahrscheinlich letzten kirchlich denkenden (oder Kirche verstehenden) Bürgerlichen dieses Blatts, wenn er die Verschwisterung der Kirche mit der ungerechten Gesellschaft geißelt, und dabei Max Weber, Michel Foucault und Gerhard Lohfink zitiert.

http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/617902/Vom-Kind-in-der-Krippe-dem-Ende-am-Kreuz-und-der-Macht?from=suche.intern.portal

Mittwoch, 17. November 2010

Die Wut und die Gier.Von Kathrin Röggla (Die Presse)

SICHER, MANCHE BENANNTEN DIE UNGEHEUERLICHKEIT DER VORGÄNGE, ABER AUCH DIE KONNTEN SIE IN IHRER DIMENSION NICHT FASSEN. DIE FINANZKRISE, DIE SPRACHLOSIGKEIT – UND IHRE ÜBERWINDUNG IN DER LITERATUR.


Elfriede Jelinek hat mir Sprechen beigebracht. So viel ist sicher. Sie hat aber auch einer Reihe anderer Personen und Figuren das Sprechen beigebracht, zum Beispiel den Kleinanlegern und den kapitalen Greisen. Sie können sich jetzt ausdrücken. Endlich. Vorher war da ja nichts Deutliches zu hören. Man hat es nicht verstanden, es war mehr ein Geflüster, ein Sich-Zurufen von Fachvokabeln, Formeln, quer über das permanente Börsenparkett, das sich über alle wirtschaftlichen Verhältnisse zu legen schien. Und jetzt: Eindeutig eine klare Artikulation, das heißt, man kann ihnen folgen! Wenn das auch ein wenig kreisförmig verläuft, aber das ist nur im Sinn der Sprecher. Doch immer noch besser als diese Pseudolinearität ihrer früheren Aussagen.


Seltsamerweise sprechen sie immer zusammen, im Chor, vereint, während unsereins einzeln dasteht. Oder soll ich etwa dem Chor der Kleinanleger beitreten? In diesem Punkt bin ich etwas ratlos. Es gibt keinen Identifikationshaushalt für mich in diesem Stück, der kleine Mann in mir ist aufgebraucht, sage ich jetzt auch schon lauthals, aber man muss mir auch nicht trauen, das heißt, ich selbst muss mir ja nicht unbedingt trauen. Das ist auch etwas, was man aus Jelineks Texten lernen kann. Zeigt sie uns nicht unermüdlich seit mehr als 40 Jahren, wie die Verkleinbürgerlichung unserer westlichen Welt voranschreitet? Und wer steckt hinter dem Kleinanleger anderes als der Kleinbürger?

Darüber ließe sich jetzt streiten, was es aber in jedem Fall noch gibt, ist die Wut, seine Wut über die permanente Enteignung, die er erfährt und die sich mit der Gier, dem Wunsch, da oben mitzuspielen, paart. Diese Wut bleibt nur unter dem Schlagwort „Populismus“ in der Öffentlichkeit stehen, sie hat keinen anderen Anker mehr, sie wird sofort erledigt. In Jelineks Texten darf diese Wut über die Obszönität der Vorgänge einen ganzen Moment lang in Bewegung bleiben, nein, sie darf sich nicht setzen, sie wird permanent gejagt über ebenjenes Börsenparkett, durch die Gerichtssäle, die sich mit Wirtschaftskriminalität zu befassen scheinen und die Annual Meetings windiger Offshorebanken. Und es ist die Wut, auf die wir so heiß sind, jene Punk-Atmosphäre ihrer Texte, die Wut, die wir endlich in Reinkultur spüren wollen, und die Enthüllung der Gewaltverhältnisse, die wir erleben wollen, wir, die Ängstlichen, die Undeutlichen, die Uneindeutigen, die nicht wissen, wer wir noch sein sollen und wer eigentlich dauernd gegen uns arbeitet. Wir haben kein Analyseinstrumentarium mehr, gesellschaftliche Widersprüche erscheinen uns als Schnee von gestern, Klassenverhältnisse erscheinen uns zerfahren, uneindeutig. Uns? Ja, selbst in dieser Beschreibung kassiere ich noch die Interessengegensätze ein, suggeriere ein Wir, das es nicht gibt.


Die Obszönität kenntlich machen

Bleibe ich also lieber bei mir – nehmen wir die subjektive Haltung ein, zugegebenermaßen eine armselige Alternative zum schwammigen Wir –, nach dieser Wut grase ich die Texte ab. Nach der Deutlichkeit der auf Widersprüchlichkeit beruhenden Machtstruktur, die natürlich nicht deutlich daherkommen kann, sondern ambivalent, paradox, ja, unsinnig. Ich, die ich der Generation der Ängstlichen angehöre, derer, die nicht mehr wissen, wo links und rechts ist, oben und unten, die keine Koordinaten für eine Wut haben, sondern immer gleich eingeschüchtert sind. Ich freue mich an der Zurschaustellung, der Kenntlichmachung der Obszönität. Durch Kalauer und Unsinnswitz. Denn nur mit Unsinn lässt sich die Rechtfertigungsstruktur der sogenannten Entscheider darstellen, es ist ihr Privileg, nicht wirklich Rede und Antwort stehen zu müssen. Das ist zumindest mein Eindruck, der aus der öffentlichen Nicht-Besprechung dieser gewaltigen Enteignung resultiert. Ja, man muss es als eine öffentliche Nicht-Besprechung bezeichnen, obwohl alle Medien eine Weile lang von nichts anderem zu sprechen schienen. Aber ihr Sprechen blieb stumm und geschwätzig zugleich und erscheint mir im Rückblick äußerst merkwürdig. Sicher, werden Sie sagen, wen muss es wundern, dass sich die bürgerliche Presse gedreht und gewunden hat, dass die Boulevardpresse auf populistische Ressentiments setzte, also auf Ausweichbewegungen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu einem pervertierten Aufklärungsunterricht aufbrach, passend zu jener „Nachhilfestunde in Sachen Wirtschaft“, als die der Soziologe Dirk Baecker die Finanzkrise bezeichnet hat, nur, dass die Nachhilfestunde sich im Leeren verläuft, in Sackgassen, in unbrauchbarem Wissen über Begriffe wie „Leerverkäufe“. Man braucht sich nur eine Bundestagsdebatte über den Umgang mit der Finanzkrise anzuhören, um den ganzen Widersinn der Diskussion zu erfahren.

Und wenn sich jetzt Politiker die Köpfe über Basel2 plus und Basel3, über stärkere Bankenregulierungen zerbrechen, scheinen sie keinen Schritt weiterzukommen. Sicher, manche Zeitschriften- und Zeitungsbeiträge benannten auch die Ungeheuerlichkeit der Vorgänge, aber sie konnten sie in ihrer Dimension nicht fassen. Das kann nur die Literatur, da ihr immer mehrere Ebenen zur Verfügung stehen, sie immer mehrere Räume gleichzeitig bewohnt. Schließlich stehen ihr auch die geeigneten Mittel zur Verfügung, die Mittel der Groteske, der Inversion, der wörtlichen Übertragung, gute, alte sprachliche Verfahrensweisen, die den Aufklärungsmodus der Medien verspotten, der ja Teil der ganzen Umverteilungsmaschinerie ist. Es sind ästhetische Mittel, die hier dringend gebraucht werden, denn das Verhältnis von Abstraktion und Konkretion, das für die moderne Literatur so bestimmend ist, ist in diesem Themenfeld äußerst gespannt, die Darstellbarkeiten scheinen sich angesichts der Komplexität und Abstraktion der Verhältnisse zu entziehen.

Die Konkretion scheint immer nur aus heruntergebrochenen Beispielen zu bestehen, als könnte man sie auf einzelne Fotos reduzieren, die sofort eine historische Anmutung bekommen: Zeltlager in Nevada, Schlangen vor Banken in Großbritannien, entleerte New Yorker Geschäftsstraßen. Ich weiß nicht, welche Fotos der Öffentlichkeit zum Bawag-Skandal zur Verfügung standen, ich stelle mir nur Gesichter vor beziehungsweise harmlose Filialfotografien – mir ist das deswegen nicht bekannt, weil die Skandale der Alpenrepublik in Deutschland allenfalls unter der Rubrik „Farce“ oder „Seifenoper“ oder „Bananenrepublik“ erscheinen, ob Hypo-Alpe-Adria- oder Bawag-Skandal. Ob Meinl-Story oder Jörgl-TV, bis hin zu Naziaufmärschen, und ich habe den Verdacht, dass diese auch in Österreich nur noch als Farce gesehen werden. Aber wie kann man so eine Farce noch literarisieren? Sicher nicht in Form eines well-made Play. Auch der Multiplot-Wirtschaftskrimi, nach dem das zu Globale, zu groß Gestrickte der Finanzkrise, das sich Konkretion und Situierung erstmal Widersetzende dieser Thematik zunächst zu schreien scheint, geht natürlich sofort in irgendeiner Genremechanik baden, und so muss man schon mit barockeren Mitteln kommen. Jelineks Entscheidung, an den öffentlichen Rhetoriken und juristischen Rechtfertigungsnummern, die wir darin erleben, anzusetzen, ist plausibel. Insofern erhalten wir auch in den „Kontrakten des Kaufmanns“ keinen Überblick über die Geschehnisse, die kausalen Zusammenhänge, wir bekommen keine Vogelperspektive, sondern werden mehr zur Froschperspektive verdammt, auf die die Rechtfertigungsmodi der herrschenden Klasse niederprasseln. Schließlich wird bei all der öffentlichen Volksaufklärung gerne vergessen, dass die Wirren des Finanzkapitalismus konkrete Auswirkungen auf konkrete Menschen haben, dass irgendjemand für das alles zahlt.

Wir geraten in ein weiteres Infantiltheater, denn das Stück verfügt in guter alter jelinekscher Manier über zahlreiche eingebaute Infantilsprengsel bis hin zu den Regieanweisungen, weil Elfriede Jelinek klar ist, dass das Theater nur als Infantilanstalt auf diese Vorgänge reagieren kann, es kann nicht die gute alte seriöse Aufklärungsanstalt mimen, weil sich alle Seriosität in den öffentlichen Rhetoriken verbraucht und desavouiert hat.

Elfriede Jelinek hat mir das Sprechen beigebracht, vielleicht war ich so 19, als ich „Die Liebhaberinnen“ las, in einer Salzburger Vorortstimmung, nahe dem jelinekschen Steirischen, vielleicht zu nahe, in einer Stadt, in der das wüste Landleben jeden Moment in das Weltstädtchenhafte hereinzubrechen vermag – und in der erstaunlich viel Prekariat anzutreffen ist, wenn man nur hinsieht.


Schreiben – ein radikaler Akt

Jedenfalls habe ich ganz genau gewusst, wovon die Rede ist, und verstanden, wie diese Rede sein muss: So und nicht anders. Meine Ausgabe der „Klavierspielerin“, die ich 1990 erstand, ist schon voller Unterstreichungen, Weiterschreibungen, Widersprüchen. Ich hatte den Faden sichtbar aufgenommen, den Jelinek-Faden, der bis heute mitmischt und mitstrickt auf meinem Schreibtisch.

Es ist aber bis heute jene Punk-Energie geblieben, jene sprachliche Kraft, die mich anzieht und daran erinnert, dass Schreiben ein radikaler Akt ist, nach wie vor, nach all den Moderne- und Postmodernetotsagungen, die wir in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich erleben durften. Jelineks Komik, das Groteske, das sich jeder gewaltsamen Glattstreichung Widersetzende rufen die eigenen Widerstandsgespenster auf den Plan. Sicher, diese Form des Sprechens wollte ich, wie alle Autoren, die davon betroffen sind, und das sind viele, eine ganze Autorengeneration, von Zeit zu Zeit loswerden, weil es etwas Gewaltsames hat, es hockt da wie ein Vampir im eigenen Schreiben. Man kann sich von diesem Schreiben nur schwer emanzipieren, es ist eines, das den Vorgang des Plagiierens automatisch hervorzurufen scheint und danach gleich eine Distanznahme, die zu neuen Nachahmungsgesten führt, bis man irgendwo anders landet, im berühmten eigenen Ton, in der berühmten eigenen Stimme, die doch von anderen lebt, sich aus anderen Stimmen zehrt.

Doch diese eigene Stimme wird Frauen, darauf hat Elfriede Jelinek unermüdlich hingewiesen, ohnehin nicht zugeschrieben, und so sprächen sie immer für alle anderen mit, darüber sei sie sich bewusst. Ist es nicht die Ironie ihrer Geschichte, dass mehr als eine Generation von Autorinnen sich in einem Abgrenzungs- und Faszinationstaumel zu ihr befindet und befunden hat? Es ist die paradoxe Figur der Originalität im Zeitalter der ständigen Selbstneuerfindung und Selbstvermarktung, die Elfriede Jelinek an der Nase und uns vorführt. Mit Karacho! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2010)

Sonntag, 26. September 2010

Wer braucht ein Dispositiv?

Gesetzt, ich würde mit bestimmten Fragen kommen.
Ich würde zum Beispiel zwischen so verschiedenen Dingen wie dem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Politik, der unverhohlenen Rückführung des Menschen auf seinen Gebrauchswert als Arbeitskraft und Konsument durch – ja durch wen eigentlich?, der Handhabung von Sexualität als selbststeigerndes Gebrauchsgut, der systematischen Zuführung der in Europa einströmenden Migrantenscharen auf die Gemüseplantagen Südeuropas sowie der Reduktion der gesamten Komplexität von kirchlichem Leben in Theorie und Praxis auf die seit Jahrzehnten immer gleichen zwei oder drei Fragen einen Zusammenhang sehen. Ich würde solche und weitere Erscheinungen, von denen niemals angegeben werden kann, wer sie ausgelöst hat (höchstens, wer daran verdient), als ein bestimmtes Freiheitsstadium des heutigen extremen Individualismus ansprechen. Und zwar als Stadium abnehmender Freiheit.
Ich würde nämlich diese Freiheit als Fiktion darstellen, ausgedrückt als fiktive Wahl zwischen gleichbedeutenden Möglichkeiten. Aber als unfreie, ahnungslose und unkritische Akzeptanz dieser disparaten komplexen Situation, höchstens, bei selbständigen Geistern, durch ein Gefühl von Unbehagen begleitet.

Und ich würde nun in dieser wirren Lagebestimmung einen Vorgang zwischen Gott und Mensch suchen, aber ohne fundamentalistische Reduktionen. Dann könnte mir Agambens Erörterung des Begriffs des Dispositivs Klärung und Antwort bringen.

Zunächst, wenn Agamben diesen Begriff bei Foucault aufspürt und darin so etwas wie eine heterogene Gesamtheit von sprachlichen und nichtsprachlichen Appellen und Strategien erkennt. Wenn er über Foucault hinaus bis zu Hegels Entgegensetzung von „natürlicher“ und „positiver Religion“ vorstößt. Und schließlich völlig überraschend beim Begriff der göttlichen Ökonomie ankommt, der Gottes Sein und Gottes Handeln als Nichteinheit auffasst. Hier fällt das Wort Schizophrenie. Von der göttlichen Ökonomie, verstanden als Weltregierung, ist es ein kleiner Schritt zur göttlichen Vorsehung (Prädestination). Von da aus zeigt der Blick die Lebewesen (Substanzen), die Dispositive und dazwischen als Drittes die Subjekte. Hatte Foucault immer wieder überraschende Einsichten in die Geschichte der Subjektwerdung des Menschen geliefert, sei es als Selbstdisziplinierung oder Mechanisierung von Lebensvorgängen, so spricht Agamben hier von einer maßlosen Vermehrung der Subjektivierungsprozesse, welche das Subjekt zunehmend als bloße Maske erscheinen lassen. Am Ende dieses Essays steht eine gigantische Desubjektivierung, eine Regierungsmaschine, ein folgsamer und feiger Gesellschaftskörper, ein harmloser Bürger, der als Bloom verspottet wird.

Trotz möglicherweise als gewagt empfundener großer Gedankensprünge, trotz der philosophischen Argumentation halte ich es dennoch für zweckmäßig und sinnvoll, sich den Begriff des Dispositivs anzueignen. Vermutlich kann damit noch mehr als die oben genannten disparaten Zeiterscheinungen zugänglich und verstehbar werden. Vielleicht schlicht die Erscheinung der Menschenvermassung bei fortgeführter Vereinzelung, ein Phänomen, das Elias Canetti noch nicht im Blick hatte (Masse und Macht).

(Ab 27.9. sollte Agambens 35 Seite-Essay hier zum Download bereitstehen:
http://www.kath-kirche-kaernten.at/pages/bericht.asp?id=8525)

Samstag, 31. Juli 2010

Tendenziöse Beispiele

Wer immer noch meint, die Medien wären als vierte Gewalt im Staat an Wahrheit und Aufklärung interessiert, der möge zwei jüngere Beispiele studieren:

http://oe1.orf.at/artikel/251891

Im heutigen Mittagsjournal befragt Dorothee Frank den im Journal als Gast geladenen Klaus Maria Brandauer, anlässlich seiner Rolle in Ödipus auf Kolonos bei den Salzburger Festspielen. Ödipus der Asylwerber und die heutige Asylpolitik. Und dann kann es Frank nicht lassen, den, von dem sie weiß, dass er praktizierender Katholik ist, nach der "Kirchenkrise" zu befragen. Nach dem "Missbrauchskandal". Nach dem, was in der Öffentlichkeit geredet wird. Nach Kirchenleitung und Zölibat. - Und nachdem Brandauer nichts herausrückt, kommt sie darob ins Schwimmen - und fängt zu bohren und zu stochern an. Er spricht von seiner eigenen Sünde, sie spricht vom Skandal. Ihm ist das Thema zu langweilig, sie beharrt. Glaube ist das eine, Kirche das andere, sagt sie. Kirche sind Menschen, sagt er. Die Frage ist nur, ob die Kirche zu schrumpfen droht, sagt sie. Ich glaube, dass die Kirche eine große Chance hat, sagt er. Sie fragen mich nur, weil ich der KMB bin, aber ich habe keine Ahnung. Ich möchte mich aus diesen kleinkarierten Dingen heraushalten, sagt er.

Hören sie auf ihre Stimme. Sie erwartet und entwirft eine Gesprächssituation, wo mit Stichwörtern sogenannte Informationen abgerufen werden sollen, Meinungen, Brocken. Das soll so gehen wie ein Computermenü: Du klickst diesen Button an, und dieses Fenster geht auf. Die bunte Galerie nach vorgefertigter Ästhetik wird Interview genannt, oder Informationssendung, oder Berichterstattung. Und gerade an der Anstrengung der Stimme ist zu hören, wie das funktionieren soll, was sich jetzt sträubt: Von Stichwort zu Stichwort surft die Meinung der Moderatorin/des Hörers von Wellenberg zu Wellental. Die gedehnten Vokale: der Missbrauchskandaaaal, Kirche als Institutiooooon, der Zölibaaaat. Und leider: Brandauer apportiert die Hölzerl nicht, er springt nicht jappend hinterher, von der Journalistin übers Feld gehetzt. Sondern er entgegnet: kleinkarierte Dinge. Wir Sünder. Und horchen Sie, wie der Burgschauspieler da niedergeredet wird. Er, der Meister von Stimme und Wort, von ihr, der Meisterin von Gefälligkeit und schneller Wirkung. Ein Lehrbeispiel, wahrlich.

Das zweite Beispiel stammt von Michael Prüller, Presse-Chefredaktion, Meinung vom 24.7.2010:
Missbrauch revisited

http://diepresse.com/home/meinung/kommentare/leitartikel/583234/index.do

Da liest man: "Jeder weiß, dass sexueller Missbrauch keine kirchliche Spezialsünde ist – aber außerkirchliche Fälle, Vertuschungen und Verantwortlichkeiten werden kaum diskutiert. Ein bisschen Odenwaldschule da, ein bisschen „Profil“-Artikel zu staatlichen Kinderheimen hier, damit hat es sich. Als ob es peinlich wäre, Missbrauch anzusprechen, wenn er nicht hinter Klostermauern passiert. Und die ganze riesige Missbrauchskiste des öffentlichen und privaten Bereichs bleibt unaufgearbeitet."

Man liest vom Medienversagen, das eine Kirchenkrise herbeischreibt und herbeiwünscht. Von den medialen Austrittsbeschleunigern und der wirklichen Relation. Von der Massentreue zur Kirche. Vom Nichtübertritt zu den zölibatsfreien und frauenmitbestimmten Kirchen. Und von wirklichen kirchlichen Sorgen, nämlich der Fremdheit im Glauben, der Ahnungslosigkeit über Glaubensinhalte.
Zum Schluss landet Prüller allerdings wieder bei einem der Stichworte, das eine Entkrampfung der Situation bringen soll: "Ein Anfang wäre etwa, auf das Kirchensteuersystem zu verzichten. Ich weiß, das sagt sich so leicht – aber sonst hört der Krampf ja nie auf." - Vielleicht muss man soetwas sagen als Medienmacher. Bei diesen Kollegen, bei diesen Lesern, bei diesen Inserenten. Bei dieser Konkurrenz. Aber zum Artikel passt dieser Schluss gar nicht. Er ist überflüssig. Es ist genug, die halbjährliche Debatte zusammenzufassen und das Bild zurechtzurücken.
Michael Prüller hat mir schon im Mai in einem Brief geantwortet auf meine Beschwerde über die tendenziöse Berichterstattung. Ungefähr in demselben Ton. Von der Medienseite mag man es damit als überstanden erklären. Mag es damit sein Bewenden gefunden haben. Ist man wohl in dem Augenblick des landesweiten Überdrusses gewahr geworden, als wenige Stunden nach der Ernennung von Ägidius Zsifkovics bereits Cerberus Zulehner aus Wien polterte über die undemokratische Kirche, während Zsifkovics sich bereits an seine Gläubigen wandte und eine Chance erbat. Da hatten wir wahrlich genug.

Es gab noch den Versuch einer Neuauflage mithilfe der Wiener Schulbrüder. Die Geschichte, die bereits vor Jahren von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt wurde, weil die Vorwürfe einer Mutter eines inzwischen erwachsenen ehemaligen Schülers nicht zu belegen waren, sollte nochmals aufgewärmt werden. Am ersten Tag wurde noch berichtet, dass der Vorwurf die Wiederholung eines bereits abgewiesenen Vorwurfes war. In den darauffolgenden Tagen wurde die Ordensleitung schlecht gemacht. Und schließlich löste sich das Thema auf wie eine Seifenblase. An Überspannung zugrunde gegangen.

Was mich nun wirklich interessiert, sind die Hintergründe einer solchen Berichterstattung. Und die kirchliche Reaktion darauf.

Dienstag, 11. Mai 2010

Zu einer Theorie der Fraglichkeit

Es sollen zwei Beispiele vorgestellt werden, die das Aufeinanderprallen des Gottesglaubens mit der modernen Welt wiedergeben, die als liberal und fortschrittlich empfunden wird. Es wird sich zeigen, inwieweit die noch ungeschriebene Theorie der Fraglichkeit dabei von Erkenntniswert ist, und auf welcher Seite sie auftaucht.


1. Dostojewski, Der Großinquisitor


Dimitri, der Soldat, Iwan, der Intellektuelle, und Alexej (Aljoscha), der Novize, der ins Kloster eintritt, sind die Brüder Karamasoff. Der Roman erzählt ihre dramatischen Lebensgeschichten, und v.a. das Aufeinandertreffen ihrer unterschiedlichen Lebenskonzepte. Der Soldat, der älteste von ihnen, im Konflikt mit dem Vater wegen einer Frau. Der zweite, der an der Universität studiert, ist der religiöse Zweifler, infiltriert mit dem westlichen Aufklärungsdenken, aber im inneren Konflikt mit dem Gefühlsüberschuss der russischen Religiosität und Menschlichkeit. Und Aljoscha, der Jüngste, hat seine Seele Gott verschrieben, und er möchte Frieden und Versöhnung stiften.

a.

Iwan erzählt Aljoscha die Geschichte vom Großinquisitor, die er sich ausgedacht, aber nie aufgeschrieben hat (wieder ein ungeschriebener Text!). Im Sevilla des 16. Jahrhunderts wütet die spanische Inquisition. Gerade am Tag nach der öffentlichen Hinrichtung von 100 Häretikern erscheint Christus persönlich in der Stadt – und wird augenblicklich von allen erkannt und verehrt. Er tut Wunder und erweckt ein totes Kind am Tor der Kathedrale. Da quert der greise Großinquisitor den Platz und lässt Jesus ergreifen und einkerkern. In der Nacht tritt er in dessen Zelle und stellt ihn zur Rede. Es ist ein Monolog, Jesus sagt kein Wort. Der Kardinal rechtfertigt sich, und nach und nach stellt sich sein Unglauben heraus. Er wirft Christus vor, die Menschen zu überfordern durch die Zumutung der Freiheit der Nachfolge, und stellt sein und der katholischen Kirche Gegenprogramm des Menschenglücks auf Kosten der Freiheit vor. Der Gegensatz kulminiert in der biblischen Erzählung der Versuchung Jesu in der Wüste. Der Kardinal wirft Jesus vor, falsch entschieden zu haben, und Brot, Wunder und Macht abgelehnt zu haben. Der Großinquisitor und das von ihm repräsentierte Denken geht hier andere Wege und korrigiert Jesu Entscheidungen - zum Wohl der Menschen, wie er beteuert.

b.

Die Selbstrechtfertigung des Großinquisitors ist stets mit der römisch-katholischen Kirche und ihrem Machtstreben in Zusammenhang gebracht worden. Aus der Sicht des Romans, seiner Figuren wie seines Autors, handelt es sich aber um ein europäisches, aufklärerisches Denken, im Gegensatz zum russischen großen Gefühl, und die Jesuiten geben weniger die Kirchenvertreter als die Aufklärer innerhalb der Kirche. Die römische Kirche ist dem Russen also zu aufgeklärt, zu skeptisch und rational. Ähnlich wie Bert Brecht fordert der Kardinal, zuerst die Menschen zu sättigen und dann erst von Freiheit zu reden. Indem er das satanische Angebot, aus Steinen Brot zu machen, annehmen würde, deklariert sich der Kardinal als in Sorge um die Menschen. Seine Position erscheint als die verantwortungsvolle, während die Position Jesu radikal, aber für einfache Leute nicht nachvollziehbar wäre.
Auch in der zweiten Versuchung habe Jesus abgehoben reagiert und das Wunder verworfen, während die Menschen doch der Wunder bedürfen und ihrer Verehrung in der Gemeinschaft der Gläubigen. Wieder steht der Kardinal auf der Seite der einfachen Menschen und des Volkes, und die Geschichte und Massenpsychologie gibt ihm Recht.
Auch als Jesus Macht und Herrschaft ablehnte, habe er nach Ansicht des Kardinals unklug und unbarmherzig gehandelt, denn die Menschen bedürften der Unterordnung; fehlten kirchliche Autoritäten, so suchten sie eben andere Abhängigkeiten, weltliche, politische oder kommerzielle.
Der Kardinal führt vor, wie und warum er und seine Institution Jesus korrigiert habe – während dieser schweigt.

c.

Der Großinquisitor erscheint als abgeklärter Asket, wissend und willensstark, verantwortungsbewusst und dem einfachen Menschen verpflichtet. Er hat sich darum aber von Jesus lossagen müssen, dessen Wahrheits- und Führungsanspruch er einschränkt. Der alte Mann hat die Argumente auf seiner Seite, ebenso die Erfolge und die Erfahrung, während Jesus daneben bloß ein stummer Einzelner ist, in Liebe, aber ahnungslos. Aber zweifellos weiß der Alte um das Prekäre seiner Position, sonst würde er den Heiland nicht einsperren und zu Wort kommen lassen. Immerhin wagt er die Konfrontation und glaubt, sich vernünftig rechtfertigen zu können – was ihn auch aus protestantisch-paulinischer Sicht ins Unrecht setzt. Seine Sorge um die Menschen entpuppt sich somit auf allen Fronten als selbstgerecht und im eigentlichen Sinn als ungläubig, und gerade das ist der Grund, warum er sie überhaupt vorzubringen wagt im Angesicht des Herrn, den er nicht anerkennt.

d.

Die von Großinquisitor vertretene Position soll als Prinzipialisierung bezeichnet werden. Da er auf die Rückführung seiner Motive auf Christus verzichtet, braucht er ein anderes Prinzip seines Handelns, und als solches fungiert die Sorge um die Menschen. Dieses Vernunftsprinzip erscheint zunächst dem bloß existenziellen, aber schwer nachvollziehbaren der Nachfolge Jesu doch klar überlegen zu sein. Jedenfalls repräsentiert es deutlich die tatsächliche Geschichte des Abendlandes und seiner Herrschaft von Vernunft und Effizienz. Der russische Vorbehalt erscheint dagegen eher rückständig.
Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, wie korrupt dieses System ist. Was der Großinquisitor als seine Erfolge ausgibt, lässt sich ganz und gar auch in der Sprache von Leid und Klage vernehmen, seien es die Hingerichteten oder die zwar gesättigten („glücklichen“), aber Machtlosen. Und in diesem Gegensatz zwischen Herrscher (in Sorge) und Beherrschtem (unfrei) tritt nunmehr die ganze Unerbittlichkeit dieser Position hervor, vollkommen verkörpert in der Gestalt dieses asketischen, verbitterten, illusionslosen Alten. Wenn Effizienz das Prinzip ist (Brot, Wunder, Autorität), dann wird unweigerlich bald über Leichen zu schreiten sein. Konzentrationslager und Gulags haben das unmissverständlich vorgeführt, für beide der hier verhandelten Mentalitäten, die westliche wie die östliche, und weltweit scheint keine Mentalität frei von dieser Versuchung.

e.

Gegen solches Handeln aus Prinzip, das zunächst von der größeren Sorge um die Menschen geleitet ist, alsbald sich aber gegen diese wendet, stellt die Geschichte vom Großinquisitor ein anderes Motiv. Das Auftreten Jesu erscheint völlig uneigennützig, planlos und spontan. Ohne didaktisches Prinzip schreitet er durch die Mengen, und wer und was ihm begegnet, wird gewandelt und geheilt. Etwas unbiblisch fällt auf, dass Jesus überall erkannt und anerkannt wird, und von lukanischen Polemiken und johannäischen Zurückweisungen ist keine Rede. Jesu Aura ist reflexionslos und unmittelbar, und deshalb den einfachen Menschen näher als dem gebildeten Kirchenführer.
Weiters fällt Jesu Sprachlosigkeit auf, die gewiss auch nicht biblisch ist. Aber indem der Herr ohne Erklärungen und Anweisungen den Menschen nahe kommt, erweist sich doch eine bestimmte Art von Präsenz, die keiner Erklärung bedarf, wo doch von ihm und über ihn, wie der Kardinal provokant bemerkt, schon alles gesagt ist. Seine Gegenwart wird beantwortet mit Wiedererkennen, und vom gläubigen Volk kommt Zustimmung – vom Kardinal aber, der sich seiner Präsenz ebenfalls nicht verschließen kann, Ablehnung.
Diese Situation einer Präsenz, die sich nicht aus irgendeinem Prinzip ableiten kann, sondern nur aus der Existenz, und die in der Folge auch hinterfragt und abgelehnt wird, soll nun Fraglichkeit heißen. Es wird in der Folge dieser Name in allen Richtungen ausgebreitet werden, und seine Bedeutung mag sich fast ins Gegenteil verkehren, aber dabei kann immer das hier dargestellte Gegenüber im Auge behalten werden, nämlich von derjenigen Präsenz, die in sich selbst unmittelbar ist, aber an Systemen und vernünftigen Beweggründen gemessen durchaus fraglich erscheint.


2. Lenaers, Der Traum des Königs Nepukadnezar


Auch mit großer Geste kommt Lenaers, als Bannerträger der zeitgemäßen Adaptierung des Christentums. Alles bisherige sei mittelalterlich, skandiert der Priester und Jesuit, es müsse alles in eine neue, zeitgemäße Sprache übersetzt werden. Wunderglaube, Marienfrömmigkeit und Papstverehrung seien Show, dogmatische Formulierungen unverständlich oder falsch, der hierarchische Kirchenapparat museal, die kirchliche Morallehre lachhaft und unbeachtet. Lenaers fegt alles vom Tisch, was unseren Glauben und unsere Kirche ausmacht, bestenfalls hegt er gewisse Sympathien für den Protestantismus. Was ist aber das Fundament dieser umfassenden Dekonstruktion? Ist hier ein Ungläubiger am Werk, oder ein Agnostiker, der alles offen lässt, nachdem er es entwertet hat? Oder ist es ein Gläubiger einer neuen Art zu glauben, einer neuen Religion, die sich auf den Trümmern der alten aufrichten will? – Nun, Lenaer ist Priester, noch immer.

f.

Zunächst zieht Lenaers gegen Heteronomie ins Feld. Eine Kirchenführung bevormunde das Kirchenvolk, das sich indessen längst seine eigene Meinung gebildet habe und sich um Anweisungen und Regeln nicht mehr kümmere. Basis der Heteronomie sei aber das Axiom der beiden Welten, sprich, neben der realen erfahrbaren Welt noch eine Oberwelt: die Welt Gottes, der Engel, der Wunder, und die Welt der Toten. Diese Oberwelt reguliert strafend und richtend das Geschick der Menschen, in der Gestalt des Gott-im-Himmel, soweit Lenaers mit bestimmt der Mehrheit der modernen Europäer, gläubig oder nicht.
Diesem mittelalterlichen Denken stellt er einen modernen, autonomen Glauben gegenüber. Und auf diesen darf nun der Leser gespannt sein. Denn nun wird, wie im Traum des babylonischen Königs, der alle Machenschaften seines Volkes zerbrechen sieht, die Trinitätslehre, die Christologie, die heilige Schrift, von der Glaubenstradition und dem Lieblingsfeind, die Marienverehrung mit den Begriffen der Jungfräulichkeit, der Gottesmutter, der Himmelfahrt und der unbefleckten Empfängnis gar nicht zu reden, aber auch die Kirche, die sieben Sakramente und das Leben nach dem Tod Schritt für Schritt zum Mythos erklärt. Und dennoch bleibt ein christlicher Gottesglauben zurück. Er stützt sich auf ein Kernereignis des neuen Testaments, die Botschaft Jesu, gereinigt von den späteren kirchlichen Zusätzen. Lenaers nennt den verkündigten Gott den Gott-in-der-Tiefe. Er sei in der Schöpfung selbst erfahrbar, und ein Gläubiger würde in Gemeinschaft mit ihm leben.

g.

Zentrum des christlichen Glaubens ist Jesus Christus. Sein Lebenszeugnis ist auch für Lenaers unbezweifelbar, beziehen sich doch seine Jünger auf ihn, sowie auch ganz andersgläubige Zeitgenossen. Seine Geburt in Betlehem jedoch sei literarische Fiktion, die der Anbindung an die alttestamentliche Messiaserwartung diene. Ebenso wäre das Bekenntnis seiner Auferstehung eine biblische Zurechtlegung. Lenaers anerkennt die Erfahrung der Jünger, er lebe! – aber er dekonstruiert die Rede von am dritten Tage auferstanden als biblische Metapher, die überdies durch keine alttestamentliche Prophezeiung vorbereitet sei, weder Tod des Messias, noch dessen Auferstehung, und auch nicht die Dreitagesfrist. Lenaers Argument ist die Heteronomie der biblischen Sprache. Die Auferstehung selbst sei gar nicht berichtet, die Erzählungen vom leeren Grab, vom Stein und von den Erscheinungen des Auferstandenen bloße Verbildlichung der tiefen Erfahrung der Seinen, er lebe, auch nach seinem Tode, und er lebe in ihnen fort, und in ihren Taten.
Das Bekenntnis der Gottheit Jesu würde ebenfalls nachträglich die große Wirkung dieses Menschen in bildliche Worte zu fassen versuchen, die aber anderen biblischen Christustiteln gleichzustellen wären.
Was bleibt? Jesus von Nazaret.

h.

Was Lenaers in seinem Buch durchdekliniert, ist die Fraglichkeit des Glaubens. Sie tritt zunächst dadurch in Erscheinung, indem jedes seiner Elemente hinterfragt werden kann. Das ist zwar keine Neuigkeit, und bereits in den biblischen Texten selbst angewendet, die sich ja gegenseitig interpretieren und umdeuten. Es handelt sich aber um eine besondere Fragegestalt, die erst in der heutigen Zeit möglich ist. Lenaers nennt es realistisches (= mythologiefreies) und theonomes (statt heteronomes) Denken. Die Befragung geht von bestimmten Prämissen heutigen Denkens aus und selektiert daraufhin die Glaubensinhalte. Dabei kommen die üblichen historischen Rekonstruktionsmethoden zur Anwendung, indem älteren Zeugen mehr vertraut wird als jüngeren, oder wenn bestimmte Interessen eines Autors berücksichtigt werden. All das ist ja in der Bibelexegese des 20. Jahrhunderts zur Selbstverständlichkeit geworden. Und man kann den Eindruck haben, hätte Lenaers erst in den achziger Jahren (oder später) Theologie studiert, so müsste er über Dogmenhermeneutik kein Buch mehr schreiben, denn jede Dogmatikeinführung handelt von der zeitbedingten Sprache der Glaubensformulierungen.
Aber Lenaers will nicht verständlich machen, was wir glauben, und an wen, sondern er will zeigen, dass der bisherige Glaube unmündig und unfrei macht. Er zeigt von Anfang an seine Karten, er spricht von Autonomie, Heteronomie und Theonomie, und er nennt die Rede vom Himmel eine Parallelwelt. Und so muss gesagt werden: Gewiss ist der Glaube selbst etwas Fragliches, ist er niemals völlig identisch mit seiner jeweiligen Gestalt. Gewiss ist der Ursprung seiner inneren Fraglichkeit in der Beziehung des Menschen zum geheimnisvollen Gott zu sehen, an der jede bestimmte Ausdrucksform sich zu bewähren hat – wie das übrigens ja auch von jeder rein menschlichen Beziehung zu sagen ist. Aber gerade diese innere Unwägbarkeit kommt bei Lenaers mitnichten zum Vorschein, sondern wird geradezu zugehämmert, indem er auf seinen eigenen Positionen beharrt.

i.

Lenaers würde im Sevilla des 16. Jahrhunderts vielleicht wenig Sympathien für den Machtmenschen haben, der Abweichler hinrichten lässt. Aber wenn er von seiner eigenen, unbehelligten Position aus Jesus und seine Zeugnisse hinterfragt, dann gebiert er sich wie der Inquisitor. Ohne von der inneren Bedeutungsgeschichte der Texte gerührt zu sein, vergibt er objektive Zensuren und übergibt dem Feuer, was seinem Urteil nicht standhält. Und wie jener spekuliert er auf Rückhalt in den Massen. Man möchte ihn sich wie Iwans Erzählung bei Jesus in der Zelle vorstellen und ihm andemonstrieren, dass er weder auferstanden noch Gottes Sohn sei, und es ist wie oben leicht einzusehen, dass der Befrager sich keine Pause und keine Gegenrede Jesu leisten kann. Eine solche wäre es nämlich, wenn die besprochenen Glaubenszeugnisse nach ihrem wirklich Gemeinten befragt worden wären, und nicht nur nach der heutigen Messlatte.
Also erweist sich Lenaers Position ebenfalls als Prinzipialisierung: Statt mit den Gläubigen ihre Erfahrungen in all ihren Sprachen durchzubuchstabieren und dabei das zu suchen, was sich darin anfanghaft ausdrückt, ohne schon ganz zur Erscheinung zu kommen (man möge sich die Fraglichkeit der Glaubensformen wie einen dreidimensional geöffneten Raum vorstellen, in dem das geschichtlich Werdende des Ausdrucks, das immer besser Verstandene und das sich niemals zur Gänze selbst Zeigende sich unaufhörlich neu ereignet), wendet er sich seinem Autonomieprinzip zu und verharrt dort.

j.

Was noch zu Lenaers zu sagen wäre: Zwar wehrt er sich gegen den Vorwurf des Pantheismus, den seine Rede von Gott-in-der Welt provoziert. Aber der Transzendenzbegriff, Hauptzeuge des christlich-jüdischen und islamischen monotheistischen Gottesbegriffs, ist nirgendwo gewahrt. Man kann schon verstehen, dass diesem modernen Glaubensverkünder mit seiner modernen Gemeinde die Vorstellung einer mit Engelklassen und Heiligenscharen bevölkerten und von der Gottesmutter dominierten Himmelswelt nicht behagt und er damit auch nicht argumentiert. Aber solche Bilder sind doch nicht identisch mit der Transzendenz, sondern bestenfalls ein Hinweis! DSC01615
Ein angemessenes Transzendenzverständnis aber hätte Lenaers zu mehr Freiheit gegenüber den Ausdrucksformen des Glaubens führen können, wie es etwa das zweite Laterankonzil gelehrt hat. Es hätte nämlich die Bedeutung der jeweiligen historischen Glaubensgestalt relativiert angesichts des sich offenbarenden Schöpfergottes. Auch die behauptete moderne. Auch die eigene Lenaers.

k.

Man könnte ihm noch ein aufs Juristische reduziertes Sakramentenverständnis vorwerfen, das er folgerichtig bekämpft, ohne die eigentlich personale Dimension in den Blick zu bekommen – Personalität hat er aus seiner Theologie genauso wie Transzendenz ja ausgeschlossen. Und die dritte fehlende theologische Dimension ist die ontologische, die zwar einen Gleichklang mit modernem Liberalismus erleichtert, aber allen besprochenen Phänomenen die sogenannte Tiefendimension beschneidet. So kommt Lenaers zu einem evolutionistischen, nicht aber zu einem theologischen Schöpfungsverständnis.
Dass er solcherart zerzaust wird, muss er sich wohl gefallen lassen, ist er doch selbst in seinen Methoden nicht zimperlich. Wer auf 150 Seiten die gesamte Theologie- und Kirchengeschichte abmontieren will, muss doch Gegenreden einstecken können. Lenaers tritt im Gewand des radikalen Erneuerers auf, der schon längst beargwöhnte Glaubensinhalte für nichtig erklärt, dem aber entgegenhält, dass dennoch eine Art von Glauben möglich sei. Als Retter geriert er sich, so wie der Großinquisitor.


3. Von Fraglichkeit und Prinzipialisierung


Dieses Begriffspaar fand bisher hermeneutische Anwendung. In der Textanalyse wurden damit Argumentationsmuster markiert, die dann zwischen den Texten vergleichbar wurden, sowie auch mit der Eigenart von den Glaubensformen, die von den Texten interpretiert wurden. Nun soll aber ihrer jeweiligen Eigenart nachgegangen werden.

l.


Der Begriff Fraglichkeit beschreibt die Erfahrung, dass eine Sache befragt werden kann, dass sie sogar in gewisser Weise diese Fragen hervorruft oder provoziert. Wenn z.B. ein Gesetzestext, von dem Eindeutigkeit erwartet wird, verschiedene Auslegungen und Anwendungen zulässt, dann gilt er als fraglich. In diesem Sinne kann die ganze Welt als fraglich dargestellt werden, denn sie lässt ja eine unendliche Zahl von Fragen zu. Besonders das Aufkommen der Naturwissenschaft hat dazu beigetragen, denn davor war manches durch apodiktische Aussagen verstellt. Die Erforschung der Naturphänomene hat einerseits die Erfahrung der Fraglichkeit gefördert. Als nicht mehr die Erde, sondern die Sonne im Zentrum der Welt zu stehen schien, konnte das Menschen buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehen, denn sie konnten ihren leibhaften Erfahrungen nicht mehr vertrauen. Als auch die Sonne zu einem unbedeutenden Gestirn wurde, schien der Mensch ins Bodenlose zu stürzen. Das ist eine treffende Einführung in die Erfahrung der Fraglichkeit. Scheinbar feste Maßstäbe schwinden, der Boden wankt, den Menschen schwindelt.

m.

Dagegen weht sich eine Gegenbewegung. Heute spricht man vom Urknall und hat den Eindruck, damit etwas Endgültiges und Eindeutiges gesagt zu haben. Dabei steht der apodiktische Charakter der Aussage in keinem Verhältnis zu ihrer hypothetischen Konstruktion, und die anschauliche akustische Metapher suggeriert eine Sinnlichkeit, die tatsächlich auf keiner Stufe des Theoriegebäudes gegeben ist. Warum geben sich dennoch so viele gebildete und kritisch denkende Menschen mit dieser ans Mythologische reichenden Metapher zufrieden und reihen sie in ihre Dogmatik ein?
Weil die Fraglichkeit allein unerträglich ist. Der Mensch sucht Antworten. Und wenn das, was zur Frage steht, schon schwer zur Gänze erkannt werden kann, und erst recht kaum umfassend beantwortet, so neigt der Mensch dazu, Antwortmuster auszubilden, um die hereinbrechende Fraglichkeit der Phänomene abzudrängen. Es werden Antworten behauptet, ohne sie wirklich anzuwenden. Z.B. die Meinung, die moderne Naturwissenschaft hätte Antworten auf alle wichtigen Fragen – und wenn jetzt noch nicht, so würden sie doch gewiss in absehbarer Zeit gefunden. Dieser hypothetische Optimismus ist gewiss vergleichbar mit der unkritischen Autoritätsgläubigkeit, der Papst hätte auf alle Fragen die richtige Antwort, oder er würde sie bald finden. Gegenwärtig sind anscheinend die Massenmedien damit beschäftigt, ihre Autoritätsgläubigkeit zu falsifizieren, indem sie genau das den kritisierten Gläubigen andemonstrieren.
Diese behauptete Antwort wird hier Prinzipialisierung genannt. Um der Überprüfung ihrer Antworthaftigkeit zu entgehen, gibt sich diese (ungeprüfte) Antwort als Axiom, d.h. sie beruft sich auf unüberprüfbare Grundsätze. Lenaers spricht von Autonomie (Theonomie, womit eigentlich so etwas wie die islamische Scharia gemeint ist, oder die zehn Gebote), der Großinquisitor von seiner Sorge um das Glück der Menschen.

n.

Die Fraglichkeit ist gewiss nicht in erster Linie eine religiöse Erfahrung. Die Grundlagen des Lebens werden in jeder Notsituation fraglich. Fragen der Liebe, der Gerechtigkeit, der menschlichen Beziehungen, aber auch der Moral, oder naturwissenschaftliche Fragen nach Bestandteilen der Materie oder des menschlichen Erbgutes, offenbaren jeweils auf andere Weise, dass die Welt nicht aus bloßen Fakten und Tatsachen besteht, sondern in jeder Hinsicht überaus fraglich ist.
Genau das gilt auch für Glaubenswahrheiten. Ob Trinität oder Inkarnation auch als absolute Wahrheit dargestellt werden: Ihre Wahrheit liegt darin, was genau sie eigentlich beantworten. Die Präsenz des Schöpfers in der Schöpfung, des Christus in der Gemeinde, das sind Erfahrungen, die nicht unfraglich sind. Der einzelne Gläubige sucht nach Vergewisserung, die Gemeinschaft nach Erklärung und Ritual, mithin nach Antworten auf das, was in der erfahrenen Präsenz fraglich wird. Fraglichkeit und Antwort gehören zusammen und verstärken einander. Sie gehen Schritt für Schritt auf eine Radikalität zu und nähern sich so der Wahrheit. Ein Antwortversuch, der sich hingegen vor der Fraglichwerdung abschneidet, indem er an nicht zur Frage stehenden Grundsätzen anschließt, heißt Prinzipialisierung. Das ist an ideologischen Argumenten, an apodiktischen Aussagen, an Gefühlsdogmatismus und an vielen anderen Beispielen zu beobachten, wo man das Nachfragen aufgibt. Aber unschwer ist zu erkennen, dass Fragen das Ursprünglichere ist, nicht das abschneidende Antworten. Ist nicht ein Beten, das nach Gottes Willen fragt, das Höhere?

o.

Trotz allem ist es gut nachvollziehbar, wenn jemandem die erfolgten Darlegungen zu schnell gegangen sind. Denn eine wesentliche Sache fehlt noch in dieser Darstellung, und damit gerade die Mitte und der Ursprung beider, der Erfahrung der Fraglichkeit wie der menschlichen Aufbäumung in der Prinzipialisierung. Denn zuerst und grundlegend ist eine Präsenz. Der Gott, um dessen Verständnis und angemessene Darstellung gerungen wird, und sei es auch als Negation, hat sich allererst mitgeteilt und zu erkennen gegeben. Und auch die Phänomene der Welt geben sich kund, sodass der Mensch nach ihnen fragen und Weisen ihrer Erforschung ersinnen kann. Präsent ist, was sich zu erfahren gibt. Und die heute höchstentwickelte Weise, diese Erfahrung zu erschließen, ist die hermeneutische. Auch die theoretische Physik ist in diesem Sinne nichts anderes als Sprachwissenschaft: Ausreizen der Denkmöglichkeiten, um den Phänomenen gerecht zu werden. Auch im Ringen um den Willen Gottes, um die Bedeutsamkeit seiner Offenbarung und zugleich ihre Entzogenheit, sowie im Nachvollziehen aller unserer Antwortgestalten im Denken und Tun, geht es ja immer gerade um dieses eine, auch wenn es nicht und nicht genannt und angesprochen wird: nämlich um seine Präsenz, um seine Anwesenheit. Dies ist zuerst, und dies ist in der Erfahrung aufzusuchen. Dann erst stößt die Erfahrung auf das Fragliche, und schließlich produziert sie immer wieder, anscheinend unumgänglich, auch die Prinzipialisierung. Aber damit muss man nicht aufhören

Dienstag, 4. Mai 2010

Visionen aus dem vorigen Jahrhundert

*künstlerisch-entwickelnde
pastoral*
Positionspapier zu einer
pastoralen Konzeption

1.

a.

MEINE PASTORALEN ERFAHRUNGEN: Ich wuchs im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf auf, ging dort zur Schule, kannte „Pfarre“ nur als Gottesdienstbesucher. Geprägt hat mich damals ein Religionslehrer und Pfarrer eines Jugendzentrums. Nach meiner Übersiedlung in die Leopoldsstadt engagierte ich mich in St.Josef, „Karmeliterkirche“. Mit ver-trauensvoller Hilfe vom damaligen Kaplan übernahm ich Jugendarbeit - bald auch Firmkatechese, für die wir während eines ganzen Jahres gemeinsam ein Konzept entwickelten. In dieser kleinen, vielfach benachteiligten Pfarre kam ich mit dem „Geist der Entwicklung“ in Berührung, der während der Kriegsjahre schon den von mir verehrten Otto Mauer in dieser Pfarre infiziert hatte, und der sich vorerst in dem stillschweigenden Übereinkommen äußerte, für Firmkatechese und Jugendarbeit, aber auch Gottesdienstgestaltung nur Primärtexte zu verwenden, also selbstverfaßte Beispielsgeschichten oder literarische Texte hoher Qualität, Identifikationsspiele, oder etwa einen Abend zum Thema „Schuld“ in der Karwoche zu gestalten - in jenen Tagen, als über Waldheims Vergangenheit viel diskutiert wurde. Ich las lange Passagen aus Horwaths „Jugend ohne Gott“, ein Jugendlicher hatte dazu Bilder gemalt, die auf Dias präsentiert wurden, und mein Kompagnon Andreas spielte zum Text mit Freunden live Selbstkomponiertes in Leitmotivtechnik ein. Meine wichtigste Aktion aus dieser Zeit und meine erste Begegnung mit Neuer (atonaler) Musik.
Seit 1985 unterrichtete ich in der Hauptschule und lernte dort professionell Entwicklungsarbeit. Ich war z.B. im ersten Jahr Klassenvorstand von 36 vierzehnjährigen Burschen. Mein drittes Unterrichtsjahr verbrachte ich in Karenz und widmete mich meiner eigenen Entwicklung. Im Philosophiestudium, in Schreibversuchen über die menschliche Freiheit und in ungebremstem pastoralen Engagement verfolgte ich die Frage nach meiner eigenen Lebensentscheidung - solange bis die Frage mich verfolgte, warum ich nicht endlich nachgäbe und Priester würde. Bei dieser Frageumpolung hatte die Lektüre von Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ entscheidenden Anteil.
Am 1.April 1988 meldete ich mich bei Regens Toth an. Das war ein Karfreitag, und dieser sollte sechs Jahre dauern. Studium und studentisches Leben waren zwar freudvoll, aber geistige und spirituelle Enge von Priesterseminar und Leitung ein schwerer Klotz und eine Zwangsjacke, die mir die Luft abschnürte. Ich wurde durch Studenten und Leiter mit einem Ausmaß an Existenzangst und Zwanghaftigkeit konfrontiert, das einen auf sich Gestellten, der gewohnt ist, „auf eigene Faust zu leben“ (Zitat Musil), völlig überfordern muß. Glücklicherweise war ich nicht allein, sondern gestützt und umsichtig geleitet durch einen erfahrenen Entwicklungsförderer, der selbst aber, als eigenständig Denkender und Unangepaßter, denselben Anfeindungen ausgesetzt war wie ich. Wohl kaum jemand hat die Vorgänge in der Erzdiözese Wien so aufmerksam verfolgt wie jener Pfarrer, und ist für so viele Menschen helfend und fördernd eingetreten, und höchstens prominente Vertreter haben ähnlich viel Häme und Neid geerntet wie er. Schließlich fand man nur mehr seine Pensionierung als Ausweg.
In den Vorzeigepfarren, in die man mich schickte, um mich „geradezubiegen“, lernte ich verschiedene Spielarten des immergleichen Versorgungssystems kennen. In Kagran lehrte mich der Pfarrer das „Konzept der Blumenwiese“, wo alle Blumen wachsen dürfen. Nur ich wurde von Schnellerwüchsigen abgedrängt und dem Regens schlechtgemacht, sodaß ich von der Diakonweihe meines Jahrgangs, der insgesamt kaum pastorale Erfahrung besaß, ausgeschlossen wurde. Dann kam ich nach Ober St. Veit mit seinen elaborierten Umgangsformen und seinem gutbürgerlichen Dorfcharakter. Hier lehrten mich die jungen Damen und Herrn Mitarbeiter, was gewünscht war. Die Propheten aber, die ich damals rief, sind noch immer aktiv und in spirituell und existenziell sehr tiefer Verbindung mit mir. Ich begann damals, die Entwicklungsförderung auf prophetische Charismen zu konzentrieren, die in jeder Pfarre vorhanden sind, wenn auch nicht unbedingt im Zentrum des Aktionismus. Die größte Erfüllung in diesen Jahren aber erfuhr ich in der Arbeit mit den Kindern, besonders in der Waldorfschule, wo ich von 1994-98 Religion unterrichtete. Die Kinder begleiteten mich 1995 zur Diakonweihe, 1996 zur Priesterweihe in den Dom und saßen dort ganz in meiner Nähe. Von da an gab es Schulmessen in der nicht gerade katholischen Waldorfschule. 1998 fuhr ich mit der 6.Klasse ORG und dem Lateinlehrer und der Geschichtelehrerin und Klassenvorständin für eine Woche nach Rom. Die lebendige Geschichte (eigentlich ein waldorfpädagogi-sches Ziel ersten Ranges) der römischen Antike, der christlichen Anfänge und der Renaissance bewegten Lehrer und Schüler aber schon Monate davor (jeder Schüler hatte ein Referat gehalten an Ort und Stelle) und hoffentlich auch noch später.
Meine erste Kaplanspfarre in der Brigittenau führte mich wieder in eine Arbeiter- und Kleineleute-Soziologie wie in Kagran, diesmal aber inhomogen durch den außerordentlich hohen inländischen und ausländischen Migrantenanteil. Die Bildungslosigkeit, Kommunikationsarmut und Beziehungskälte dieser Milieus treibt den Rechtspopulisten in Scharen die ehemaligen Linkswähler zu - was die Bezirksvorsteher wissen und darum durch Kontakte zu den Pfarren zaghaft gegensteuern. Mir kam das in Allerheiligen zugute, als ich ein regionales Integrationsprojekt mit öffentlicher Unterstützung durchführte. Ich holte (im Alleingang) Schulen, Moscheen, Künstler, Politiker und, am wenigsten beteiligt, auch Pfarren zusammen, um ein Monat lang die gemeinsamen Wurzeln in der Türkei in der Region zu thematisieren. Wenn heute die Medienpräsenz als Gradmesser des Erfolges gilt, dann sind 50 Minuten Ö1 und 10 Minuten ORF2 ein gutes Ergebnis. Auch der Besuch der beiden Veranstaltungen am Anfang und am Ende ließ nichts zu wünschen übrig. Der wirkliche Erfolg dürfte aber in der Herstellung mancher Kontakte zwischen Bevölkerungsgruppen liegen - eine Einstellungsänderung wird kaum stattgefunden haben.
Das zweite Projekt dieses Arbeitsjahres holte vier befreundete albanische Künstler nach Wien, wo sie in der Votivkirche ihre Werke präsentierten (ich unternehme gerade weitere Anläufe, um die damals mir überlassenen Werke auch zu verkaufen), und wo in einer Eucharistiefeier auch musikalisch neue Wege begangen wurden. „Kunst in Kirche“ erscheint mir immer mehr als pastorale Notwendigkeit, keineswegs als Luxus (wie in meiner damaligen Pfarre mit ihrer Garagenkirche mit Linoleumboden und abwaschbaren Tapeten).


b.

DIE LITURGIE: Wie ein Fenster in die inneren Vorgänge einer Pfarrgemeinde ist mir immer die Liturgie erschienen. Die Umgangsformen (sie haben nach meiner Erfahrung den größten Prägecharakter und bestimmen am meisten die „Identität“ des Kollektivs - alles andere ist ihnen ideologisch nachgeordnet), die Arbeitsformen (einer statt allen, oder Konformismus, meistens mit oligarchischer Ausprägung), und v.a. was man für das Wichtigste im Glauben hält. In den Wiener Pfarren, die ich kenne, ist das meist Anpassung an Modernismusideologie, entweder im vornehm intellektuellen Ö1-Stil (Hietzing) - oder eben wie Ö3: anbiedernd, schrill, geschmacklos, inhaltsarm. Das orientiert sich nach der Platitüde „Zu den Leuten gehen“. Auch meine engagierteren Jungpriesterkollegen, die in Niederösterreich arbeiten, folgen solchen Leitbildern. Ein anderes, weniger häufiges, aber stark bindendes Leitbild gibt Caritas und Mission, weil handfeste Hilfe für Andere (Ferne) europäisch abstrakte Lebensformen veran-kern kann.
Die Verunsicherung der in den späten 60ern und v.a. in den 70ern dogmatiklos ausgebildeten Priestergenerationen in ihrem Selbstverständnis äußert sich meist in der Selbstpräsentation, antiklerikal aufzutreten und mit dem „System Kirche“ möglichst wenig in Verbindung gebracht werden zu wollen - gepaart mit dem populistischen Unbehagen gegen jegliche Obrigkeit (dessenungeachtet sie alle autoritär über Reste regieren). Daher wird die Liturgie zur Protest- und Kontraveranstaltung - bei den Engagierteren -, und zum großen Teil ist der wildwachsende Eigenbau völlig inkompatibel mit der Liturgie schon der Nachbarpfarre - ein Problem schon bei Vertretungen, aber v.a. ein Motor zur Erzeugung eines Konkurrenzdrucks zwischen den Pfarren. Das Miteinander im Klerus, das längst stillschweigend durch Freundeskreise in den Pfarren ersetzt wurde (oder kompensiert?), ist daher geprägt durch heimliche Mißbilligung der Sonderwege der anderen, die den eigenen Sonderwegen diametral entgegenlaufen.
Darüber hinaus sind die liturgiegestaltenden Einflüsse auf die Einzelinteressen von Mitarbeitern beschränkt und von ihren Vorlieben für konservative oder aktionistische Formen. Dem schweigenden konservativen zufriedenen, sich versorgen lassenden Gemeindeteil steht der junge, sich inszenierende gegenüber, der sich mit bestimmten bevorzugten Liederbüchern selbst eine gefällige Umgebung bereiten möchte, die jedoch selten inhaltlich zu binden vermag.
Die Steuerung solcher liturgischer Entwicklungen erfolgt nach persönlichen Vorlieben, meist nach Zweckrationalität - aber kaum noch habe ich einen pastoral Tätigen kennengelernt, der nach der sachlichen und personalen Notwendigkeit gefragt hätte. Das Studium der Liturgiegeschichte oder der liturgischen Überlegungen des Konzils und der Kommissionen erfolgt höchstens, um eigene Vorlieben zu rechtfertigen. Liturgische Bildung und Interesse der Mitarbeiter wie der Gemeinde ist marginal. Was ich v.a. immer wieder vermißt habe, ist, sich mit dem Sinn liturgischer Handlungen auseinanderzusetzen. Wenn Volks- oder Hochaltar danach beurteilt werden, ob man die Gemeinde sehen will oder nicht, wird das Wesen des Altars gar nicht zur Frage. Wenn eine Participatio der Gemeinde darin gesehen wird, daß Menschen zur Gottesdienstzeit den Gottesdienstraum betreten und sich eine Weile darin aufhalten, dann erscheint der Gemeindegesang, die Sammlung, die Umschreitung der Versammlung, die Darbringung der Gemeinde-Gaben als Schnickschnack, für den niemand ernsthaft einen Finger rührt. Wenn Gotteswort und Orationen als litaneiartige lautmalerische Atmosphärengestaltung verstanden werden (von etlichen Mitarbeitern auch in Kärnten ausdrücklich so bezeichnet!), dann wird sie je nach Qualität und Geschmack möglichst gekürzt oder durch allerlei Lokaltraditionen ausgeschmückt werden. Wenn Chorgesang als feiertägliche Herablassung würdiger Damen und Herrn erwartet wird, dann ist Volksgesang nur mehr Pausenfüllung, und Anleitung desselben Fleißaufgabe. Daß sich trotz jahrzehntelanger Chorgesangsausbildung nahezu niemand auftreiben läßt, der sich als Kantor einer Ge-meinde gegenüberzustellen bereit ist, bestätigt diese Beobachtung von Selbstein-schätzung und Liturgieverständnis der Mitwirkenden und Verantwortlichen. Und da, wenn überhaupt etwas am Gottesdienst bereichernd sein kann (z.B. besuchen 80-90% meiner Taufgesprächspartner in Ferlach und Maria Rain die Kirche falls überhaupt, dann am liebsten allein, wenn sie leer ist), dies nur von der Predigt selbst erwartet wird, versinkt man davor und danach in eine Art Dämmerschlaf, um dann moralistisch bestätigt oder beunruhigt zu werden (im Falle älterer Priestergenerationen). In allen meinen pfarrlichen Bibelgesprächen (auch in Wien) wurde stets eine moralische Auslegung erwartet und geboten - mitunter in psychologischer Verbrämung im Stil Drewermanns -, und ohne daß man überhaupt auf den Text schaut und hört, weiß man schon, was dadurch erlaubt, gefordert und verboten wird.
Und zuletzt und zuerst maßgeblich sind die Erfahrungen der Menschen mit dem vorherrschenden Stil liturgischen Feierns, der ihnen in der eigenen Pfarre begegnet, als kanonische Meßlatte. Und den empfinden sehr viele Menschen unter 30, ja sogar unter 40, als langweilig und nichtssagend, reine Pflichterfüllung zur Beruhigung und Reinigung des Gewissens (auch der älteren Verwandtschaft). Alle meine Gesprächspartner bei Taufgesprächen in Kärnten haben Taufen in der Sakristei oder im Spital erlebt, die unter 10 Minuten gedauert haben. Alle sind ahnungslos über Inhalt und Bedeutung der Taufe, niemand (100%) hat jemals zuvor eine christologische Begründung der Taufe gehört und brächte von sich aus das Taufgeschehen mit Christus in Zusammenhang statt mit Ängsten wie: „Wenn das Kind stirbt, damit es in den Himmel kommt...“, oder mit kopfschüttelnd widerwillig vorgebrachtem „Wegen der Erbsünde...“. 2/3 der Firmkandidaten gehen wegen der Verwandtschaft zur Firmung, etwa 1/2 bezeichnet sich selbst als ungläubig.
Ich fasse diese Erfahrungen zusammen in dem Begriff Relevanzverlust. Die Ritualisierung des Sonntagvormittags, angereichert mit Anektotischem aus der Predigt, motiviert durch die tangentiale Begegnung mit (lieben) Menschen; das alles zusammengehalten und unterfaßt von der Ahnung von innerer, allerdings verborgener Richtigkeit und abstrakter Heilsbedeutung des Vollzugsganzen. Eine solche Motivationslage wäre vielleicht ausreichend in einer hermeti-schen Nachkriegsgesellschaft mit hohen Pflicht- und Anpassungswerthaltun-gen, profilierter Ausdruck eines wählbaren, stark kollektiv orientierten christlichen Ethos. In individualistischer Motivationslage erscheint solche Liturgie- und Gemeindekonzeption vorwiegend interessant für ältere Generationen und Anpassungsbedürftige. Ansonsten bietet die Pfarre jede Menge Freizeitgestaltung und Sinnstiftung, die auf gleicher Ebene erscheint wie Sportvereine, Feuerwehr und Musikgruppen. Die Notwendigkeit der Funktionen ergibt sich jeweils daraus, daß es sonst ja niemand machen würde - aber nicht aus dem Sinn des Ganzen. Und dieser Sinn des Ganzen müßte m.E. in der existenziellen Relevanz der Liturgie zusammengefaßt zum Ausdruck kommen - transparent und zugänglich für jeden Teilnehmer, affektiv und intellektuell kommuniziert und vollzogen. Ich halte die zugesagte Präsenz Christi in der Eucharistie für so bedeutend, daß auch die antwortende Präsenz der Gemeinde entwickelt werden muß, weil die Gegenwart des einen die Gegenwart des anderen erschließt.


2.

a.

VORÜBERLEGUNGEN ZUR GEMEINDE- UND LITURGIEKONZEPTION: Ich sehe Sinn und Aufgabe pastoraler Arbeit in der Heranführung der Menschen an die Gegenwart Christi in der Eucharistie. Das eröffnet mehrere in unserer Situation zugängliche Dimensionen von Seelsorge:
• Ein entwickelnd-heilender Umgang der Menschen miteinander: Nicht die Funktionserfüllung steht im Mittelpunkt, sondern die Menschwerdung der Gläubigen. Personzentrierte Gesprächsformen mit therapeutischem An-spruch (i.w.S.) sowie suchende, fragende und gestaltentwickelnde Vollzüge prägen das Gesamtbild. [Das pure Gegenbild dazu: eine „Wir sind wir“- Club-mentalität, die starre Vollzüge mit großem Aufwand in Gang hält, um fixierte Identität aufrechtzuerhalten]
• Ausgang und Ziel Liturgie: Festkreise, liturgische Elemente und Symbole (Wasser, Blut, Fleisch, Wein, Brot, Kreuz, Chrisam, Prozessi-on/Gehen, Hören, Sprechen/Singen, Stille, Schauen...) bestimmen Aufgaben und Vollzüge. Sie sind Themen der Auseinandersetzung und Vorbereitung von Gruppen. Die Aktivität dieser Gruppen ist somit themenbezogen und auf die An-eignung durch die Gemeinde orientiert. [Der Kontrast dazu: die Präsentation ei-nes an sich bedeutungslosen Wandteppichs in der Kirche, den die Gruppe ... gemacht hat und damit ein Lebenszeichen von sich gibt]
• Ein sich fortwährend reflektierender und weiterentwickelnder Selbstvollzug: Persönliche und gruppendynamische Stabilisierung soll durch Auseinandersetzung und Kompetenz erreicht werden, nicht durch abgeschlos-sene und ausschließende Formen. Z.B. soll die fünfte Neukonzeption der Oster-liturgie nicht fixe Bausteine und festgelegte Aufgabenverteilungen bereitstellen, sondern Erfahrung im Gestalten und Nachfragen nach dem Sinn. Gleichwichtig wie die Durchführung selbst ist demnach die tiefschürfende Vorbereitung und die umfassende Erfolgskontrolle durch Beobachtungen und Befragungen. Damit eng in Zusammenhang steht die
• Intellektuelle Entwicklung: Das durchschnittlich vorhandene Glau-benswissen auf Volksschulniveau, angereichert mit massenmedial produziertem Meinen, ist unserer hochintellektualisierten Welt nicht angemessen, in der schon die Bedienung von Computer und Fernsehfernbedienung den Geist mehr heraus-fordert als die Religion. Aber zum „Wissen“ gehört Verstehen, Erkennen und Interpretieren gesellschaftlicher, politischer (bes. in Kärnten), kultureller und re-ligiöser (i.w.S.) Erscheinungen. Entwickelte Theorie und entwickelte Praxis be-dürfen einander.
• Künstlerischer Anspruch: „Kunst“ ist hier nicht akademisch ver-standen, auch nicht nur vom Werk her, sondern als Prozeß der Auseinanderset-zung. Es geht nicht um möglichst perfekten Nachvollzug von Formen (z.B. Lie-der), sondern um experimentelles Beschreiten neuer Wege, ohne konfliktscheu zu sein. Das führt zu einer Ausweitung der Bereiche und Dimensionen. Musik im Gottesdienst führt über die Schubert- oder Katschtaler Messe hinaus zu Neuer Musik, Gregorianik, atonalen, seriellen oder elektronischen Experimenten, Perkussion, zu Musik anderer Völker und v.a. zu verschiedenen Formen von Gemeindebeteiligung in Hören, Mit/Nachsingen, Tanzen, Text, Klang, Melodie verinnerlichen usw. Andere Bereiche: Kirchenraum, Bewegung, Licht, Literatur. Diese Dimension zeigt am deutlichsten die Zukunftsorientierung der ganzen Konzeption.
• Integrative Vollzüge: Eine Isolierung und Abschottung von Grup-pen ist vorübergehend möglich, um konzentriert bei einer Sache bleiben zu kön-nen - im ganzen aber ist die Bildung von Sondergruppen unerwünscht. Auch das Sonderbewußtsein der Gemeinde soll sich darauf beschränken, für andere schon erprobte Wege bereitzustellen. Eine solche Gemeinde müßte ein regiona-les Zentrum darstellen, das suchende und/oder in irgendeiner Weise kompeten-te Menschen anzieht. Bevorzugte Ansprechpartner müssen alle pastoral Tätigen sein, z.B. Religionslehrer. Kooperation mit anderen Gemeinden und der Kirchen-leitung müssen selbstverständlich sein. Auf jeden Fall müssen Kompetenzen im-portiert werden, d.h. Menschen, die etwas für die Entwicklung der Gemeinde Relevantes können, eingeladen werden. Auch soziale, religiöse und ethnische Begegnung ist ein wichtiges Ziel dieser Dimension (somit die Bereiche Caritas und Mission).
• Spirituelle Dimension aller Vollzüge: Spiritualität erschöpft sich nicht in Gebetsübungen. Meditation, Bildung von Leib und Seele, v.a. ein ganz-heitliches Menschenbild prägen Liturgie und Alltag. Mystische Tiefe wird nicht auf Sonderbereiche ein-(aus-)gegrenzt, sondern in der Vertiefung aller Dinge gesucht. Vielleicht ist auf diesem Wege eine Verbindung mit den sog. Fernste-henden am ehesten möglich, die sich häufig an bestimmten Vollzügen stoßen, deren Offenheit aber durch die Konfrontation mit der als Institution erfahrenen Kirche Begrenzungen erfährt.
Die beiden letzten Dimensionen halte ich für die wichtigsten in Bezug auf die kirchliche Erneuerung auf personeller Ebene. Ich habe nirgends soviel Ausgrenzung und Oberflächlichkeit erlebt wie im Priesterseminar und im Zu-sammenhang mit der ganzen „Priesterausbildung“. Ich habe dutzendfach gese-hen, daß man mit kreativen, lebhaften und spirituell tiefen und ernsthaften Men-schen nichts anzufangen weiß und ihnen nichts zu bieten hat, weshalb sie selbst gewöhlich nicht lange im Seminar aushalten. Das verdünnt die Begabungen im Klerus ungemein, ohne die Angepaßten zu stärken . Das hier zu entwickelnde Konzept will einen Raum zur Reifung solcher Menschen bieten.

b.

ZIELFORMULIERUNGEN: Hier sind eine praktische, vom Vollzug bestimmte Ebene von der Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung zu unterscheiden. Außerdem müssen allgemeine, weit ausgreifende Formulierungen konkreten, anwendungsbezogenen gegenüberstehen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Leitbildes für Gemeinde und Liturgie, das Identifikation von Mitarbeitern und Gemeindemitgliedern ermöglicht (auch Ablehnung). Für jede Dimension (s.o.) müssen Grobziele formuliert werden, anschließend (von Arbeitsgruppen) operationalisierte Etappenziele (deren Erreichung überprüfbar ist). Außerdem ist für die Durchführung wohl am wichtigsten, über die nötigen finanziellen, personellen und baulichen Mittel Bescheid zu wissen.

c.

VERFAHRENSFRAGEN: Ein solches Konzept einer bestehenden Pfarre zu implantieren erscheint gewaltsam. Entweder läßt sich der Einstieg in eine solche Arbeit mit einer Neugründung verbinden (das könnte den Vorteil eines konzepti-onellen Kirchenneubaus haben), oder eine Pfarrübernahme könnte das Konzept schrittweise einführen, adaptieren und aneignen . Das Einzugsgebiet müßte groß genug sein, um Austausch und Kommunikation zu ermöglichen. Z.B. würde ich Kontakte zur Universität, zu Künstlern und kulturellen Institutionen vertiefen und erweitern. Für kulturelle Aktivitäten wird eine professionelle PR-Arbeit u-nerläßlich sein. Begegnung und künstlerische Arbeit erfordern Räumlichkeiten, Werkstätten und Ateliers sowie Unterbringungsmöglichkeiten.
Die finanzielle Einbindung sollte die Anstellung und Unterbringung einiger hauptamtlicher Fachleute ermöglichen, die eine ganze Region versorgen könnten - z.B. für musikalische Entwicklung, für spirituelle Vertiefung, für therapeuti-sche Begleitung, für künstlerische Anleitung und pädagogische Führung. Ande-rerseits könnte bei entsprechender PR-Arbeit auch ein künstlerisch-pastorales Zentrum entstehen, das sich durch den österreichweiten Verkauf selbst herge-stellter liturgischer Geräte und Gewänder oder durch Beratung und Hilfe bei künstlerischen Kirchenraumgestaltungen z.T. selbst erhalten kann. Diesbezügli-che Kontakte zu Künstlern, Therapeuten, Gesangausbildnern und Universitäts-professoren und -Assistenten baue ich seit Jahren auf.

3.

ANSÄTZE IN MEINER BISHERIGEN ARBEIT: Das vergangene Arbeitsjahr in Maria Rain bot Gelegenheit zu manchen Experimenten. Am auffälligsten und wirkungsvollsten waren zwei Dinge, die Hinführung der Kinder zur Liturgie und die Taufliturgie, jeweils unter Einbezug der ganzen Gemeinde. Die entwickelte Präsenz der Kinder wirkte auf alle belebend. Das Charisma einiger, Zusammen-hänge schnell zu durchschauen und auszusprechen, oder das Charisma anderer (recht vieler), so intensiv im Lauschen, Gehen oder Beten anwesend zu sein, daß sie alles andere vergaßen, überzeugte die Gemeinde, allen voran die Eltern (meist Mütter) der Kinder, die deren Bewegtheit spürten.
In der Taufliturgie setzte ich meine von Schulkindern gemachte Taufstola ein, die mit Bildern aus dem langen Taufwasserweihgebet und mit Symbolen für Leben und Tod geschmückt ist, weiters verwende ich Chrisamöl in einem gläsernen Fläschchen und vermeide es, nach der Salbung die Hände abzuwischen, als hätte ich mich mit Ekeligem beschmutzt (wie bei den grünspanigen watte-verfilzten Blechdöschen), sondern verreibe und verstreiche behutsam das Öl auf der Haut des Kindes. Dabei entsteht außerordentliche Berührungsintensität. Bei Predigtgespräch und Gesanganleitung (GL 46) wurde Fremdheit schon aufgelockert und Kontakt hergestellt, bei der Versammlung um den offenen, mit Was-ser gefüllten Taufbrunnen Intensität erzeugt, beim Eintauchen der Hände ins Wasser (Epiklese) auf dieses konzentriert. Die stärkste Wirkung und Überzeu-gung geht von der vollendenden und abschließenden Präsentation des getauften Kindes am Altar aus, wenn die Gemeinde um diesen versammelt ist und das Vater unser betet.
Weiterzuführen wäre die Beteiligung der Kinder an allen Gottesdiensten als Normalform, die Vertiefung der Wassersymbolik, das Taufgedächtnis, die Verankerung der Taufe in der Osternacht, überhaupt das Taufbewußtsein und -Charisma der ganzen Gemeinde.
Durch Selbstgestaltung mancher liturgischer Gegenstände (Kelch, Evan-geliar) wurde Aufmerksamkeit auf diese gelenkt. So habe ich etwa des öfteren Stolen und Meßgewänder eigener Fabrikation verwendet - und zum Abschied eine von den Kindern selbst gestaltete Seidenstola bekommen (was sogar unbe-teiligte Gemeindemitglieder als Lernerfolg der Gemeinde bezeichneten). Die Erneuerung alter (vergessener) Bräuche, wie z.B. der Gabenprozession, hat manchmal Verwunderung und Fragen ausgelöst. Das Gespräch über solche Vollzüge wäre allerdings noch weiterzuführen. Ein großer Dorn im Auge ist mir nach wie vor die Beschränkung der Gaben auf die große Hostie (welche wo-möglich, in den kleinen Pfarren, samt Kelch schon am Altar wartet, um keine Umstände zu machen), die dann feierlich konsekriert im Mund des Priesters verschwindet, worauf er für die Gemeinde die schon längst verstauten (und versteckten) Gaben aus dem Tabernakel holt wie aus dem Kühlschrank. Die Einheit des Vollzugs ist dadurch gestört, Priestervollzug vom Gemeindevollzug abgehoben und zwei zusätzliche, sachlich nicht gerechtfertigte Wege zurückzulegen. Die ohnehin unterentwickelte eucharistische Frömmigkeit unserer Gemeinden wird dadurch weiterhin behindert.
Besonders wäre der eigene Kirchenraum zu erschließen, denn wenig Menschen in Maria Rain wissen etwas darüber, obgleich die meisten ihn sehr schätzen. Die den wunderbaren Steinboden verdeckenden Teppichböden, die vielen herumstehenden kleinen Bänklein, der monumentale Gabentisch, der üppige Blumenschmuck auf dem Hochaltar und vieles andere wäre genauer in Augenschein zu nehmen.
Für alles das und vieles mehr wäre natürlich ein ständiges Gespräch über und Interesse an liturgischen Vollzügen nötig - die Fragen danach wurden aber geweckt.
Ein Zwischenschritt aber bis zur künstlerischen Durchdringung und Verwesentlichung liturgischer und pastoraler Vollzüge, der auch in der gegen-wärtigen Praxis längst zu vollziehen wäre, ist die Einübung der Gemeinde in ihre eigenen Gemeindedienste wie Lektor (sinnerfülltes, bewußtes Lesen), Kantor, eigenes stilles und verbalisiertes Gebet (Orationen als Zusammenfassung wo-von?, Fürbitten), Antworten (Monsignore gibt sich immer selbst die Antwort und behindert damit die Gemeindeantwort) und v.a. Gesang (nicht nur zu besorgen von Stellvertretern) und Körperhaltung (gegen das zum Dösen verleiten-de Aussitzen). Dafür zumindest allmählich ein Bewußtsein zu schaffen wäre ein gutes Ziel für mein zweites Jahr in Ferlach, Dollich und Unterloibl.


Bisherige künstlerisch-entwickelnde Aktionen:
• Filmprojekt mit 15 Jugendlichen vom Rosental bis St.Veit: Schnee von ge stern - Tau von morgen
• Rilke-Lesereise nach Duino, Triest und Koper
• Musil-Lesegruppe I & II zum Mann ohne Eigenschaften
• Kindermesse in Grado
• Evangeliar aus Email mit Jugendlichen aus Maria Rain und Schülern der HTL Ferlach
• Evangeliar aus Keramik-Mosaik von Kindern aus und für Ferlach
• Ausstellungen moderner Künstler aus Albanien in St.Georgen, im Schloß Ferlach und in der Pfarrkirche Greifenburg
• Konzert Neuer Musik: Engel von Ensemble Hortus Musicus in der Stadt- pfarrkirche Ferlach (im kommenden Advent)
• Rockmesse mit selbstkomponierten Liedern zum Prophet Elija in Berg/Dr.








Ferlach, im Oktober 1999

Dieses Positionspapier wurde zwei Bischöfen vorgelegt und von einem als undurchführbar verworfen, vom anderen als pastorales Programm angenommen. Sie führte schließlich zu meiner Inkardinierung und in meine heutige Pfarre. Nach zehn Jahren prüfe ich nun die Umsetzung des damals Geschauten

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