Mittwoch, 6. April 2011

Ikonenverehrung

a.
Eigentlich könnte ja der Aufbau von Leitbildern als ein konstruktiver Vorgang beschrieben werden. Gesellschaftliche Anerkennung zu verdienen setzt doch voraus, durch besondere Leistungen aufgefallen zu sein und sich Vertrauen erworben zu haben. Andererseits verrät natürlich die Ikone auch sehr viel über diejenigen, die sie verehren. Wenn in der christlichen Antike Märtyrer hochgehalten wurden anstelle von Helden oder Führerpersönlichkeiten, so dokumentiert dies nicht nur ein verfolgtes Christentum, sondern auch eine Schubumkehr der Werte von einer leistungsorientierten römischen Siegermoral hin zu einer existenziellen Bekennermoral, die weniger an vorzeigbaren Ergebnissen, sondern an der Authentizität und Kongruenz der Werthaltungen orientiert ist. Dabei tritt die Eindeutigkeit der Position oft gerade erst nach einem tiefgehenden Wandel hervor, nämlich nach einer Bekehrung oder existenziellen Neuorientierung – wir denken an Paulus, Martin von Tours oder Augustinus. Auch hinter den Namen der heutigen Ikonen steht jeweils eine Anhängerschaft, die sich durch ihr Leitbild erst richtig konstituiert. Auch heute sind es nicht immer Leistungen, sondern oft eine bestimmte Haltung, die den Marktwert ausmacht.

b.

Was steht etwa hinter dem kometenhaften Aufstieg des aus prekären Verhältnissen stammenden Australiers Julian Assange? Weltweit bekannt wurde er, als er illegal gehackte Geheimdienstprotokolle aus aller Welt zuerst namhaften Zeitungen zum Verkauf anbot und, nachdem er damit scheiterte, sie im Internet veröffentlichte. Man könnte erwarten, dass ihm dies die Feindschaft aller Länder, oder zumindest der Regierungen einbringen würde, die durch die Veröffentlichungen mit einem Schlag bloßgestellt und betrogen wurden. Die Offenlegung aller Vorgänge internationaler Diplomatie trägt eigentlich das Ende von Diplomatie überhaupt in sich, also den Vorgang von interner Meinungsbildung, Kommunikationsanbahnung, von Allianzbildung, aber auch von Druckausübung auf Regierungen und Staaten. Die Enthüllungen sind so etwas wie die Übertragung von Telefongesprächen im Radio, und es müsste mit einer Entrüstung aller freiheitsliebender Menschen zu rechnen sein, an vorderster Front der Datenschützer und Warner vor zuviel Kontrolle und des Zugriffs auf private und interne Vorgänge.
Der zweite erstaunliche Punkt ist, dass diesem zweifelhaften Helden der Bloßstellung am Höhepunkt seiner Enthüllungen nun selbst Vorwürfe gemacht werden wegen sexueller Übergriffe, sodass nunmehr seine eigene Blöße in allen Medien präsent ist, und gerade in einem Bereich, der stets die allerhöchste Empörung garantiert. „Der Spiegel“ schwärmt vom Cyber-Krieg zwischen dem Internet-Profi und seinen Unterstützer-Truppen, und dem amerikanischen Geheimdienst, die Vergewaltigungsvorwürfe interessieren ihn aber nicht. „Die Welt“ berichtet von Assanges angeblichen peinlichen Bemühungen um Partnerinnen in einer Internet-Partnervermittlung, und von kompromittierenden Aussagen seiner ehemaligen Mitstreiter. Die Bild-Zeitung berichtet, dass Assange mit zwei Schwedinnen sexuell verkehrt habe, dabei auch gegen ihren Willen ohne Kondom. Die Süddeutsche Zeitung ebenso, und erwähnt dabei die strengen schwedischen Gesetze, die Frauen schützen sollten, und die nachfolgenden Diffamierungsversuche gegen die beiden Frauen von Assanges Anhängern.
Hierzulande klassifiziert News die Vorwürfe gegen Assange jedoch als Schmutzkübelkampagne, ebenso der Standard. Profil nimmt die Vorwürfe zum Anlass einer Aufklärung über Vergewaltigungsklagen und Unrechtsbewußtsein. Angelika Hager (13.1.2011) stellt Assange an die Seite des ebenfalls promiskuitiven Jörg Kachelmann, dessen Anklage auf persönliche Kränkung einer sich zuwenig beachtet fühlenden ehemaligen Partnerin zurückgeführt wird. Die Krone zitiert ihn als „schlechtesten Australier 2011“. Die Presse berichtet am 8.2. von Assanges Befürchtung, von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden, wo Guantanamo und die Todesstrafe drohen könnten. Ebendort empfiehlt Christian Ortner einige Wochen vorher, beim Sex immer eine Notarin anwesend sein zu lassen, um späteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen. Die neuesten Entwicklungen der Kontrolle über das Privatleben einzelner in der westlichen Welt nennt er Scharia. Peter Pilz von den Grünen fordert politisches Asyl für Julian Assange und bietet Wikileaks den Server der Grünen an für weitere Veröffentlichungen kompromittierender Geheimdokumente.

c.,

Man kann an der Ikonisierung Assanges´ sehen, wie behende und großzügig Vorwürfe wegen sexueller Vergehen bagatellisiert und gesetzliche Regelungen einer westlichen Demokratie verhöhnt werden, wenn eigene Interessen bedient werden sollen. An der Ikone prallen die Vorwürfe ab. Die liberale Öffentlichkeit hat sich dafür entschieden, Assange zum Bannerträger der Bloßstellung der institutionalisierten Macht zu machen. Das Prinzip Bloßstellung, ein Urmotiv von Massenmedien, steht über dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frau und den wirtschaftlichen und politischen Interessen von Staaten wie Österreich, Schweden und USA. Peter Pilz oder Christian Ortner wettern gegen die repressive Kontrolle des Staates über die freien Bürger, und unterstützen den Kampf dagegen mithilfe der subversiven und illegalen Kontrollmöglichkeiten von Internet und medialer Öffentlichkeit. Sehen Sie einen Unterschied? – Ja, er liegt darin, wer kontrolliert. Der Ikonenmacher ist hier die liberale Linke, und ohne Rückhalt oder Duldung in der Öffentlichkeit könnte sie eine so brisante Positionierung nicht wagen. Das besagt aber keineswegs, dass es Mehrheiten von politisch Liberalen oder Linken gäbe. Aber die Vorstellung, der Einzelne stünde im Zentrum von Recht und Macht – oder er solle im Zentrum stehen!, diese Vorstellung, die sich zugleich gegen Institutionen und Solidaritäten richtet: eben diese Vorstellung ist mehrheitsfähig.

d.

Im Standart-Interview sagt am 7.4.2011 der Wiener Anwalt und Publizist Alfred Noll: „Der Aufdeckungsjournalismus ist ein elementarer Kern dessen, was ernstzunehmender Journalismus überhaupt ist. Es gibt keinen Grund, davon abzusehen. Aufdeckungsjournalismus gibt es in Österreich nicht zu viel, sondern es gibt zu wenig.“ Er bemängelt, dass in Österreich weder Politik noch Zivilgesellschaft ausreichend eine „Balance zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie“ herstellen, und sieht darin eine Aufgabe der Medien. Was er unter Demokratie versteht, zeigt sich in seiner Entgegnung auf die Frage nach dem Einfluss medialer Vorverurteilung auf die Rechtssprechung. Richter, die sich von Medien beeinflussen lassen, seien eben „schwache Persönlichkeiten“. Und die übrigen Medienkonsumenten?

Demokratie wird hier offensichtlich mit Individualismus gleichgesetzt und hat jedenfalls den Obrigkeitsstaat zum Feind, wahrscheinlich jegliche Obrigkeit. Die massendemokratische Konsumgesellschaft – so an dieser Stelle nun die These im Vorblick - benötigt die Medien, um die Brücke zwischen dem radikalen Individualismus und einem gesellschaftsbildenden Konformismus zu schlagen, nämlich in Form der „medialen Öffentlichkeit“. Hat die Entwicklung zum Individualismus bereits die meisten Orte von diskursiver Öffentlichkeit erodiert, also Orte leibhafter Begegnung zum Gespräch und Austausch (Schule, öffentliche Versammlungen, Diskussionsveranstaltungen, Bürgerinitiativen), und stattdessen privaten Konsum via Fernsehen und Internet aufgebaut, wodurch natürlich bisherige Formen von Gespräch und Meinungsbildung verschwanden, so besetzen Medien diese Leerräume und bauen eine Quasi-Öffentlichkeit auf via Hörer/Seherbeteiligung, Talk- und Quizshows mit Publikum, Soap-Operas oder Big Brother – Spektakeln. Diese synthetische Öffentlichkeit lässt sich mühelos in Weblogs fortführen, die den Kitzel von „echter, unberechenbarer Menschenbeteiligung“ liefern, und dennoch so überraschend stereotyp und vorhersehbar verlaufen wie eine Diskussionssendung mit Anrufern oder eine Leserbriefseite.

e.

Ein lebenspraktisches Fundament scheint diese synthetische Öffentlichkeit in den Hausfrauen gehabt zu haben, die vormittags unterhalten und von Werbung infiltriert werden sollten, und nach deren Übertritt ins Berufsleben nun die sich ständig vergrößernde Masse der Pensionisten, sowie der Kinder und Jugendlichen. Und die Twitter- und Facebook-Generation stellt bereits Partys und Diskotheken hinter die Chats zurück und bevorzugt Begegnungen der virtuellen Art. Dazu kommt, dass Musikberieselung durch Kopfhörer und Scheinkommunikation am Mobiltelefon auch bei Bewegungen im offenen Raum den Charakter des Synthetischen aufrechterhalten und vor unverhofften Begegnungen weitgehend schützen.

Und diese umfassende mediale Umschließung des „von der Obrigkeit befreiten“ Individuums benötigt und ermöglicht die medial gesteuerte Meinungsbildung. Somit gehen die Prozesse der Verdünnung sozialer Kommunikationsformen Hand in Hand mit der Ausweitung massenmedialer Meinungsbildung. Beide zusammen produzieren den leicht zu steuernden Konsumenten der Massendemokratie, wie ihn Panajotis Kondylis stringent beschrieben hat. Und nun kann die These gewagt werden, dass diese Weise von Geistigkeit prinzipiell obrigkeitsfeindlich ist, nämlich nicht so sehr, weil sie deren Kontrolle zu befürchten hätte – außerhalb des ORF behaupten eher Kolumnisten die Meinungsführerschaft als Politiker -, sondern weil die Steuerung des Konsums der Steuerung politischer Ordnung in der Massendemokratie vorgeordnet ist.

f.

Es bedarf nicht mehr vieler Worte, zu zeigen, dass diese Obrigkeits-Demontage auch vor der Kirche nicht Halt macht, nicht so sehr vor Papst und Bischöfen mit Schauwert, sondern der Kirche insgesamt als Hüterin von Glaube und Wahrheit. Wie willkommen sind da Missbrauchsfälle und Fälle von falschen und inkompetenten Entscheidungen! Wie bereitwillig entsprechen gewisse Entscheidungen den Stereotypen und Vorurteilen! Es stellt sich also heraus, dass die Ikonisierung bestimmter Leitbilder derselbe Vorgang ist, der Obrigkeiten abbaut, also handelt es sich um einen Herrschaftswechsel. Der Aufstieg in den Himmel medialer Aufmerksamkeit entspricht dem Fall anderer Gestirne. Ordnung und Chaos dürften sich dabei etwa die Waage halten – aber an die Stelle demokratisch legitimierter Ordnung tritt nach und nach konsumistisch legitimierte Ordnung. Der Aufstieg Karl-Heinz Gassers, der bereits durch sein Erscheinungsbild die Parteienlandschaft zu kompromittieren vermochte, scheint weniger der fachlichen Kompetenz verdankt als der telegenen Wirkung – und sein Fall erst recht. Und der posthume Aufstieg Papst Johannes Pauls in den Medienhimmel gilt weniger seiner Leitungsqualität als seiner Medienwirkung, und er findet auf dem Rücken des amtierenden Papstes Benedikt statt. An den medial präsentierten zwei, drei Einheitsthemen hat dieser sich so wenig orientiert wie jener. Das kann keine dauerhafte Medienfreundschaft einbringen.

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