Wer braucht ein Dispositiv?

Gesetzt, ich würde mit bestimmten Fragen kommen.
Ich würde zum Beispiel zwischen so verschiedenen Dingen wie dem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Politik, der unverhohlenen Rückführung des Menschen auf seinen Gebrauchswert als Arbeitskraft und Konsument durch – ja durch wen eigentlich?, der Handhabung von Sexualität als selbststeigerndes Gebrauchsgut, der systematischen Zuführung der in Europa einströmenden Migrantenscharen auf die Gemüseplantagen Südeuropas sowie der Reduktion der gesamten Komplexität von kirchlichem Leben in Theorie und Praxis auf die seit Jahrzehnten immer gleichen zwei oder drei Fragen einen Zusammenhang sehen. Ich würde solche und weitere Erscheinungen, von denen niemals angegeben werden kann, wer sie ausgelöst hat (höchstens, wer daran verdient), als ein bestimmtes Freiheitsstadium des heutigen extremen Individualismus ansprechen. Und zwar als Stadium abnehmender Freiheit.
Ich würde nämlich diese Freiheit als Fiktion darstellen, ausgedrückt als fiktive Wahl zwischen gleichbedeutenden Möglichkeiten. Aber als unfreie, ahnungslose und unkritische Akzeptanz dieser disparaten komplexen Situation, höchstens, bei selbständigen Geistern, durch ein Gefühl von Unbehagen begleitet.

Und ich würde nun in dieser wirren Lagebestimmung einen Vorgang zwischen Gott und Mensch suchen, aber ohne fundamentalistische Reduktionen. Dann könnte mir Agambens Erörterung des Begriffs des Dispositivs Klärung und Antwort bringen.

Zunächst, wenn Agamben diesen Begriff bei Foucault aufspürt und darin so etwas wie eine heterogene Gesamtheit von sprachlichen und nichtsprachlichen Appellen und Strategien erkennt. Wenn er über Foucault hinaus bis zu Hegels Entgegensetzung von „natürlicher“ und „positiver Religion“ vorstößt. Und schließlich völlig überraschend beim Begriff der göttlichen Ökonomie ankommt, der Gottes Sein und Gottes Handeln als Nichteinheit auffasst. Hier fällt das Wort Schizophrenie. Von der göttlichen Ökonomie, verstanden als Weltregierung, ist es ein kleiner Schritt zur göttlichen Vorsehung (Prädestination). Von da aus zeigt der Blick die Lebewesen (Substanzen), die Dispositive und dazwischen als Drittes die Subjekte. Hatte Foucault immer wieder überraschende Einsichten in die Geschichte der Subjektwerdung des Menschen geliefert, sei es als Selbstdisziplinierung oder Mechanisierung von Lebensvorgängen, so spricht Agamben hier von einer maßlosen Vermehrung der Subjektivierungsprozesse, welche das Subjekt zunehmend als bloße Maske erscheinen lassen. Am Ende dieses Essays steht eine gigantische Desubjektivierung, eine Regierungsmaschine, ein folgsamer und feiger Gesellschaftskörper, ein harmloser Bürger, der als Bloom verspottet wird.

Trotz möglicherweise als gewagt empfundener großer Gedankensprünge, trotz der philosophischen Argumentation halte ich es dennoch für zweckmäßig und sinnvoll, sich den Begriff des Dispositivs anzueignen. Vermutlich kann damit noch mehr als die oben genannten disparaten Zeiterscheinungen zugänglich und verstehbar werden. Vielleicht schlicht die Erscheinung der Menschenvermassung bei fortgeführter Vereinzelung, ein Phänomen, das Elias Canetti noch nicht im Blick hatte (Masse und Macht).

(Ab 27.9. sollte Agambens 35 Seite-Essay hier zum Download bereitstehen:
http://www.kath-kirche-kaernten.at/pages/bericht.asp?id=8525)

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