volkskirche und individualkirche

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Übergänge

Alle drei standen sie in der Großen Halle ganz hinten, im Rücken der vielen Unbekannten, unter denen seine Familienangehörigen, Arbeitskollegen, Bekannte oder vielleicht sogar ehemalige Patienten sein mochten, die sie alle ihre Gesichter dem Prediger zuwandten, der jahrzehntelang sein Kollege gewesen war und nun das letzte Wort behalten wollte: gesetzte Worte, mit wohlklingender Stimme über den Saal verteilt, dabei auf das Pult gestützt, den Sarg neben sich wie ein Utensil, das zur Veranschaulichung der Rede benötigt wurde.
Der Pfarrer hatte sich hinten hineingeschlichen zu einem Zeitpunkt, als er schon mit den Schlussworten der Verabschiedung rechnen musste, nach der Schule durch die halbe Stadt geradelt und schnaufend angekommen – aber der Atem sollte genug Zeit bekommen, wieder zurückzukehren, denn es schien erst die Einleitung gewesen zu sein, und als er sich zurechtgefunden hatte, meinte er im unaufhörlichen Redefluss die Schriftlesung zu erkennen, im selben Singsang und ohne Buch aus seinem Munde, als wäre es seine eigene Eingebung, wie alles andere.
Auch als er irgendwann in dieser Stunde dann den Sarg umschritten hatte mit dem Weihwasser, versiegte der Redefluss nicht, und hätte man nicht hingesehen, würde man gar keinen Unterschied wahrnehmen im Ergehen der Bedeutung. Ein anderes Mal gab es rhetorische Fragen wie: Wer war denn nun unser lieber Verstorbener eigentlich, oder: Warum hat er wohl diesen Beruf gewählt, um dann sogleich die wohlfeile Antwort mit einem „Nun“ daran zu fügen, sodass man sich in einer Art Vorlesung wähnen mochte, wo nun alles klar zusammengefügt wurde, oder in einem gediegenen Seniorenclub, denn der Sprecher, der sich von allen Seiten an das Pult lehnte, die langen Finger wie bei einer Fingerpuppe das Gesagte unterstreichen ließ und den langen Bart über das Pult hängte, repräsentierte die Ewigkeit mit einer Würde, die keinen Widerspruch duldete und tatsächlich von den Scharen wie eine Offenbarung nickend angenommen wurde in allem Ernste.
Natürlich sagte das alles, was sich in dieser Stunde über die Halle ausbreitete, weit mehr über den Sprecher aus als über den Verstorbenen, und der Pfarrer hatte für eine Sekunde die Vision, er würde unter dem Deckel seufzen und die Augen überdrehen. Wofür der Lebende nur wenig Worte gehabt hatte, nur ein Stammeln und Fragen, dafür hatte der Redner nun klare Urteile, fest verschraubt wie der Deckel, und sogar für diejenigen, die jetzt unten in der ersten Reihe stehen mussten, wusste er, was gelungen war und was nicht, und in welcher Beziehung sie zu ihm gestanden hatten, so als wäre er ihrer aller Vater und hätte sie jede Woche um den Tisch gehabt.
Man soll aber nicht meinen, dass er, ohne Ministranten und Lektoren – ja nicht einmal an irgendeine Musik konnte sich hernach noch jemand erinnern – ausschließlich alleine gesprochen hätte, denn zur Überleitung von einem geschilderten Lebensabschnitt zum nächsten, oder von einer Anekdote zu einem Weisheitsspruch über die Ewigkeit – und vieles wusste er darüber zu sagen, und die schweigende Andacht der Hörer schien dabei vom grauen Bart überzeugt worden zu sein – setzte er anstandslos jeweils ein ÜBER-GANGSRITUAL, das mit „Herr, gib ihm ... die ewige Ruhe“ begann und sogleich von der sich in diesem Moment konstituierenden Gemeinde mit „und das ewige Licht leuchte ihnen“ beantwortet wurde. Andere Trauerredner setzen das ans Ende ihrer Andacht, treten zur Seite und übergeben den Angehörigen das Schäufelchen, damit an den einmaligen Übergang vom Zeitlichen (dieses mit einem Seufzer hinter sich bringend) ins Ewige mahnend. Die Endlosigkeit dieser heutigen Zeremonie schien dagegen eher mit einer Kette von Wiedergeburten zu tun zu haben, die trotz so vieler Urteile nicht und nicht zum Abschluss kommen konnte, und vielleicht hatte sie ja deshalb so großen Zulauf

Dienstag, 24. Februar 2009

1. Was ist Katholizismus?

Um die Veränderungen in der katholischen Kirche in diesen Tagen und in den letzten Jahrzehnten verstehen zu können, hilft ein Blick auf die Sozialform, welche von Katholiken gebildet wurde. Diese wird als Katholizismus bezeichnet und im folgenden als eigenständiges Milieu beschrieben. Für dieses Milieu sind sowohl inhaltliche Richtlinien zu nennen, wie auch sorgfältige Markierungen an den Außengrenzen. Es gibt sowohl Handlungsanweisungen und klare Vorgaben für eine persönliche Identität, als auch etablierte Gemeinschaftsformen auf jeder Ebene, von Partnerschaft und Familie bis zu Berufs- und Ständegemeinschaft sowie der Kirchenleitung. Der Katholizismus formiert sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wird hier in seiner deutschen und österreichischen Ausprägung beschrieben.

1. Eigenes, in sich geschlossenes, scharf abgegrenztes religiöses Deutungssystem, das alle Bereiche des Lebens umfasst.

Für jede Lebenslage gibt es ein richtiges Verhalten. Erziehung und Wertvermittlung verläuft als Einfügung in einen fertigen Verhaltenskodex. Das Deutungsschema ist vorwiegend moralisch bis moralistisch. Beispielsweise werden Bibeltexte nicht subjektiv, sondern in erster Linie als moralische Instruktionen gelesen. Es gibt eine starke Traditionsanbindung, die eine eindeutige kulturelle Identität zu bilden vermag. Diese wird nicht nur von innen und von der Geschichte, sondern auch von außen bestimmt, durch deutliche Abgrenzungen zum Protestantismus (besonders in gemischt konfessionellen Ländern), zum Sozialismus (in der ersten Republik verliefen diese Trennlinien durch das ganze Volk), zum Liberalismus und zur Moderne.

2. Bürokratisierung und Zentralisierung des formellen Kirchensystems.

Das Feudalsystem klingt aus, die wirtschaftliche und politische Autonomie von Klerikern auf allen Ebenen, die durch Pfründe gesichert war, wird reduziert zugunsten des absolutistischen Staates in Deutschland und Österreich. Parallel dazu konzentriert sich nun die Entscheidungskompetenz auf die höheren kirchlichen Ämter. Papst und Bischöfe setzen ihre seit dem Konzil von Trient nominell bestehenden Befugnisse nun zunehmend auch praktisch um. Die Ämterbestellung erfolgt jetzt nur mehr innerkirchlich. Die Priesterausbildung wird in Seminaren zentralisiert. Der Klerus wird stärker kontrolliert und diszipliniert. Nach napoleonischem Vorbild entsteht ein Legaten-System, das die Kommunikation zwischen dem Vatikan und den Ortsbischöfen diplomatisch reguliert. Auch der regelmäßige (Kontroll-) Besuch der Bischofskonferenzen in Rom, der Ad-Limina-Besuch, wird eingerichtet. Deutliches Symbol dieser Entwicklung im 19. Jahrhundert ist die Erklärung päpstlicher Unfehlbarkeit bei lehramtlichen Verlautbarungen von Glaubensaussagen, wenn sie mit dem überkommenen und praktizierten Glauben der Kirche übereinstimmen.

3. Sakralisierung der Kirchenämter.

Der Primat des Petrusamtes wurde bereits im Mittelalter thematisiert und behauptet gegenüber dem Kaiser und den ostkirchlichen Patriarchen. Aber um ihn auch innerkirchlich durchzusetzen, bekam man erst im 19. Jahrhundert die bürokratischen und disziplinären Mittel. Zugleich erfährt der gesamte Klerus, dem nun als Kollegium des unfehlbare Lehramt zugesprochen wird, durch den Ordo, also durch göttliche Einsetzung, eine Sonderstellung.

4. Konfessioneller Gruppenzusammenhang als katholisches Milieu, mit lebenslanger, spezifischer Prägung der Persönlichkeit.

Das Leben eines Christen ist umfasst und eingebettet durch Taufe – Erstkommunion (die eucharistische Frömmigkeit erwachte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und bezog auch die Kinder ein) – Firmung – Heirat – Begräbnis. Im Wochenrhythmus sind Beichte und Sonntagsmesse mit Predigt auch eine intensive Begleitung und Formung des einzelnen Christen mit seiner persönlichen Glaubensentwicklung, sowie der christlichen Gemeinschaft. Es entstehen kirchliche Vereine und Verbände, in denen sich Laien organisieren. Katholische Arbeiter, Bauern, Akademiker, Frauen und Männer, Jugendliche und Kinder (Jungschar) sind gesellschaftstragende Stände. Katholische Kindergärten, Privatschulen, Krankenhäuser und Altersheime versorgen Menschen in allen Lebenslagen und ermöglichen ein Wir-Gefühl und eine katholische Identität, inmitten großer gesellschaftlicher Umwälzungen im Industriezeitalter.

5. Weltanschauung, die alle Lebensbereiche durchzieht und moralisch und religiös deutet.

Mit dualistischen Gegensatzpaaren kann so gut wie jede Situation gedeutet werden: Diesseits – Jenseits, Welt – Kirche, Klerus – Laien, Himmel – Hölle, Kirche – Gesellschaft. Deutungen erhalten eine starke moralische Komponente, sodass aus Bibelstellen, Katechismussätzen oder Predigtworten immer klare Handlungsanweisungen folgen.
Zugleich wird die Verantwortung des einzelnen betont, der für sein eigenes Seelenheil zuständig ist und mit Beichte und Selbsterziehung ein Kontrollinstrument für die Sünde in der Hand hat. Aber auch die Verantwortung für die (neu formierte bürgerliche) Familie wird herausgestrichen, sichtbar am Gebet für die armen Seelen im Fegefeuer.

6. Ein Netz von Institutionen für alle Lebensbereiche und Funktionen.

Neben der Pfarrseelsorge mit ihren Einrichtungen der Beichte und der Sonntagspredigt, den Schulen und Krankenhäusern entstehen auch christliche Gewerkschaften sowie eine christliche Volkspartei, welche die verschiedenen katholischen Standesvertretungen aufzunehmen versucht. Auf diese Weise artikuliert sich der gesamtgesellschaftliche Horizont des Katholizismus besonders in Österreich, während er in Deutschland dem vom Herrscherhaus bevorzugten Protestantismus gegenübersteht.

7. Dichte Ritualisierung des Alltags.

Neben den Lebenswende-Ritualen und den Kirchenfesten im Jahreskreis strukturiert das Angelus-Gebet den Arbeitstag. Fastenzeiten geben sozusagen einen katholischen Biorhythmus, der auch auf weltliches Brauchtum wie den Karneval ausstrahlt, oder beispielsweise auf kulinarische Traditionen. Aber auch vielfältige Heiligenfeste beantworten Bedürfnisse und Sorgen der Menschen.

Solche jeweils von der Kirchenleitung und von einflussreichen Laien sorgsam beobachtete Entwicklungen verschafften der katholischen Kirche dort, wo sie in der Mehrheit war, eine eindeutige Position und klare gesellschaftliche Dominanz und Autorität, die von oben und unten gestützt war. Besonders aber ermöglichte sie eine Identifikation von außen und von innen. Die Kirchenzugehörigkeit wurde damit wählbar, weil sie bestimmte, erwartbare Konsequenzen hatte. Die Bildung eines katholischen Milieus kann als Festlegung des Christentums verstanden werden.

2. Wegmarken des Katholizismus im Neunzehnten Jahrhundert

* Neuscholastik: Synthese von Glaube und Vernunft.

Erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erstand nach sehr verschiedenen philosophischen und theologischen Entwicklungen (Deutscher Idealismus) ein theologisches System, das wieder auf mittelalterliche Kategorien zurückgriff und sie auf die gegenwärtige Fragen anwendete. Papst Leo XIII förderte diese Entwicklung sehr. Es entstand ein umfassendes System, das verschiedene theologische Disziplinen umfasste und mithilfe thomistischer und aristotelischer Kategorien ordnete.

* Enzyklika „Aeterni Patris“, 1879.

Von der Zurückweisung der „falschen Philosophie“ wurde hier ein Weg eröffnet, der die Herausforderungen der modernen Zeit mit der Vernunft aufzunehmen und zu beantworten versucht. Ausdrücklich wird auf das paulinische Diktum von der natürlichen Vernunfterkenntnis Gottes rekurriert. Thomas von Aquin wird zum Angelpunkt theologischen Denkens gemacht.

* Katholische Soziallehre.

Ihr Grundgedanke ist eine Ordnung vernünftigen gesellschaftlichen Zusammenlebens, die als gottgewollt naturrechtlich begründet wird. Damit werden die fundamentalen Auswirkungen der industriellen Revolution und der Verstädterung beantwortet, welche die Arbeiterschaft betreffen. Die Prinzipien des Ordo Socialis sind Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl. Auf sie werden Fragen der gesellschaftlichen Gerechtigkeit zurückgeführt, im 20. Jahrhundert etwa die Frage der Tötung Ungeborener, Globalisierungserscheinungen, aber auch Schöpfungsverantwortung. Als weitere Prinzipien werden Nachhaltigkeit sowie Option für die Armen genannt.

* Naturrechtslehre.

Gegenüber dem Rechtspositivismus, der Wertentscheidungen auf Konvention und Mehrheitsentscheidungen zurückzuführen versucht, betont die Naturrechtslehre Rechtsansprüche von Personen, die aus ihrem (Person-) Wesen folgen, z.B. die Menschenwürde. Diese wird ontologisch begründet und menschlicher Entscheidungsbefugnis vorgeordnet.

* Verkirchlichung des Volksglaubens.

Während bisher der reine Glaube der Kirche, der lehramtlich und traditionell gestützt war, und der mit Aberglauben durchwirkte Volksglaube unvermittelt nebeneinander bestanden hatten, kommt es nun zu einer Disziplinierung und Adaptierung volkskirchlicher Elemente. Das betrifft Heiligenkulte und Wallfahrtswesen, Wunder- und Mirakelbücher, agrarische Kulte und Segensformen. Was bisher in bäuerlichen Milieus und um Kultstätten selbständig gediehen war, wird nun kirchlicher Leitung und Organisation unterstellt. Von unzähligen Heiligenkulten bleiben z.B. Herz Jesu-Feiern, Immaticulata-Verehrung, Schutzengelkult und Josefsverehrung.

Praesentation2 (ppt, 22 KB)

4. Veränderungen des Katholizismus seit den Sechziger Jahren

# Auflösung der Großgruppenmilieus

Die großen gesellschaftlichen Gruppen verlieren aus verschiedenen Gründen ihren Zusammenhalt. Die sozialistische Arbeiterschaft, die Bauernschaft, die Stahlarbeiter, die Eisenbahner, der Konsum, und eben der Katholizismus büßen ihre Fähigkeit zur Bildung einer Gruppenidentität ein. Wirtschaftliche Veränderungen wie das Aufkommen von Lebensmittelindustrie und Ladenketten verdrängen Bauern und Handwerker. Identität geht verloren, neue Wohnquartiere an den Stadträndern entstehen, ohne neue Milieus mit Prägekraft auszubilden.

# Ende der Standartbiographie

Das Bild der bürgerlichen Kleinfamilie aus dem 19. Jht. übersteht die Eingliederung der Frau in die Arbeitswelt nicht. Die Geschlechterrollen ändern sich, und damit die Identität von Menschen. Die fortschreitende Industrialisierung mobilisiert Arbeitskräfte und erzeugt marksgemäße Konkurrenz unter den Arbeitskräften. Junge Menschen übernehmen nicht mehr die Berufe der Väter, zugleich auch immer weniger deren Wertwelten. Beruf, Beziehung, Freizeit werden frei wählbar.

# Verbesserte Bildung

Verstärkte Urbanisierung, technischer und wissenschaftlicher Fortschritt und verbesserter Wohlstand Vergrößern die Distanz zwischen den Generationen. In der Berufswelt und zunehmend auch in der Beziehungswelt ist der Rat der Eltern immer weniger brauchbar.

# Massenmedien und Massenkultur

Das Aufkommen des Fernsehens und damit verbunden der Massenwerbung erlaubt die Verbreitung von Haltungen und Einstellungen. Einerseits kulminieren in den 68er Jahren Protesthaltungen, andererseits auch Anpassungen an Kultur-, Kunst-, Musik- Sport- Unterhaltungs- und Modeindustrie.

# Familie und Geschlechterrollen

Mit der Berufstätigkeit der Frau und ihrem neuen Selbstbewusstsein steigt der Druck auf die Identität der Männer. Ehen werden brüchig, Kinder von berufstätigen Müttern allein erzogen, Ehe und Kinderwunsch nicht mehr obligat. Damit fällt nach dem beruflichen auch ein verbindliches familiäres Lebensmuster aus.

# Fortschrittsglaube

Im Glauben an immerwährendes Wirtschaftswachstum häufte der Staat Schulden an. Im Zuge der vollständigen Beherrschung der Natur wurden Tonnen von Kunstdüngern und Insektengiften ausgebracht. Der Machbarkeitsglaube führte den Menschen auf den Mond und erzeugte einen vielfachen Overkill durch Atomraketen auf der Erde. Hunger und Elend wurden aber nicht beseitigt, sondern noch extrem vergrößert.

3. Der Katholizismus der Fünfziger Jahre

Die Aufzeichnungen der Kirchenaustritte quer durch das 20. Jahrhundert zeigen als einzige, langfristig stabile Phase die 50er Jahre.

1 (doc, 28 KB)



Nach den Katastrophen der zwei Weltkriege und der faschistischen Diktatur herrschte mehr Bedarf nach einfacher Beheimatung unter dem bergenden Dach der Kirche, nach sozialer und weltanschaulicher Zugehörigkeit, als nach individuellen und sozialen Experimenten.

+ Werthaltungen

In der Aufbauzeit nach dem Krieg kam es daher zu einer Renaissance traditioneller bürgerlich-industrieller Wertmuster. Pflicht- und Akzeptanzwerte sicherten einerseits das Milieu, dessen man bedurfte, und reduzierten andererseits die persönliche Verantwortung. Disziplin, Gehorsam, Leistung, Fleiß und Bescheidenheit ermöglichten rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Selbstbeherrschung, Anpassungsbereitschaft, Fügsamkeit und Enthaltsamkeit helfen zum unproblematischen Zusammenleben und schulen Selbstkontrolle und Kontrollierbarkeit – die Voraussetzung für soziale Kooperation.

+ Katholische Aktion

1922 wurde diese Laienorganisation gegründet. Unter klerikaler Leitung gestalten Laienverbände interessenspezifisch das gesellschaftliche Leben mit.

+ Klassenmilieus von Bauern und Handwerkern, Arbeitern und Bürgerlichen

Besonders in der Zeit sich anbahnender radikaler Umbrüche verstärken sich die jeweiligen Bindungen ans Milieu.

5. "Katholizismus" heute

o Religiöse Subjektivierung

Nachdem Traditionen und Werthaltungen, soziale Zugehörigkeit und religiöses Verständnis frei wählbar sind, sinkt auch ihre Bindekraft, da sie auch abwählbar sind. Damit geht ein sozialer Zusammenhalt sowie die innere Kongruenz von Glaubens- und Werthaltungen verloren.

o Individualisierung

Das Automobil und der Arbeitsmarkt haben die Vereinzelung des modernen Menschen vorangetrieben. Den neu entstandenen Freiheitsgraden entsprechen neue Entscheidungszwänge. Die ständige Reflexion darüber, was richtig ist und was zu tun ist („Dauerreflexivität), überfordert viele Menschen und führt zu neuem Fundamentalismus und Bildungsverweigerung. Es kommt zu „Allgemeinheitsindividualität“ (Kohli).

o Pluralisierung

Die Lebensform wird ebenso frei gewählt wie der Beruf. Das erklärt z.T. auch das verstärkte Auftreten von Homosexualität. Ebenso werden religiöse Inhalte zum Gegenstand freier Wahl. Es kommt zur Kombination von Versatzstücken verschiedener Religionen und zu einem neuen Synkretismus.

o Neue Sozialformen

Partnerschaft und Liebe werden neu definiert und verlieren Verbindlichkeit und Prägekraft. Katholikentage stärken die Identität von Christen, aber auch ein neues Gemeindebild. Partizipative Strukturen kommen auf, wie der Pfarrgemeinderat. Gabriel unterscheidet fünf Sektoren des späten Katholizismus:
1. Fundamentalismus
2. explizite und interaktive Christen, die sich ehrenamtlich in der Gemeinde oder in einem anderen kirchlichen Feld engagieren
3. diffus Katholische, die nur selten als Christen explizit in Erscheinung treten und kaum Glaubensinhalte und Werthaltungen angeben können
4. kirchliche Berufe mit all ihren Rollenkonflikten und Identitätsfragen
5. Bewegungssektor mit hoher kirchlicher Identität, aber geringer reflexiver und gesamtkirchlicher Perspektive

o Spannungen zwischen Selbstverständnis und Fremdverständnis der Religion

Besonders die Darstellung in den Massenmedien und der Synkretismus diffus christlicher Öffentlichkeit bilden ein kirchliches Erscheinungsbild bzw. Erwartungsbild, das mit dem, wie Kirche sich selbst und den Gottesglauben versteht, kaum mehr in Einklang zu bringen ist. Dazu kommen auch Flügelbildungen in der Kirche selbst, die einander in wichtigen Fragen wie Bischofsernennungen unvermittelbar gegenüberstehen.

6. Problemfelder

- Verbindlichkeit religiöser Rede

Glaube kann sowenig wie irgendeine Werthaltung unverbindlich vermittelt werden. Dass Glaubensrede sich selbst rechtfertigen und begründen muss, ist nichts Neues. Aber es gibt wenig Anknüpfungspunkte, die allgemein anerkannt sind. Dadurch steigt der Reflexionsdruck für Eltern und Lehrer

- religiöse Erziehung

Zugleich mit der Schwächung der Familie wird auch die öffentliche Position von Religionslehrer und Priester in Frage gestellt. Dadurch scheint eine Selektion für entweder sehr angepasste oder sehr individuelle Charaktere zu entstehen.

- Zerfall des sozialen Zusammenhalts

Familie und Klassenmilieus können kaum mehr Gruppenidentitäten bereitstellen. Demgemäß steigt das Gefühl der Bedrohung vor allem Fremden.

- Priesternachwuchs

Es ist wenig überraschend, wenn bei allen diesen Veränderungen die Zahl der Priesterkandidaten sinkt, zumal eklatant weniger Kinder geboren werden und so bereits biologisch der Nachwuchs dezimiert wird. Zugleich aber diversifiziert sich der Nachwuchs nach oben dargestellten Mustern, d.h. die Standartbiographien Schule (– Kleines Seminar –) Priesterseminar wird seltener, Spätberufene nehmen zu. Zugleich ist Herkunft und Prägung durch obengenannte Sektoren wie explizites Christentum oder Bewegungen erkennbar, die daraus entstehende priesterliche Identität entsprechend vielfältig.

- Sakramente

Zunehmend ist ein Sakramentendienst als Serviceleistung zu beobachten. Allenfalls diffus katholische Personen verlangen Sakramentsleistungen, für die sie einiges zu investieren bereit sind, aber sie interpretieren sie auf ihre eigene Weise. Da wird die Kindertaufe unter dem Blickwinkel der Chancengleichheit gesehen oder die Firmung als Ehebefähigung, die Ehe selbst als folkloristischer Übergangsritus oder als den eigenmächtigen Entschluss begleitender Segensgestus.

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