sousse

Donnerstag, 11. August 2016

Schwimmen

Jeden Abend ist Rambazamba in Tunesien.
Zumindest in den Hafenstaedten.
Da fuellen sich die Lokale - wobei das ohnehin beinahe nur Pizzabuden und Fast-Food-Restaurants sind und Cafes.

Emsig werden Karren und Tische auf die Strasse geschoben, moeglichst mitten in den Weg. Dort werden Socken, Nuesse oder Plastikspielzeug zum Kauf angeboten, und auf Decken und Planen am Boden Berge von Waesche ausgebreitet. Das ist halblegaler gewerbeloser geduldeter Verkauf von armen Leuten fuer arme Leute. So einer war der Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der im Supermarkt gekauftes Gemuese am Markt weiterverkaufte, mehrmals von der Polizei schikaniert wurde und sich schliesslich verwzeifelt am 17. Dezember 2010 vor dem Amtshaus selbst verbrannte. Das hatte die tunesische Revolution ausgeloest.

Ausser den Lokalen fuellen sich besonders die Strassen.
Das ganze Volk ist auf den Beinen.
Eltern fuehren ihre Kinder aus zu Zuckerwatte.
Burschen ihre Maedchen auf ein Eis.
Aus Sprechbuden ergehen Proklamationen, davor werden von Studenten Flugblaetter verteilt.
Vor einem Hotel tanzt ein Fracktraeger auf meterhohen Stelzen, Familien lassen sich davor fotografieren.
An Kinder werden abgebundene bunte Luftballons verteilt.
Auf einer kleinen Buehne zwischen zwei Haeusern spielt eine Band tunesische Volksmusik.
Die Gehsteige sind voll mit erwartungsvoll stroemenden Menschenmengen. Alle haben irgendetwas zum Knabbern in der Hand. Auf der Strasse schiebt sich eine Kolonne von Autos und Mopeds durch. Es ist wie im Prater, taeglicher Ausnahmezustand, Gebrumme und Gejohle bis spaet in die Nacht.
Auch am Strand. Im Stockfinstern tummeln sich Kinderscharen im Sand und im Wasser, uebermuetige Buben schiessen Baelle herum, Muetter versuchen, das zu ueberwachen, Liebespaare waten durch den Sand, vereinzelt steht eine Sehnsuechtige oder ein Suchender auf den Stufen und blickt in die laue Nacht hinaus und hofft auf etwas.

Nur ich kann hier nicht schwimmen gehen.
Wo soll ich meine Sachen hintun?
In Sidi Bou Said musste ich nach kilometerlangem Anmarsch ueber brennheisse Asphaltstrassen meinen ersten Badeversuch am verdreckten und gnadenlos ueberfuellten Strand wutentbrannt aufgeben, da niemand bereit war, auf mein Handtuch, meine Sandalen und mein Taeschchen achtzugeben. Nicht der Bademeister, keiner in den drei Restaurants. So war ich den ganzen Weg wieder zurueckgelaufen mit groesser Wut im Bauch, und schliesslich doch salzig klatschnass.

Doch heute morgen war es soweit, auch ohne Hilfe eines Einheimischen. Ich hatte die Badehose bereits an unter der Jean, und sonst nur ein Handtuch. Um 7 waren nur wenige Leute da. Schnell war ich im Wasser, arbeitete mich gegen die Wellen vor, emporgehoben und abgeladen, Meter fuer Meter, und immer wieder ein Blick auf den Strand und mein Haeuflein dort.
Gut, die Sachen waren noch da, als ich zurueckkam. Aber wo sollte ich mich umziehen? Wie auf einer Buehne war ich immer beobachtet. Ich ging am Strandcafe entlang hinueber zu dem verwahrlosten Betonplatz, wo ein verfallenes Lokal war. Ueber knirschende Glasscherben schritt ich hinter den aufs Meer blickenden Burschen an die Ruinen heran. Aber jedes Mal, wenn ich mein Handtuch vor mich legte und aus der Badehose steigen wollte, kam ein Paerchen gerade dorthin, oder ein staemmiger aelterer Mann pflanzte sich genau dort auf. Es war, als waere freies Baden verdaechtig. Irgendwie hab ich es dann doch geschafft, mich umzuziehen in geschaetzten zehn Sekunden. Vielleicht gehe ich morgen in der Badehose ueber die ganze Corniche bis ins Hotel?

Mittwoch, 10. August 2016

Weitere Literaturtips

Habib Selmi:
DIE FRAUEN VON al-BASSATIN

Dieser kleine Roman ist schoen zu lesen und gibt ein wunderbares Sittenbild des heutigen Tunesien. Ich habe natuerlich in offene und geheime innerfamiliaere Vorgaenge in diesem Land keinen Einblick - aber allein das Gehabe der Frauen, die ich sehe, stimmt mit dem ueberein, was Selmi schildert. Immer wieder stecken Frauen jeden Alters die Koepfe zusammen hier und machen empoerte Augen und entruestete Geraeusche.
Als Beispiel fuer gelungene Liebe wuerde ich Selmis Buecher bei aller Liebe nicht heranziehen.

Sousse: Gerueche und Tischsitten

Waehrend mir von Tunis zuletzt stark faulige Gerueche in Erinnerung sind, die von jenen riesigen Schlammseen herruehren, die Bab Saadoun umgeben und die man von der Tram-Station bis zu den Bussen irgendwie umrunden oder durchqueren muss, waehrend Dutzende von Taxis und Minibussen dort aus- und einparken, und die identisch sind mit dem, was von den Kanaelen neben jeder Strasse immer wieder herueberweht/
so riecht Sousse nach nicht richtig abgedaempften Zigaretten.
Immer wieder blicke ich von der Lektuere auf, ueber die gebeugt ich im Cafe sitze, und meine, etwas im Aschenbecher am Nebentisch glosen zu sehen, aber ich finde nichts. Es ist ein Schmorgeruch, der nicht von einem Holz- oder Holzkohlenfeuer kommt, denn solche gibt es an allen Strassenecken, und deren Geruch im beissenden blauen Kohlenrauch ist eindeutig, wenn man in eine solche Schwade hineingeraten ist.
Auch meine ich keine der Garkuechen, die an den frequentierten Plaetzen und besonders an den engsten Stellen aufgebaut sind. Dort ziehen Wolken von lange siedendem Fett durch die Gassen, und vielleicht sind diese dafuer verantwortlich, dass ich gerade dann am wenigsten Hunger habe, wenn ich den halben Tag durch die Medina streife, und noch weniger, wenn ich stundenlang im Bus oder im Zug sitze zwischen schwitzenden Leibern, und selbst klatschnass bin. Nein, hungrig werde ich, wenn ich Stunden ueber Buechern zubringe auf der windigen Terrasse des Cafes oder ueberhaupt im Hotelzimmer. Dann komme ich heraus und gehe bewusst auf die Suche nach Essbarem.

Nun kommt die andere Irritation fuer europaeische Gemueter. Als ich gestern Nachmittag den Ksar Er Ribat bestieg, da war er mir eigentlich in den Weg getreten auf der Suche nach einem netten Lokal. So untersuchte ich alle Etagen mit knurrendem Magen und erkletterte zuletzt den hohen Turm, der zur Sicherung der Stadt vor Seeraeubern und Christen erbaut wurde, und fasse, nachdem ich die ganze Stadt von oben in Fotoquadrate eingeteilt habe, schliesslich genau gegenueber dessen tiefliegendem Eingangstor das Terrassencafe ins Auge, und halte vom Ribat direkt darauf zu. Es wirkte freundlich und sauber, schattig und leise und war trotz der bevorzugten Lage nicht uebervoelkert. Genau genommen war nur ein einziger Tisch besetzt, zwar mit einer grossen Familie, was viel Getue mit sich brachte - gerade schienen die jungen von einem Streifgang zurueckzukommen und den Aelteren dies und jenes zu berichten, und Familiengespraeche haben hier immer eine gewisse Dramatik - aber das schien nicht stoerend zu sein, und ich liess mich auf der anderen Seite des grossen und sonst leeren Sitzgartens nieder. Zuvor noch trat ich an die Theke und fragte nach einem Sandwich, weil damit fast alle Speisen gemeint sein koennen und ich damit rechnete, in der Vitrine das Gewuenschte zeigen zu mussen. Aber der junge Mann begruesste mich hoeflich und kuendigte an, mich am Sitzplatz aufzusuchen und meine Bestellung dort anzunehmen. Er und die junge Frau wirkten sehr nett und freundlich, und ich beglueckwuenschte mich zur Wahl dieses Lokals und freute mich auf ein spaetes Essen.
Inzwischen beobachtete ich die Familie am anderen Tisch und warf hin und wieder einen Seitenblick auf die beiden, die hinter der Theke zu tun hatten, etwas putzten, telefonierten oder etwas besprachen. Die Frau war huebsch und unverschleiert, der Mann schlank und wie alle seiner Generation im T-Shirt. Nach geschaetzten zehn Minuten blickte ich auf die Uhr und ueberlegte, ob ich nochmals meinen Reisefuehrer herausholen sollte und die Sehenswuerdigkeiten der Medina durchgehen. Dann setzte ich mir ein Ultimatum, ohne mich nochmals umzusehen. Schnell stieg der Zorn hoch, weil ich mit so grossen Erwartungen gekommen war und der Wirt zu denken schien, die Gaeste waeren ihm sicher. Schliesslich verstaute ich alles in meiner Tasche, packte sie mit einer einzigen Bewegung, erhob mich, drehte mich dem Weg zu und schritt davon, ohne mich umzublicken. Sofort hoerte ich die beiden mir etwas zurufen und ein paar Schritte auf mich zulaufen, aber ich war es leid, dort als ihr Aushaengeschild herumzusitzen und von ihnen hingehalten zu werden.
Es folgte ein langer Streifzug durch die Medina, ein verbotener Kurzbesuch in einer kleinen Moschee, bis mich ein selbsternannter Selbstgerechter hinauswies, die Entdeckung unzaehliger winziger Gassen, belebter Suqs und des von weither deutlich erkennbaren Fischmarktes, bis ich mich schliesslich am lauten und sehr belebten Eingang der Medina an der Garkueche niederliess und dort, wo die starken Duftschwaden ausgingen, einen Sandwich bestellte, dessen gewuenschte Fuellung ich an der Vitrine zeigte.

Heute Mittag zog ich nach einem langen Lesevormittag und einem kurzen Spaziergang zur verschlossenen Kirche in der Neustadt vor ein Lokal an der Corniche und zeigte auf ein gebratenes Haehnchen und Salat, wartend, bis einer der hinter der Vitrine Taetigen mich beachtete und meine Bestellung registrierte. Dann setzte ich mich an einen freien Tisch, worauf der Besitzer erschien und meine Bestellung nochmals abfragte. Der kurze laechelnde oder spoettische Blick zwischen ihm und der jungen Frau koennte bedeutet haben, dass sie nun einen Kunden angelockt, oder dass ich mich nicht an die Regeln gehalten habe. Waehrend nun die drei auf dem engen Platz werkten, erschienen Lieferungen von rohen Pommes Frittes, die von einem schwitzenden beleibten, krausbaertigen Djellaba-Traeger hereingetragen wurden, der vielleicht Mitte 20 war. Ein anderer trat auf den Besitzer zu und unterhielt sich mit ihm arabisch, dann noch ein weiterer, und schliesslich laeutete sein Handy mehrmals, und er schrie laut ins Telefon. Waehrend all dem gingen Leute aus und ein in dem Lokal von der Groesse einer Trafik, auf der anderen Strassenseite klang aus einem Lautsprecher tunesische Populaermusik - was sonst gottlob nicht die Regel ist in diesem Land! - und ein Polizeikordon marschierte auf und formierte sich am Beginn des Badestrandes mit Sirenengesang und Rotlicht, ohne dass irgendein Anlass oder Absichten erkennbar gewesen waeren.
Trotzdem hatte ich nach angemessener Zeit einen vollen und nett verzierten Teller vor mir stehen - bis ich eine Wasserflasche bestellen konnte, dauerte wiederum seine Zeit. Aber nun hatten sich die zwei oder drei anderen Tische auch schon gefuellt, und ein Paar trat an meinen Tisch, und der Mann schnappte nach meiner Tasche, die ich am Stuhl neben mir abgestellt hatte. Ich protestierte und sah ihn boese an, worauf der Besitzer heraneilte und ihn an einen anderen Tisch verwies. Jedenfalls konnte ich in Ruhe mein Mahl fortsetzen ohne weitere Zwischenfaelle.

Dass es verschiedene Arten von Mahl gibt, die kulturell bedingt sind, wurde mir nun langsam klar. Ich bin ja sogar in Klagenfurt beinahe der einzige, der zusammenwarten will, bis alle im Haushalt am Tisch sind, und mit einem Gebet das Mahl beginne.

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