bizerte

Dienstag, 9. August 2016

Bashir

Ich war schon fertig zur Abreise am Sonntag. Da sprach mich Bashir an auf der Strasse. Er hatte mich schon frueher gesehen, damals, als ich im Cafe gesessen bin mit meinen Buechern und Notizen. Damals war mir aufgefallen, wie die Menschen einander kannten in der Nachbarschaft. Im Cafe wird man gegruesst von Passanten. Ein Auto bleibt stehen, das Fester wird heruntergekurbelt, und man ruft einander etwas zu. So war es auch mit Bashir. Mein Sitznachbar hatte ihn angesprochen, dann waren sie um den Tisch gesessen.

Bashir stellt sich vor als Finanzmanager, der zehn Jahre in USA gearbeitet hat und mehrere Jahre in England. Wir gehen in ein Cafe, spaeter laedt er mich nach Hause ein. Ohne etwas von mir zu wissen, stellt er sich als "sozusagen christlich" vor, das heisst interessiert und bibellesend, aber ungetauft. Und nun kommt seine Leidensgeschichte. Sie scheint damit zu tun zu haben, dass man in Tunesien Heimkehrern misstraut, und dass seit der Revolution 2011 das Land zwar frei vom Diktator, aber noch nicht frei von Korruption ist.
Bashir ist ein grosser Mann Ende Dreissig, er spricht sehr konzentriert und ist sehr ernst. Er ist nicht verheiratet und lebt nun im Elternhaus, wo ich am Nachmittag seine Mutter, zwei Schwestern und den franzoesischen Schwager mit den beiden Toechterchen kennenlerne. Auch mit ihm verstehe ich mich gut, wir reden ueber Tunesien, den Islam, ueber franzoesische und ueber Kirchengeschichte.

Schliesslich mache ich auf Bashirs Bitte eine Daemonenaustreibung, und dann gehen wir schwimmen am Strand der Corniche. Das Meer ist ungewoehnlich aufgewuehlt, Seegras treibt wie Wolken, und meterhohe Wogen donnern an den Strand und die spitzigen Felsen dort. Ich arbeite mich den Wogen entgegen. Wenn du einer standgehalten hast, dann zieht dich das zurueckfliessende Wasser mit grosser Gewalt an den Fuessen hinaus, und sogleich stuerzt dir die naechste Welle ueber den Kopf. Einmal verliere ich den Boden, und es wirbelt mich herum im Innern der Welle, sodass ich einen Purzelbaum schlage. Ich spuere wieder Boden unter den Fuessen und komme an die Luft. Ich schwimme weiter hinaus, auch andere sind da, junge Maenner, die lachen und schwimmen, auch Bashir ist gekommen. Dann stecken wir im Seegras fest, jede Woge wirbelt das Gras herum, es ist ueberall, im Haar, in der Badehose, es windet sich um Arme und Beine und wickelt mich ein, sodass ich mich anstrengen muss, um weiterzukommen. Schliesslich kehren wir erschoepft zurueck und lassen uns an den Strand werfen und stapfen mit wackligen Knien und ausser Atem zu unserem Handtuch zurueck, und Bashir zeigt mir, in welcher Richtung Sizilien liegt in 150 km, und in der Haelfte der Entfernung ist Lampedusa.

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Samstag, 6. August 2016

Bizertes Taenze

Von der Bruecke ueber den Hafen tat ich Bizerte Unrecht. Denn ich sah unzaehlige weisse Ballons im Wasser unter der Bruecke treiben und schuettelte den Kopf ueber die unbedenkliche Muellentsorgung in diesem Land. Aber die vermeintlichen Plastiksaecke stellten sich als metergrosse Medusen heraus, die im blaugruenen Wasser genuegend Nahrung finden mussten.

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Dafuehr war das, was um die hoelzernen Fischerboote herumschwamm, die idyllisch vor der Steinmauer der Medina angebunden waren, nichts anderes als Muell.

Als ich, nach der Fahrt mit dem TGM, der sich in atemberaubendem Tempo eines Radfahrers die Vororte von Tunis ueber die Schienenstoesse rumpelnd auf die Hauptstadt zuarbeitete, dann in die richtige Strassenbahn umstieg (ja, Tunis ist eine richtige Stadt!), dort an meinem Sitzplatz mit einem Betrunkenen mit Blicken und Zeichen kommunizieren musste, weil an Worte in keiner Sprache zu denken war, und dann unter Mithilfe eines Fahrgastes an der richtigen Station ausstieg und neben ebendiesem eine Viertelstunde auf den durch ein Gelaender abgetrennten Strassenbahngleisen neben der Strasse und dem Gehsteig ueber manche Kurven und Kreuzungen herlief und so die Haltestelle fuer die Ueberlandbusse erreichte,
als ich schliesslich eine halbe Stunde in der Warteschlange vor dem Fahrkartenschalter verharrte, in dem kein Beamter sass, aber der fuellige Mann in der ersten Reihe am Schalterbord seine Zeitung ausbreitete und dort in groesster Ruhe alle Kreuzwortraetsel loeste, waehrend seitlich von ihm mehrere Frauen mit wallenden Gewaendern und greinenden Kindern warteten und unsere Warteschlange als die einzige im Wartesaal bis ans andere Ende reichte,
waehrend mir der Schweiss sowohl im Wartesaal wie auch dann an der Einstiegsstelle nicht in Troepfen, sondern in Sturzfluten ueber den Leib rann und mein PoloShirt aussah, als haette ich damit geduscht/
so hielt ich doch die ganze Zeit ueber meine Plastikflasche mit lauwarmem Zitronenwasser in der Hand, und erst in Bizerte, als jene Frauen, die beim schliesslich erschienenen Kassabeamten augenblicklich von allen Seiten zusammengestroemt waren und noch vor dem verdutzten Zeitungsleser ihre Fahrkarte ergatterten, dann in Windeseile die ersten und besten Sitzplaetze im Bus hatten, auch jetzt im Sturmangriff mindestens 15 Taxis abfingen, waehrend wir Maenner fassungslos in der prallen Sonne verharrten und weiter warteten,
erblickte ich am Eingang des Busterminals einen Plastikkuebel, hielt darauf zu und warf meine leere Flasche hinein, waehrend mir war, als ob sowohl die wartenden Passagiere wie die Taxifahrer und die am Busbahnhof Angestellten ein paar Sekunden innehielten und erstaunt hinsahen, wie jemand seinen Muell nicht aus dem Autofenster, der Schiebetuer des TGM-Zuges oder der Strassenbahn oder aus dem Busfenster entsorgte, sondern in einem der spaerlichen Mistkuebel.
Angesichts der Unmengen von anfallendem Muell ist natuerlich die bescheidene Anzahl von zwei Muellmaennern, die ich bisher in dieser Stadt gesehen habe und die in der Manier von freundlichen Pensionisten, die sich ehrenamtlich fuers Gemeinwohl engagieren, bestimmte Muellhaeufchen hinter geparkten Autos wie mit der Zange auf ihren Handkarren heben, wie ein Tropfen auf den heissen Stein.

Und so ist eben Bizerte die Stadt, in der nicht kreischende Moewen die Atmosphaere bevoelkern, nicht Stare oder Kraehen, keine Tauben und keine Stoerche, sondern Plastiksackerl, die im Wind ueber Gehsteige und Fahrbahnen tanzen, zusammen mit Unmengen von Staub und Dreck, Blaettern, Stroh und Papier, Zigarettenstummeln und Schachteln, Schokoladen- und Zuckerlverpackungen, Glasscherben, Servietten und noch tausend andere Dingen. Wenn zuweilen jemand auf die Idee kommt, den Gehsteig vor seinem Geschaeft sauber zu fegen fuer ein paar Minuten, so vergroessert er damit die Staubwolke noch. An den Strassenkreuzungen stossen die Winde zusammen und bilden Wirbel, die das Material mehrere Stockwertke hoch tragen. Die Menschen gehen mit zusammengekniffenen Augen gegen den Wind, und die Gesichtsschleier der Frauen, die vielleicht hier doch ein wenig haeufiger zu sehen sind als in Tunis, haben hier noch einen anderen Sinn.

Und ja, es gibt auch Tiere, die sich in dieser Stadtlandschaft wohl fuehlen. Fliegen

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Bizertes Geraeusche

Erst in der Nacht ist mir aufgefallen, dass in Bizerte keine Moewen sind.
An den Geraeuschen.
Denn ich hoerte das Klappern der Fensterlaeden, die sich nicht befestigen liessen, und, nachdemich einen Laden geschlossen hatte, nur noch halb so oft. Den stetigen Windfuehre ich auf das nahe Meer zurueck.
Ich hoerte durch die Hintergasse, auf die mein Zimmer hinausgeht, schlurfende Nachtgaenger, oder, der fortwaehrend vor sich hinbrabbelnden Stimme nach, Nachtgaengerinnen.
Ich hoerte Metallgeraeusche, wie wenn man auf lose Dachrinnen klopft,undstellte mir nach den verschiedenen Klanghoehen einen ganzen Schrottplatz vor unter meinemnaechtlichen Fenster.
Ein anderes Mal meinte ich ein zorniges Kind greinen zu hoeren.Bald gab eseine zweite Stimme, und sogar eine dritte: ich hatte also ein Katzenkonzert vordem Fenster und wusste die gute Akkustik der engen Haeuserschlucht zu schaetzen.
Nicht lange nachdemdie Laute verklingen waren und nur noch die unregelmaessigen Klappergeraeusche der Fensterlaeden zu hoeren waren, ertoente ein Brummen und Knattern, das ich mir nicht erklaeren konnte. Sobald ich richtig wach war, erklang schliesslich die volltoenende Stimme des Muezzin auseinemLautsprecher, der in der Naehe meines Fensters montiert sein musste, der Gott alsden Einen undEinzigen pries, waehrend in den kurzen Pausen der Nachklang weiterer Gottpreiser ausder Nachbarschaft zu vernehmen war. Mir waren bisher die Gesaenge in diesemLand noch kaum aufgefallen, anders als in Istanbul oder in Jerusalem war hierzulande die Religion deutlich im Hintergrund.

Als nun weitgehend Stille eingekehrt war und der Geist sich von den konkreten Dingen zu loesen begann, erhoben zoegerlich nun weitere Morgensaenger ihre Stimme, und ich staunte, wieviele Haehne in den umliegenden Hinterhoefen ihre Schnaebel zum noch finsteren Nachthimmel hochreckten. Fuer uns Christen hat ja das Kraehen des Hahns vor Sonnenaufgang die besondere Bedeutung, uns an Gottes Ankuendigung zu erinnern und unser Gewissen zu pruefen.

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Freitag, 5. August 2016

Bizerte

Erste Eindruecke von dieser Stadt am Meer:

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