GIBT ES EIN SINNVOLLES LEBEN? ________________________ 1. Einleitung

a.
Die erste Frage, die sich stellt, ist die nach der sinnvollen Frage: Ist die Frage nach dem sinnvollen Leben überhaupt eine sinnvolle Frage? Der Roman, zu dessen gemeinsamer Lektüre ich eingeladen habe (Robet Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Kapitel 62) , stellt diese Frage am Ende des 61. Kapitels: Ulrich war in der Frage, .... ob man zu etwas, das mit uns geschieht und geschehen ist, ein Ziel und einen Sinn finden kann, sein Leben lang immer ziemlich allein geblieben. (247) Das zeigt, dass es sich im Roman um kein beiläufiges Thema handelt, denn diese Frage ist vorbereitet, und sie zu formulieren ein längerer Prozess, länger als in diesem Ausschnitt sichtbar – ich nenne sie sogar eine der Grundfragen des Buches, vielleicht die zentrale. Dennoch darf von einem Text dieses Ranges nicht erwartet werden, dass eine Frage einfachhin aufgeworfen und anschließend mit einigen Sätzen abgehandelt würde. Die Frage wohnt im ganzen Text – und in gewisser Weise wohl auch die Antwort. Allerdings ist zu beachten, dass sich das zur Besprechung anstehende Kapitel im vorderen Fünftel oder Sechstel befindet – es wird daher keine definitive Antwort zu erwarten sein.

b.
Zu etwas einen Sinn finden: das stellt die Sinnfrage in einer ganz bestimmten Weise. Etwas findet statt, etwas Wirkliches, und nun fragt sich, ob das Sinn hat. Es ist der Blick auf ein Weltgeschehen gerichtet, und die Beobachtung gibt Rätsel auf. Dieser Blick ist von vornherein nicht bloß ein aufzählender, registrierender: das und das hat stattgefunden, sondern der Blick sucht zu verstehen. Im 61. Kapitel entzündet sich diese Art der Sinnfrage am Fall Moosbrugger, einem Zimmermann und Lustmörder, und es steht zur öffentlichen Diskussion, ob dieser einfache Mensch zurechnungsfähig und damit vor dem Gesetz verantwortlich zu machen ist.
Zu etwas einen Sinn finden erscheint als hermeneutische Frage: als wäre ein vorliegender Text zu enträtseln, wäre eine Decke wegzuziehen – als wäre eine Sprache zu finden, die das Unzugängliche als in sich sinnvoll aufweist. Diese Art der Sinnsuche ist der religiösen sehr nahe, zumal in einer Buchreligion. Ich verweise nur auf die eigentlich kaum verstehbaren Gottesknechttexte im letzten Teil des Jesajabuches, deren Sinn aus christlicher Sicht erst dann erkennbar wird, wenn Jesus sie ausspricht, bzw. wenn das Lukasevangelium Jesus sie bewahrheiten lässt.
Jedenfalls ist es eine Fassung der Sinnfrage, die den Sinn in dem sucht, was sich ereignet. In den letzten Jahrzehnten kam hierzulande aber (durch die Parteiführerin der Liberalen, und es ist vielleicht ihre folgenreichste Hinterlassenschaft) die Redeweise vom Sinn machen auf – also: etwas macht Sinn. Das suggeriert, dass Bedeutung und Sinn produziert werden könne durch den freien menschlichen Geist. Da wird eine Opposition gesucht, und die selbstbewusste Formulierung markiert gerade das, wovon sie sich absetzen will, nämlich das christliche Schöpfungsverständnis einer Welt als Text Gottes, dessen Sinn und Bedeutung erkennbar ist. Ein solches Schöpfungsverständnis liegt ausdrücklich Musils Text zugrunde, das lässt sich an vielen Stellen zeigen.

c.
Weiters soll zum vorliegenden Text noch einleitend gesagt werden, dass die Hauptperson Ulrich in einer existenziellen Situation angetroffen wird, die „Urlaub vom Leben“ genannt wird. Ulrich will den Sinn seines Lebens finden, und dazu bricht er seine wissenschaftliche Laufbahn ab. Der Kavallerieoffizier, Ingenieur und Mathematiker will sich nicht in eine akademische Karriere bugsieren lassen, nicht Systemzwänge sollen über ihn bestimmen, sondern er will selbst sein Leben in die Hand nehmen. Ulrichs Sinnfrage hat also religiösen, und noch viel deutlicher existenziellen Hintergrund. Er versucht seine eigene bisherige Laufbahn zu entziffern: Was hat ihn bis hierher getrieben, was waren seine Hoffnungen, was erwartet er sich vom Leben? Ein Jahr Urlaub vom Leben, zwölfmonatige Exerzitien, sind zur Hälfte um, das ist die Situation, in der Ulrich angetroffen wird. Die Sinnfrage hat bereits ein bestimmtes Niveau erreicht, sie stellt sich nicht allein als Privatfrage, sondern sieht die eigene Existenz in Zusammenhang mit dem Verlauf der Weltgeschichte. Auf dieser Höhe sollte ihr in dem Romantext begegnet werden.

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