Donnerstag, 31. Dezember 2009

Die Lehren des Sitting Bull

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1.

Die ganze Geschichte macht den Eindruck einer Unausweichlichkeit. Einerseits ist das Ende der stolzen Indianer der Prärien Nordamerikas ja bekannt, andererseits bemisst man ihnen gegen die weiße Übermacht auch keine reellen Chancen zu. Das bedeutet, dass die Vorfälle vom bekannten Ausgang rückwärts interpretiert werden, und dies aus einer rassistischen Perspektive, welche die technische und kulturelle weiße Überlegenheit für ausgemacht hält. Wenn es jedoch gelingt, sich von diesen Injektiven zu lösen, dann lässt sich eine einigermaßen unübersichtliche Situation rekonstruieren:

In den achziger Jahren des 19. Jahrhunderts gibt es eine stabile Regierung Nordamerikas, die Nord- und Südstaaten gemeinsam vertritt. Vom Osten her setzt kontinuierlicher wirtschaftlicher Aufschwung ein, Industriestädte und Verkehrswege entstehen. Ein System von Vorposten schiebt sich schrittweise nach Westen vor. Indianervölker werden zuerst in den noch unerschlossenenWesten verlegt, wo für sie Reservate angelegt werden. Die Zwangsumsiedlung der Cherokee entlang des Trail of Tears von 1838-39 forderte unter den 10.000 Deportierten etwa 4.000 Todesopfer. Ab 1862 wurde durch das Heimstättengesetz jedem Siedler, der sich fünf Jahre auf besetztem Land halten und ernähren konnte, dieses als Eigentum zugesprochen. Diese Maßnahmen sind, zusammen mit dem militärischen Vorgehen gegen die Lakota und Cheyenne, die in ein Reservat westlich des Missisippi gezwungen werden sollten, aber von Sitting Bull vereint und angeführt wurden, wohl als strategisch geplante Vorgänge aufzufassen, die schrittweise das freie Land im Westen okkupierten und die Ureinwohner abdrängten.

Andererseits hatte der weiße Jagd-Konkurrent die Bisonherden innerhalb weniger Jahre gewaltig dezimiert, welche die wichtigste Lebensgrundlage der nomadischen Indianer darstellten. Es kam zu Hungersnöten und dadurch erzwungenen Wanderungen bzw. Assimilationsbewegungen.

Weiters kam es zu massenhaften Siedlerbewegungen. Einem 8.000 Menschen zählenden Volk begegnete ein Tross von 18.000 Siedlern aus Europa, denen freies Land zugesagt war.
Zusätzlich zeigt sich, dass militärische Verbände, besonders aber paramilitärische Gruppen Eigengesetzlichkeiten entwickelten, die alle im ungeregelten freien Raum auf Kosten der Ureinwohner agierten. Dem Antrag, das Indianerterritorium in kleine Parzellen aufzuteilen, widersetzten sich die nomadischen Völker verständnislos.

Goldfunde in Montana, später in den Black Hills machten die heiligen Berge der Lakota zu begehrten Objekten der Weißen, die ihren eigenen Vertrag mit den Lakota bereits nach acht Jahren brachen. Sitting Bull, Crazy Horse und Gall leisteten Widerstand und konnten zunächst das Militär vertreiben. Kleine Erfolge auf indianischer Seite mobilisierten jedoch mittels rassistischer Presse die öffentliche Meinung und weitere militärische Unternehmungen. Es kam zur Schlacht am Little Bighorn, die aus einem weißen Überfall auf ein Indianerlager hervorging. Clusters Regiment wurde bis zum letzten Mann ausgelöscht. In der Folge mussten die einzelnen Kriegerverbände sich zerstreuen und fliehen, Sitting Bull ging über die Grenze nach Kanada, wo er zwar nicht mehr verfolgt, aber stattdessen ausgehungert wurde, bis er nach Jahren in die Reservatsstation zurückkam.

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2.

Diese Vorgänge in ihrer nur angedeuteten Komplexität dokumentieren die Oberhand der abendländischen ökonomischen Rationalität gegenüber einer inklusiven Bewusstseinslage, die nicht auf Vorräte und Mehrwert rechnet, sondern das Lebensnotwendige aus den begegnenden Naturvorräten gewinnt. Deutlich ist der unterschiedliche Planungshorizont erkennbar, den hier der Sippen- und Stammesverband, dort die Kontinentalerschließung im Hinblick auf überseeische Absatzmärkte darstellt. Auch wenn die einzelnen Ereignisketten schwerlich alle kontrolliert beaufsichtigt werden konnten, so folgen sie doch alle einer kongruenten Systemlogik, von der Echoffierung der Presse, den anarchischen Gewaltexzessen, der wirtschaftlichen Kolonisierung und der (kontrollierten) Internationalität der Siedlungsbewegung.

Sogar Eskalation und Deeskalation, wiewohl schwerlich bewusst über einen längeren Zeitraum zu beaufsichtigen, folgen doch einem bestimmten Schema. Die kapitalistische Rationalität vermag sowohl in geordneten Situation durchzugreifen, sowie erst recht in anarchistischen Situationen. Die Gesetze folgen ihr, nicht umgekehrt.

a.

Den Indianern erscheint die Übermächtigkeit der Langmesser in ihren Waffen, ihrer Technik, und in der schieren Masse zu liegen. Fortgesetzt finden sie sich in neuen bedrohlichen Situationen: Deportationen, Schwund der Lebensgrundlagen, Eingrenzung ihres Bewegungsraumes, Parzellierung ihrer Lebensgrundlage, Erziehung ihrer Kinder in fernen Internaten. Wenn auch zwischen den einzelnen Situationen Jahrzehnte liegen mögen, und ganz andere Personen jeweils handeln, so ist es dennoch ein einziger Transformationsprozess, der die gesamten Völker und ihre Kulturen absorbiert zugunsten ökonomischer Prosperität der Besitzergreifenden. Es ist nicht die Durchsetzungskraft einzelner Handelnder, sondern das Übergewicht einer rücksichtslosen Logik.

b.

Eine analoge Kolonisierung (um nicht zu sagen, dieselbe) vollzieht sich in der faschistischen Expansion des 20. Jahrhunderts. Ausgehend von der nationalen Ideologie einer Zugehörigkeit zu bestimmten Vorfahren (und der Ablehnung anderer) entsteht ein elaboriertes Ausbeutungssystem, das sich mühelos von eigenen Bevölkerungsgruppen auf fremde, besetzte Territorien übertragen lässt. Es sollte übrigens auch für Ausbeutungsvorgänge im sowjetischen System der Faschismusbegriff in Anwendung gebracht werden, denn die Ignoranz der Ausbeutungslogik gegenüber humanen Fragen ist ganz dieselbe. Vielleicht ist das in Tschetschenien erst ganz deutlich geworden.

c.

Ethnische Säuberung wurden die Massaker im ehemaligen Jugoslawien genannt, die den eigenen Besitzanspruch störende Bevölkerungen eliminieren wollten. Ganz dasselbe hat bei der Nationwerdung der Türkei gegenüber Armeniern und Griechen stattgefunden und findet heute gegen Kurden statt. In Europa gab es viele vergleichbare Vorgänge, ebenso wie auf der ganzen Welt.

d.

Derselben Logik gehorchen auch die vielfältigen und verflochtenen Kolonisierungen wirtschaftlicher Art, die heute beschönigend Globalisierung genannt werden. Bei den Chinesen fällt uns auf, was seit Jahrhunderten von Europa und Nordamerika ausgeht und sich als Sklaverei, Ausbeutung und Unterwerfung bis heute fortgesetzt neu vollzieht. Schockiert ist Europa, wenn zuvor unterworfene Völker nach Erlangung staatlicher Unabhängigkeit sofort dasselbe System nun gegen die eigene Bevölkerung anwenden.

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