3. berufungsoffene gemeindebilder

a.

Erste Schlußfolgerungen: Von der Bibel her ist die Fruchtbarkeit des Grundes kaum problematisiert, eher der Umgang mit ihm. Selbst die Einnistung des Wortes, also des Gottesrufes, ist entzogen und geheimnisvoll und ereignet sich, sofern der Grund aufnahmebereit ist. In dieser Offenheit allerdings liegt ein Existenzproblem: die kann verstellt, verhärtet oder bestandslos sein, so daß es zu keiner Befruchtung kommt. Aber das wurde nicht als Schuld herausgestellt!

Die Bereitung des Grundes wird im Demütigwerden zu sehen sein, also im Aufgeben des Zugriffs, im Unruhigsein, im Suchen und Ringen um den eigenen Weg, um die Entschlüsselung des Wortes, um seine vorläufige Identifizierung. Und dann kommt das Entspringenlassen, das Heraustreten aus dem Boden. Das ist grundsätzlich in zweierlei Richtungen zu verfolgen: einerseits, was die individuelle Berufung betrifft, also die persönliche Identität mit dem Wort Gottes, und andererseits als Aufgabe für die ganze Gemeinde.

Eine Gemeinde, die Berufungen fördert, wird viel Gewicht legen auf die individuellen Glaubenswege der Einzelnen. Da wird nicht so sehr die Funktion des Gesamtsystems im Vordergrund stehen, auch nicht unbedingt der Servicebetrieb für alle Bedürfnisse, denen ein überforderter Priester hinterherhetzt. Da wird die Predigt ein offenes Ende haben, statt für jede Lebenslage eindeutige Anweisungen zu geben, da wird Selberdenken gefordert sein, und da werden keine Phrasen wiederholt, sondern unaufhörlich neue Wege beschritten, im Denken und in der Methode. Der Kanon gedenkt fürbittend des Papstes, der Bischöfe, Priester und Diakone – warum nicht auch der Ordensleute, Ehepaare, Eltern, Jugendlichen und Kinder? Und aktuell sollen nicht nur Verstorbene, sondern auch Neugetaufte und Vermählte genannt werden!

Die Pflege der Berufungspflänzchen braucht einen langen Atem. Schnellschößlinge werden wieder zusammenfallen, menschliche Reifung braucht Jahre – aber regelmäßige Zufuhr von Wasser, also ein kontinuierliches kirchliches Gemeindeleben mit vielen Stegen, an denen einer anlegen kann. Zumindest eine Station muß es geben, die ausdrücklich persönliche und Glaubensentwicklung fördert und begleitet. Dort sollen auch Neue auftauchen können und angenommen werden – nicht nur theoretisch, sondern eingeübt. Ein Beispiel: Unsere „prophetische Gruppe“ setzt bei der Salbung in der Taufe zum „Priester, König und Prophet“ an und setzt daher prophetische Berufungen in der Gemeinde voraus. Diese werden gesucht, zu einer Gruppe gesammelt (die notwendig veränderlich ist!) und dann den prophetischen und Berufungstexten der Bibel gegenübergestellt. Und hier soll ein Wiedererkennen stattfinden: dieses Wort, jene Verheißung, diese Erfahrung ist in meinem Leben ja bereits verwirklicht! Die meisten unserer Propheten haben bereits eine richtige Bekehrung erfahren.

Der Zuwachs an berufbaren Personen sollte nicht das Hauptproblem sein. Es gibt Gemeinden mit Dutzenden – 50, 70, 100 Erstkommunionkindern oder Firmkandidaten pro Jahr: aber sie schleusen sie durch eine Schnellabwicklung und trachten, sie loszuwerden, damit sie bald – und irgendwo – gefirmt werden und dann auf Jahre verschwinden. Es gibt Tauffamilien, die mit kaum einer Glaubenserfahrung völlig unbelastet kommen – und dann nur Zurechtweisungen hören. Bei Bebräbnisansprachen wird ja oft den größten Erwartungen zu begegnen sein, aber auch das könnte weniger rituell und dogmatisch und mehr glaubensstärkend und entwicklungsoffen sein: wir sprechen ja nicht für die Toten, sondern die Erben. Ehepaare kommen mit größter Zukunftshoffnung, und sind meist versucht, ihre Liebe abzusichern in privater Subjektivität. Und die Meßbesucher, Sonntag für Sonntag bereit, sich auf ein Geschehen und Wort einzulassen. Viele Menschen also, darunter auch offene, empfängliche. Die Frage ist eher, das richtige Wort zu finden.

Die Mitarbeiter: mit ihnen beschäftigen sich die Gleichnisse am meisten. Wir können sie dazu kommen, selbst zu Berufungspflegern zu werden? Bestimmt durch entschiedenste Beobachtung und Förderung aller Talente gerade bei ihnen selbst. Durch viel Freiraum, sich zu entwickeln, auch wenn nicht immer zum (unmittelbaren) Vorteil der Gemeinde. Das darf nicht mit Laissez-faire verwechselt werden, mit Einfach-laufen-Lassen: Engagierte Menschen sich nur selbst zu überlassen wäre pastoral fahrlässig.

Im Zentrum einer berufungsoffenen Gemeinde wird eine Liturgie stehen, in der alle Gemeindedienste vollständig verwirklicht und gepflegt werden, von den Ministranten bis zum Mesner, den Lektoren, Kantoren, Kommunionsspendern, Wortgottesdienstleitern, Segensfeierbeauftragten, Diakonen, Fürbittenverfassern, Liedplanerstellern, Organisten und anderen Musikern, Chören, Kollektensammlern, Kirchenreinigern und Gärtnern. Auch eine integrative Eucharistiefeier ist zu empfehlen, die immer offen ist für Kinder, Jugendliche, Ehepaare, Kranke, Arme, Taufen, für alle Arten Musik und Kunst. Aber es gibt auch Mitarbeiter-Ausbildung. Manche Hausfrauen haben gedacht, ihr Glaube wäre genug für eine Eucharistiekatechese. Diese Selbstgewißheit mußte ein wenig aufgebrochen werden. Der „Grundkurs Theologie“, den ich eigens für meine in der Verkündigung tätigen Mitarbeiter halte, wirft viele Fragen auf und problematisiert das Vordergründige. Ich verstehe ihn als Entwicklungshilfe für die Wandlung des mitgebrachten Kinderglaubens in einen erwachsenen, der auch vor Kinder- und Jugendfragen standhält und Wegweisung geben kann.

b.

Zweite Reflexionsstufe: Ich will die Grunderfahrung in der Gemeinde – und auch in der Schule! – als das unaufhörliche Kommen von Menschen ansprechen. Auf geheimnisvolle Weise treten Menschen auf, werden sichtbar, entfalten Wirkung und Ansprüche. (Selbst wenn die Kinder schon vorher bekannt waren, selbst wenn man sie von klein auf kennt: als Erstkommunikanten, als Firmkandidaten erscheinen sie neu, in einem neuen Rahmen, und sind/werden neu.) In unserer Pfarre kommen auch immer wieder Urlaubsgäste und auch religiös Suchende zum ersten Mal und neu in den Sonntagsgottesdienst. – Aber dann müssen sie angesprochen werden! Das ist eine Existenzfrage für die Gemeinde, und das nicht nur zur Mitarbeiterrekrutierung. Hier erweist sich, ob die Gläubigen für Berufungen offen sind. Und ob sie den Ruf weitergeben können, den sie selbst empfangen haben. Das entscheidet sich im und nach dem Gottesdienst selbst, das ist aber auch an den Strukturen der Gemeinde ablesbar. Ob immer wieder gleiche Programme abgespult werden, oder ob auch die jeweiligen Menschen – als Gemeindemitglieder oder Mitarbeiter – in ihrer Eigenart zur Geltung kommen.

Nach sieben Jahren in einer Gemeinde mit äußerst schwacher Religiosität und vorerst sehr wenigen, altgedienten Mitarbeitern zeigt sich: der Grund trägt! Immer wieder erscheinen Menschen in der vielfältigen Öffentlichkeit der Gemeinde, interessante Menschen, neugierige, suchende. Nach und nach entschließen sich solche, die bisher nur am Sonntag erschienen sind, zuerst nur in der Messe, später auch im Pfarrcafe, dann auch einmal, in nähere Bekanntschaft zu treten, in der einen oder anderen Gruppe, und dann schließlich einmal, selbst irgendwo Verantwortung zu übernehmen. Beinahe alle jetzigen Mitarbeiter, ehrenamtliche wie hauptamtliche, sind auf solche Weise aus dem Grunde erwachsen.

Zur Pflege dieses Grundes zählt auch die Arbeit an der Öffentlichkeit. Das hat gar nichts damit zu tun, eilfertig es allen recht machen zu wollen, oder bei allen Festen anzutanzen. Mir liegt mehr an der Errichtung einer diskursiven Öffentlichkeit, indem Themen aufgeworfen werden – einerseits mittels der eigenen Medien der „Sonntagsöffentlichkeit“, des Schaukastens, des Pfarrbriefes, der Kirchenzeitung – andererseits aber auch in nichtkirchlichen Medien. Kooperationen mit der Stadtgemeinde, z.B. bei der Errichtung eines Parks um die Kirche, haben solche erweiterte Öffentlichkeit gebracht, Konzerte und andere künstlerische Veranstaltungen, besonders aber auch die Themen (und Vortragenden!), die der „Kritische Oktober“ gesetzt hat. Da haben wir die Fragen gestellt, und Bürgermeister, Chefredakteur, Spitzensportler, Firmenchef haben geantwortet – vor unserer Pfarröffentlichkeit. Und die Themen waren Entwicklungsthemen: „Öffentlichkeit“, „Frau in Kirche“, „Kritischer Konsument“, „Entschiedenheit“, „Die am Rande sind“.

c.

Dritte Reflexionsstufe: Das Entspringenlassen ist der Hauptvorgang einer berufungsoffenen Pastoral. Ich will den springenden Punkt an einem Beispiel verdeutlichen: mit Kunst haben auch andere Gemeinden zu tun. Kirchenchor, Vernissagen, Kirchenführungen. Ich aber verstehe pastorale Kunstförderung nicht als Einladung namhafter, teurer Kunstdarsteller, sondern gerade umgekehrt als Förderung unbekannter, junger, abseitsstehender Künstler, und das nicht mit Geld, sondern mit eben unserer Öffentlichkeit! Wir finanzieren übrigens alle Kunstveranstaltungen über Subventionen. Aber auch unsere eigenen Vollzüge wachsen an der Kunst: ich denke an den jährlichen Kompositionsauftrag zu Christi Himmelfahrt, der unser liturgisches Feiern jedesmal neu herausfordert. – Mehr noch lassen wir uns herausfordern von den jährlich neu erscheinenden Kindern (und ihren Eltern), die sich auf die Eucharistie vorbereiten. Um die 50 Kinder sind ab Advent in der Sonntagsmesse und finden dort jedesmal, bis zum Frühjahr, eine auf sie abgestimmte Gestaltung. Manchmal ein Lied, manchmal ein Umzug, manchmal eine Dialogpredigt. Und immer ist die ganze Gemeinde dabei: so ist Entspringen-Lassen aus der Mitte der Gemeinde.

Das bringt mich auf die Widerstände. Unsere Sonntagsgemeinde lernt in kleinen Schritten, dass die Aufnahmefähigkeit des Bodens auch eine Belastung ist. Man braucht Geduld, guten Willen, Überwindung, auch eine neue Sprache, ein neues, ursprünglicheres Denken zu lernen. Kinder sprechen Dinge geradeheraus an. Wenn zwischen den Ansprüchen altgedienter Gemeindemitglieder oder denjenigen von Kindern oder neu Dazugekommenen zu entscheiden ist, bevorzuge ich eher die Neuen. Wenn ein Thema Staub aufwirbelt und auf Widerstände stößt, hält mich das nicht im geringsten ab. Das bedeutet, dass pastorale Entscheidungen ein gewisses Risiko eingehen. Eine solche Gemeindeentwicklung fördert daher viel weniger die Systementwicklung und –verhärtung, sondern die Elastizität. Es gibt Dinge, die scheitern, und das braucht nicht verschwiegen zu werden. Als diesen Sommer keine Jugendreise zustande kam, hab ich das jene Eltern merken lassen, die ihre Kinder woandershin schickten. Die Widerstände zeigen die Festigkeit des Grundes, das Risiko den Willen zum Entspringenlassen.

Der wesentliche Vorgang in einer berufungsoffenen Gemeinde (analog auch: Religionspädagogik) als Dialog, als Ansprechen des Grundes besteht also einerseits in gestalterischen Initiativen, und andererseits in der antwortenden Pflege dessen, was diesem Grund entspringt: nach und nach mit dem auf uns Zukommenden etwas anfangen können!

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