Weihnachtsbesinnung im Kirchenbetrieb

Ob in Zeiten der Missbrauchsskandale oder in den weniger aufgeregten der Pfarrerinitiative: Die Situation der Kirche in der Gesellschaft ist bestimmt als dramatisch zu betrachten. Schweres Fehlverhalten einiger hat uns alle an den Pranger gebracht. Zögerlicher Umgang mit Reformen ist Wasser auf die Mühlen von Besserwissern, die sich nun rechthaberisch inszenieren. Ich bin beileibe kein Anhänger der Pfarrerinitiative, und halte Schüller und seine Leute, die ich aus Wiener Tagen in Erinnerung habe, für pharisäisch und obendrein reaktionär, was ihr Kirchenbild betrifft. Den angeblich gesuchten Dialog verhindern sie gerade selbst, indem sie jegliche Auseinandersetzung auf die Ebene von Fordern – Erfüllen zwingen wollen. Ist das nicht ein pubertärer Diskurs, wie er in Familien mit Heranwachsenden stattfindet?

Umso mehr vermisse ich eine wirkliche öffentliche Entgegnung. In Kärnten gibt es sehr viel Sympathie für die Pfarrerinitiative, und vielfach wird das Schweigen der Kirchenleitung auch als geheime Zustimmung gewertet. Aber auch Ängste vor einer neuen Kirchenspaltung habe ich wahrgenommen. Wenn auch die meisten ihrer Anliegen schon vor Jahrzehnten vorgebracht wurden, und viele davon nur für sehr kleine Gruppen von Gläubigen relevant sind, so scheint es doch angebracht, etwas darauf zu erwidern, anstatt ihnen das Feld zu überlassen für populistische Agitationen. Wir haben doch einen großen Apparat der kirchlichen Meinungsbildung, haben Pastoralamt, Schulamt, Priesterrat, Diözesanrat und Dechantenkonferenz und unsere eigenen Medien. Und wir sollten genügend Erfahrung und Geschicklichkeit haben im Umgang mit divergierenden Ansichten, ohne einzelne vor den Kopf zu stoßen, zu verletzen oder zu isolieren. Andererseits soll Diversität aber keine Ausrede sein, auf klare Positionen und Auseinandersetzungen zu verzichten! – Als ich beim Kritischen Oktober dieses Thema aufgriff, war die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt, und man hätte eine Stecknadel fallen gehört. Pfarrer Donko sprach für die Pfarrerinitiative, ich dagegen. Die Diskussion danach zeigte, dass nicht so sehr Partei ergriffen, sondern die Auseinandersetzung selbst gesucht und gelobt wurde. Aber wo ist nun die öffentliche und hochkarätige Diskussionsreihe, die eine öffentliche Auseinandersetzung auf gleicher Augenhöhe ermöglicht?

Meine pastoralen Erfahrungen und theologischen Studien lassen mich jene kirchlichen Wutbürger mit der seligen Volkskirche in einem Licht sehen. Aus den ehemals von Pfarrherrn und Sakramenten wohlversorgten Scharen von Gläubigen, die sich bereitwillig in Strukturen fügten und daraus Identität und Sicherheit bezogen, wird nun eine Gruppe selbstbewusster Individuen, die sich nicht mit den angebotenen Gnadengaben begnügt, sondern zu fordern beginnt und Ansprüche stellt. An beidem stört mich das Konsumieren, das eine ins Bürgerliche abgleitende Kirchenauffassung hervorgebracht hat, während doch das Konzil den Gläubigen als Subjekt des Glaubens und der Gemeinde gesehen hat – und nicht als Konsument.

Meinen eigenen Auftrag sehe ich darin, an der Messianischen Kirche mitzubauen. Ich meine, deren Konturen in der heutigen Zeit dort zu sehen, wo Bekenntnis und Glaubenseinsatz gewagt und riskiert werden – etwa, wenn Jugendliche oder moderne Menschen im Gottesdienst öffentlich auftreten und Stellung nehmen zu Zumutungen des Evangeliums. Das Suchen und Fördern von Charismen der Gläubigen müsste ein Standard werden, der für Liturgie und Gemeindeleben selbstverständlich ist. Da ist mit Unruhe und Bewegung zu rechnen, mit persönlicher Entwicklung einzelner sowie der ganzen Gemeinde. Herausforderung und Weckruf überwiegen allmählich die bloße Befriedigung von Servicebedürfnissen. Glaubensentwicklung braucht mehr Experiment als Ritual, mehr Aufbruch als Wiederholung. – Solche Standards sind im Klerus natürlich keineswegs verankert. Nicht einmal innerhalb des Klerus gibt es eine Begegnung auf Augenhöhe, wenn im Dekanat Klagenfurt die Hälfte nicht einmal zu den Kleruskonferenzen kommt, sondern sich auf die eigene Pfarre stützt wie auf einen Privatbesitz. Ich habe nie verstanden, auch in Wien nicht, wie aufstrebende Wohngebiete in besten Lagen in der Hand älterer wohlverdienter Pfarrer sein können, die dort ihre Pensionierung erwarten, während junge dynamische Leute in Feistritz/Drau, Radenthein, Maria Pulst, Maria Rain, Arnoldstein oder Friesach ihre besten Jahre verbringen und anschließend die Provinz gänzlich verlassen oder gar die Branche wechseln. Es könnte auch sein, dass sie immer dörflich geblieben sind und nie auf eine urbane Pastoral vorbereitet wurden. Mein Freund und Mitbruder R. ist zum Beispiel, behütet von einer sogenannten Bewegung und polnischen Freunden, in einem urbanpastoralen Hotspot ersten Ranges gelandet, in St. Ruprecht. Völlig unvorbereitet und bar jedes migrantenpastoralen Konzepts, ist er dort den alternden VertreterInnen eines veralterten Gemeindekonzepts ausgeliefert und scheitert an ihnen wie auch an der Pfarrbevölkerung. Wir reden oft darüber – aber modernes, städtisches Leben und Denken sind ihm ganz fremd. – Übrigens hat Pfarrer Donko als Hauptgrund für seine Mitgliedschaft bei der Pfarrerinitiative das Machtgehabe im Klerus genannt, namentlich die Vorgänge bei den Postenbesetzungen, die er aus der Nähe kennt.

Den fehlenden Priesternachwuchs führe ich auf fehlende pastorale Standards im Klerus und in den Gemeinden zurück. Die Diskussionen über die Zulassungskriterien sind dabei willkommene Ausreden für pastorale Versäumnisse. Wer sich bloß an den gegenwärtig das Gemeindeleben dominierenden Gruppen orientiert und ihre Wünsche befriedigen möchte, braucht sich nicht zu wundern, wenn Jugendliche und junge Mitarbeiter fehlen. Priester, denen ihr eigenes Ansehen viel bedeutet, stützen sich gern auf andere Angesehene und bilden bürgerliche Gemeinden, die sich im Großen und Ganzen selbst genügen, und da oder dort zur Selbstrechtfertigung womöglich eine Spendenaktion veranstalten. Ich meine, dass ohne riskierte Neuansätze kein Wachstum möglich ist, weder für Individuen noch für Gemeinden. Andererseits habe ich bei pastoralen und liturgischen Experimenten immer neu aufflammendes Interesse beobachtet, besonders bei Jugendlichen und modernen Menschen. Ich kenne derzeit zwei junge Männer, die sich vorstellen können, Priester zu werden. Und ich kenne viele aufgeschlossene junge Menschen in meinen Schulklassen, die enttäuscht sind von langweiligen Gottesdiensten und nichtssagenden Predigten, die sie in ihren Gemeinden erleben. Schon vor Jahren habe ich darum gebeten, regelmäßige Jugendmessen für jedes Dekanat einzurichten, die vom Bischof oder vom Jugendseelsorger gehalten werden, in innovativer Form, mit größtmöglicher aktiver Beteiligung der Jugendlichen, mit ihnen gemäßer Musik und genügend Zeit und Raum für Austausch und Gespräch. Dabei wären Firmgruppen und Schulklassen einzubinden, und deshalb auch Gesprächsebenen aufzubauen mit FirmbegleiterInnen und LehrerInnen – was mich schon zum nächsten Anliegen führt.

Es ist mir seit vielen Jahren ganz und gar unbegreiflich, wie sich die Kärntner Kirche leisten kann, auf die Fähigkeiten und Charismen ihrer besten Theologen und Theologinnen zu verzichten, nämlich derer, die in die Schule gehen. Sie führen ein Dasein wie eine fünfte Kolonne, und fühlen sich auch so behandelt. Bei der Herbsttagung, inmitten von 80 oder 100 dieser großteils mit modernem Lebensweisen Vertrauter, die meist gut im Gespräch mit Jugendlichen sind, hatte ich wieder den Eindruck, sie würden gar nicht gebraucht in der Kirche. Wenn schon der Klerus so große Schwierigkeiten mit der Meinungsbildung und der Teilnahme an kirchlichen Entscheidungen hat (im Dekanat Klagenfurt wurde im letzten Jahr ausschließlich über diese Schwierigkeiten geklagt!), um wieviel größer sind die Schwierigkeiten, diese noch viel selbständiger und eigenständiger agierende Mitarbeiter in kirchliche Entscheidungen einzubinden! Aber darauf zu verzichten erscheint mir erst recht als schwerer und unverzeihlicher Fehler, schon gar, wo wir so häufig über die fehlende Jugend in der Kirche klagen. Wiederum komme ich zu dem Ergebnis, der versiegende Nachwuchs wäre eine natürliche Folge pastoraler und struktureller Versäumnisse. (Davon lenkt die Agitation der Pfarrerinitiative nur ab, und findet wohl gerade deshalb so viel Zustimmung besonders dort, wo die Versäumnisse am größten sind)

Hier ist der Ort, auf die Pfarrfirmung zu sprechen zu kommen. Häufig habe ich der Kirchenleitung bereits dieses Anliegen vorgebracht. Ich sehe die entwicklungspsychologischen Gründe, die für Jugendliche die Bedeutung der Gruppe der Gleichaltrigen, die gemeindepastoralen, die den Wert des gemeinsam vorbereiteten und gefeierten Sakraments in den Vordergrund stellen, sowie die gesamtkirchlichen Argumente, die den von außerhalb kommenden Firmspender als Repräsentant der Gesamtkirche sehen, als so schwerwiegend an, dass ich anderen kaum erklären kann, warum unser Bischof zögert, in Kärnten so wie im übrigen Österreich und Mitteleuropa die jährliche Pfarrfirmung zuzulassen. Davon unbeschadet können doch die Visitationen weiterhin im achtjährigen Intervall durchgeführt, sowie in allen Dekanaten oder großen Kirchen regelmäßige Messen mit Jugendlichen gefeiert werden. Das Festhalten an diesem ständischen Brauchtum stellt leider weiterhin die Kirche in das Licht des gnädigen Zuspiels der Mächtigen im dörflichen Kontext, was in der gesellschaftlichen Landschaft Kärntens zwar noch immer Rückhalt hat, aber doch nicht gerade ausgerechnet von der Kirche am Leben erhalten werden muss – schon gar bei der Initiation von Jugendlichen!

Wenn ich nun noch etwas über den Universitätsbetrieb und die gängige Auffassung theologischen Lehrens und Forschens sage, so scheint das von unseren Gemeinden und der kirchlichen Praxis weit weg zu sein. Universitäres Leben, das wir in Kärnten gar nicht haben, gebiert Jahr für Jahr Lieblingsthemen von Lehrenden und Studierenden, wie die tausendste Diplomarbeit zu Genderfragen oder singuläre Arbeiten zum mittelalterlichen Klosterbetrieb. Theologische Forschung und pastoraler Bedarf sind meist entkoppelt. Aber wenn selbst bei technischen Studien der Bedarf der Wirtschaft an das Studium rückgebunden wird, wieso können nicht von der pastoralen Praxis aus Fragen an die theologische Forschung gestellt werden? Warum z.B. gibt nicht die Bischofskonferenz einen dotierten Forschungsauftrag an die Kirchengeschichtsinstitute, um Gründe und Ursachen heutiger Kirchenfeindlichkeit zu erforschen, etwa in der 1848er Revolution oder im Ständestaat – um dann eine angemessene Strategie zu entwickeln ? Warum gibt es keine Anfrage nach einer theologischen Antwort auf die Evolutionstheorie? Warum keinen Auftrag, eine moderne Sakramententheologie zu entwickeln, die z.B. für das Ehesakrament realistische und zeitgemäße theologische und pastorale Zugänge freilegt? Ich halte die Fokussierung auf das Kirchenrecht, also auf die Frage, was erlaubt ist und was nicht, für eine unstatthafte Denkbremse, denn die Rechtsprechung muss doch dem als sinnvoll erkannten Tun folgen und nicht umgekehrt.
Mit dieser bereits bei anderen Gelegenheiten vorgetragenen Anregung ist selbstverständlich die Bereitschaft zu verbinden, dann den gelieferten Forschungsergebnissen Rechnung zu tragen und pastorale Entscheidungen und Schwerpunktsetzungen danach zu orientieren.

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