Samstag, 6. August 2016

Bizertes Taenze

Von der Bruecke ueber den Hafen tat ich Bizerte Unrecht. Denn ich sah unzaehlige weisse Ballons im Wasser unter der Bruecke treiben und schuettelte den Kopf ueber die unbedenkliche Muellentsorgung in diesem Land. Aber die vermeintlichen Plastiksaecke stellten sich als metergrosse Medusen heraus, die im blaugruenen Wasser genuegend Nahrung finden mussten.

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Dafuehr war das, was um die hoelzernen Fischerboote herumschwamm, die idyllisch vor der Steinmauer der Medina angebunden waren, nichts anderes als Muell.

Als ich, nach der Fahrt mit dem TGM, der sich in atemberaubendem Tempo eines Radfahrers die Vororte von Tunis ueber die Schienenstoesse rumpelnd auf die Hauptstadt zuarbeitete, dann in die richtige Strassenbahn umstieg (ja, Tunis ist eine richtige Stadt!), dort an meinem Sitzplatz mit einem Betrunkenen mit Blicken und Zeichen kommunizieren musste, weil an Worte in keiner Sprache zu denken war, und dann unter Mithilfe eines Fahrgastes an der richtigen Station ausstieg und neben ebendiesem eine Viertelstunde auf den durch ein Gelaender abgetrennten Strassenbahngleisen neben der Strasse und dem Gehsteig ueber manche Kurven und Kreuzungen herlief und so die Haltestelle fuer die Ueberlandbusse erreichte,
als ich schliesslich eine halbe Stunde in der Warteschlange vor dem Fahrkartenschalter verharrte, in dem kein Beamter sass, aber der fuellige Mann in der ersten Reihe am Schalterbord seine Zeitung ausbreitete und dort in groesster Ruhe alle Kreuzwortraetsel loeste, waehrend seitlich von ihm mehrere Frauen mit wallenden Gewaendern und greinenden Kindern warteten und unsere Warteschlange als die einzige im Wartesaal bis ans andere Ende reichte,
waehrend mir der Schweiss sowohl im Wartesaal wie auch dann an der Einstiegsstelle nicht in Troepfen, sondern in Sturzfluten ueber den Leib rann und mein PoloShirt aussah, als haette ich damit geduscht/
so hielt ich doch die ganze Zeit ueber meine Plastikflasche mit lauwarmem Zitronenwasser in der Hand, und erst in Bizerte, als jene Frauen, die beim schliesslich erschienenen Kassabeamten augenblicklich von allen Seiten zusammengestroemt waren und noch vor dem verdutzten Zeitungsleser ihre Fahrkarte ergatterten, dann in Windeseile die ersten und besten Sitzplaetze im Bus hatten, auch jetzt im Sturmangriff mindestens 15 Taxis abfingen, waehrend wir Maenner fassungslos in der prallen Sonne verharrten und weiter warteten,
erblickte ich am Eingang des Busterminals einen Plastikkuebel, hielt darauf zu und warf meine leere Flasche hinein, waehrend mir war, als ob sowohl die wartenden Passagiere wie die Taxifahrer und die am Busbahnhof Angestellten ein paar Sekunden innehielten und erstaunt hinsahen, wie jemand seinen Muell nicht aus dem Autofenster, der Schiebetuer des TGM-Zuges oder der Strassenbahn oder aus dem Busfenster entsorgte, sondern in einem der spaerlichen Mistkuebel.
Angesichts der Unmengen von anfallendem Muell ist natuerlich die bescheidene Anzahl von zwei Muellmaennern, die ich bisher in dieser Stadt gesehen habe und die in der Manier von freundlichen Pensionisten, die sich ehrenamtlich fuers Gemeinwohl engagieren, bestimmte Muellhaeufchen hinter geparkten Autos wie mit der Zange auf ihren Handkarren heben, wie ein Tropfen auf den heissen Stein.

Und so ist eben Bizerte die Stadt, in der nicht kreischende Moewen die Atmosphaere bevoelkern, nicht Stare oder Kraehen, keine Tauben und keine Stoerche, sondern Plastiksackerl, die im Wind ueber Gehsteige und Fahrbahnen tanzen, zusammen mit Unmengen von Staub und Dreck, Blaettern, Stroh und Papier, Zigarettenstummeln und Schachteln, Schokoladen- und Zuckerlverpackungen, Glasscherben, Servietten und noch tausend andere Dingen. Wenn zuweilen jemand auf die Idee kommt, den Gehsteig vor seinem Geschaeft sauber zu fegen fuer ein paar Minuten, so vergroessert er damit die Staubwolke noch. An den Strassenkreuzungen stossen die Winde zusammen und bilden Wirbel, die das Material mehrere Stockwertke hoch tragen. Die Menschen gehen mit zusammengekniffenen Augen gegen den Wind, und die Gesichtsschleier der Frauen, die vielleicht hier doch ein wenig haeufiger zu sehen sind als in Tunis, haben hier noch einen anderen Sinn.

Und ja, es gibt auch Tiere, die sich in dieser Stadtlandschaft wohl fuehlen. Fliegen

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Bizertes Geraeusche

Erst in der Nacht ist mir aufgefallen, dass in Bizerte keine Moewen sind.
An den Geraeuschen.
Denn ich hoerte das Klappern der Fensterlaeden, die sich nicht befestigen liessen, und, nachdemich einen Laden geschlossen hatte, nur noch halb so oft. Den stetigen Windfuehre ich auf das nahe Meer zurueck.
Ich hoerte durch die Hintergasse, auf die mein Zimmer hinausgeht, schlurfende Nachtgaenger, oder, der fortwaehrend vor sich hinbrabbelnden Stimme nach, Nachtgaengerinnen.
Ich hoerte Metallgeraeusche, wie wenn man auf lose Dachrinnen klopft,undstellte mir nach den verschiedenen Klanghoehen einen ganzen Schrottplatz vor unter meinemnaechtlichen Fenster.
Ein anderes Mal meinte ich ein zorniges Kind greinen zu hoeren.Bald gab eseine zweite Stimme, und sogar eine dritte: ich hatte also ein Katzenkonzert vordem Fenster und wusste die gute Akkustik der engen Haeuserschlucht zu schaetzen.
Nicht lange nachdemdie Laute verklingen waren und nur noch die unregelmaessigen Klappergeraeusche der Fensterlaeden zu hoeren waren, ertoente ein Brummen und Knattern, das ich mir nicht erklaeren konnte. Sobald ich richtig wach war, erklang schliesslich die volltoenende Stimme des Muezzin auseinemLautsprecher, der in der Naehe meines Fensters montiert sein musste, der Gott alsden Einen undEinzigen pries, waehrend in den kurzen Pausen der Nachklang weiterer Gottpreiser ausder Nachbarschaft zu vernehmen war. Mir waren bisher die Gesaenge in diesemLand noch kaum aufgefallen, anders als in Istanbul oder in Jerusalem war hierzulande die Religion deutlich im Hintergrund.

Als nun weitgehend Stille eingekehrt war und der Geist sich von den konkreten Dingen zu loesen begann, erhoben zoegerlich nun weitere Morgensaenger ihre Stimme, und ich staunte, wieviele Haehne in den umliegenden Hinterhoefen ihre Schnaebel zum noch finsteren Nachthimmel hochreckten. Fuer uns Christen hat ja das Kraehen des Hahns vor Sonnenaufgang die besondere Bedeutung, uns an Gottes Ankuendigung zu erinnern und unser Gewissen zu pruefen.

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