Sonntag, 2. Dezember 2007

ich führe meine pfarre wie einen radiosender I

Es ist kaum zu glauben, wie viele Reformen da immer wieder gemacht werden, alle Jahre etwas Neues, permanente Erneuerung bereits ein Kulturmerkmal seit 40 Jahren, der österreichische Kultursender. Alles das, was da beim Rückblick präsentiert wurde, war ja nicht neu, aber überrascht hat mich die Dichte.
Die Jugendredaktion bereits in den ersten Sendejahren, Wolfgang Kos und Richard Goll, die legendäre Musicbox, die Familienredaktion, die zeitgenössische Musik, die Religion, von Beginn an ökumenisch, und Literatur, Hörspiel und Feature. Lust am Widerspruch, sagt Gerd Bacher. Werdende Künstler aufbauen, sagt Alfred Treiber. Permanenter Ideenaustausch in den Sitzungen, und Abschied von der Quote, sagt Wolf in der Mauer 1974.
Ein zukunftsorientierter Start, sage ich. Genauso starte ich meine Pfarre: Zwar sind Traditionen da, an denen anzuknüpfen ist. Aber nur das Bisherige genauso weiterzuführen, das wäre verzopft und verstaubt, also offensiv neue Interessentenkreise erobern, Jugendliche, Familien, neue Musik, Literatur, das ist bisher noch das Mühsamste. Aber das Desinteresse der Stammhörer ist nicht mein Kriterium, die Ignoranz vieler unserer Leute: dann eben Besseres vorlegen, und neue Kreise ziehen.

Aber: der Mitarbeiterstab. Neidisch höre ich, wie neue begabte Menschen sich bei Ö1 vorstellen mit ganz neuen Konzepten. Neidisch von den Redaktionssitzungen und den Richtungsfragen, die da erörtert werden. Die Besten und Kreativsten waren da, die Programmentwicklung selber ein Kunstwerk, die Auseinandersetzung ein Motor. Ein landesweiter Kultursender zieht halt mehr Mitarbeiter an als eine Pfarre einer Kleinstadt. Nämlich die Besten aller Sparten. Das hat etwas Repräsentatives, aufs ganze Land gesehen. Kirche funktioniert da anders. Die sich hier engagieren, haben entweder einen festen Glauben und gehören also zu einer Minderheit, oder sie finden in den Beziehungen der Menschen oder im Geist der Bewegung eine Heimat und Zukunft, dann sind sie entwicklungsorientiert. Ihre erste Sendung ist der erste Arbeitsauftrag, Ministrantendienst oder Pfarrblattausträger oder Pfarrcafe vorbereiten. Der Rahmen erweitert sich erst langsam, ob die Mitarbeiter wohl so langen Atem haben, ohne Bezahlung. Wenn ich sie anstellen könnte, fänden sich wohl mehr, wenn sie ihr ganzes Leben investieren könnten, würde es kreativer und verläßlicher, es gibt Anfragen.

Wir bringen, was die anderen nicht machen, sagt Ernst Grissemann, sagt Nora Aschacher, Jugend und Gesellschaft, neue Musik und den Buena Vista Social Club, aber das war schon später. Maximilian Blumenkohl über Bacher, den autoritären Reformer: drohende Trennung von Wort und Musik. Musiktabus für Blasmusik und Reggae. Mehrwert Klassik. Und der alte Schulfunk, pensionierte Lehrer, vom Unterrichtsministerium produziert. Da entstand das Radiokolleg: Selber denken statt Belehrung, sagt Franz Thomandl. Autoren selber suchen, Herausforderungen an Landesstudios tragen, Altes in Frage stellen: Was ist ein Hörspiel? Die verkleinerte Blaskapelle, Michael Köhlmeier. Engagiertes Radio seit den 80ern, mit Konrad Zobel, Wolfgang Kos und Michael Schrott. Das bedeutet: Nicht wird mehr Kunst abgebildet, die irgendwo stattfindet, sondern Kunst wird selbst produziert, die Sendung ist selber die Kunst, sagt Christian Scheib.
Und wir: Verabschiedung von den getrennten Sparten Kinder und Sonntagsmesse, Ernst und Lustig, Glaubensverkündigung und Abenteuer, besondere Aufträge und Team, Sonntagsgemeinde und Community. Erste Reformsparte: die Sonntagsmesse, nach wie vor das Zentrum, mit Steigerungsraten. Ein exzellentes Team, wo jeder weiß, was er tut, und deshalb life produzieren kann, also flexibel. Geschulte Lektoren, geübte Kantoren, mehrere Musikensembles. Ministranten nicht gedrillt, sondern gebildet. Die Aufgaben wechseln, also keine Spezialisten, sondern Generalisten. Jederzeit werden neue Meßbesucher einbezogen, zur Bereitung des Altars, die Kerzen tragen selten die Gleichen, zum Absammeln, zum Kirchenschmuck. Es ist selbstverständlich, dass alle vorgesehenen Dienste von Mitarbeitern ausgeführt werden. Für jeden Sonn- und Feiertag werden eigens Fürbitten verfaßt. Monatsweise werden Lieder ausgewählt, da kommt jeder Mitarbeiter dran, und immer sind ein paar neue Lieder dabei, die von allen zu lernen sind. Dass wir die neue Probeausgabe des Gotteslobes testen, paßt dazu. Jeden Sonntag ein Pfarrcafe: zur Bildung der Community, zum Austausch, zum Feed Back, und besonders für die neu Angekommenen in den Gottesdiensten. Es darf keiner heimgehen, ohne angesprochen und eingeladen worden zu sein. Kirche kann sich nicht leisten, Interessierte heimzuschicken.
Und dann die Höhepunkte, die Kirchenfeste mit profiliertem Programm, und neue Höhepunkte, die Faschings-Rockmesse mit dem musizierenden Pfarrer im Stil der Siebzigerjahre, die Tanz-Performance, die Vater Unser-Installation mit der Gemeinde, und besonders das Christi Himmelfahrtsereignis. Jedes Jahr bekommt ein anderer Musiker den Auftrag, die Messe zu komponieren, mit allen Freiheiten. Erweiterte Tonsysteme, unübliche Instrumentierungen, Musik aus anderen Kulturen und Religionen, improvisierte Musik, Durchbrechung des kanonischen Liedschemas, Atmosphärenmusik während Lesungen und Gebeten. Feierliche Liturgie und Experimentierfeld sind keine getrennten Sparten. Der Entwicklungsgedanke, der für Kinder gilt und die Präsenz von Familien, für die ganze Gemeinde, der gilt auch für die Liturgie selbst. Sonntagsmesse als Lernfeld für Erstkommunionkinder, mit eigener Lehrstoffverteilung übers Jahr. Die neue Jugendband, die letzten Sonntag ihre Rocknummern gespielt hat: wir begeben uns auf einen Weg, der aus ihrer Musik gemeinsam das entwickelt, das kirchlich tragen kann. Das haben Gemeindemitglieder gesagt.

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